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SAP: Wieviel Kurspotential steckt im Wandel?

SAP-Chef Klein muss beweisen, dass er den Wandel vom netzwerkbasierten zum cloudbasierten Geschäftsmodell stemmen kann. Aktionäre werden auf die Geduldsprobe gestellt. Bislang stützt SAP-Patron Hasso Plattner den Chef. Doch wie lange noch?

(Bild: picture alliance/dpa | Uwe Anspach)

SAP-Chef Klein muss beweisen, dass er den Wandel vom netzwerkbasierten zum cloudbasierten Geschäftsmodell stemmen kann. Aktionäre werden auf die Geduldsprobe gestellt. Bislang stützt SAP-Patron Hasso Plattner den Chef. Doch wie lange noch?

Jedes noch so erfolgreiche Geschäftsmodell muss sich weiterentwickeln. Dabei sind heftige Umbrüche nicht ausgeschlossen. Diese Erfahrung durchleben derzeit die erfolgsverwöhnten SAP-Aktionäre. Ihr Unternehmen steckt im Umbau und das kostet Nerven – und Geld: Völlig überraschend hatte SAP-Chef Christian Klein im vergangenen Herbst angekündigt, dass die Neuausrichtung des Unternehmens deutlich zu Lasten des Gewinns gehen wird. „Damit hatte niemand gerechnet“, gesteht Mirko Meier, Analyst der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Auf einen Schlag habe die jahrelange Verlässlichkeit von SAP herbe Kratzer bekommen. Nach Kleins Ankündigung sackte der SAP-Kurs auf 91 Euro. Wenige Wochen davor lag die Aktie noch bei 143,20 Euro. Über Nacht büßte Deutschlands wertvollstes Unternehmen rund 30 Milliarden Euro an Wert ein.

Das ist inzwischen ein dreiviertel Jahr her. Doch erholt hat sich SAP seither nicht wirklich. Der Absturz war der Tiefpunkt in einer ganzen Serie von schlechten Nachrichten. Wenige Monate davor hatten neben Co-Chefin Jennifer Morgan weitere Führungskräfte aus den Top-Etagen ihr Bündel gepackt und den Walldorfer IT-Konzern verlassen. Erst ein Jahr zuvor war der langjährige Chef Bill McDermott gegangen.  „Bei SAP läuft es nicht rund, die Kunden sagen das auch“, stellte seinerzeit Marc Benioff, CEO von Konkurrent Salesforce, schadenfroh fest.

Über Jahrzehnte hatte SAP hochwertige Lizenzen und Wartungsdienste verkauft. Die Lösungen werden jeweils von einem zentralen Netzwerk betrieben, die viele Arbeitsplätze versorgen und verwalten. Die Endnutzer fluchen zuweilen über den teils umständlichen Aufbau. Erweiterungen oder Aktualisierungen sind zudem oft komplex, denn die Kunden haben das SAP-System auf sich individuell zugeschnitten. Doch gleichzeitig bauen die SAP-Lösungen so eng aufeinander auf, dass beispielsweise Hersteller und Lieferanten weltweit leicht Daten untereinander austauschen können. Rund 70 Prozent des Weltsozialprodukts laufen irgendwann über einen SAP-Rechner“, verdeutlicht LBBW-Analyst Meier die Marktposition der Walldörfer.

Die Zukunft gehört allerdings cloudbasierten Lösungen, die flexibler in der Anwendung sind – und billiger, weil die Kunden kein eigenes Netzwerk mehr benötigen. SAP mischt mit dem Kernprodukt S/4 Hana (High Performance Analytic Appliance) in diesem Segment mit. Zudem hatte Kleins Vorgänger McDermott für rund 40 Milliarden Euro zig Cloudsoftwarefirmen zusammengekauft. Der Erfolg blieb allerdings übersichtlich. Dies wohl auch weil die Zukäufe nicht umfänglich in den Konzern integriert wurden. Das sei kein SAP aus einem Guss mehr, monierten die Kunden. Beobachter gehen davon aus, dass genau an diesem Punkt McDermott und seine Gefolgsfrau Morgan gescheitert sind. Sie wollten schnelle Ergebnisse nicht mit teuren Integrationskosten belasten. „Bis Hasso Plattner eingeschritten ist“, vermutet Analyst Meier.

Der umtriebige SAP-Gründer und heutige Aufsichtsratschef hat nun Klein allein das Kommando in Walldorf überlassen. Der soll nun das Unternehmen konsequent auf die Cloud ausrichten. Die Kunden könnten so ihre IT-Kosten um gut 20 Prozent drücken und bekämen einen wesentlich tieferen und vor allem effizienteren Einblick in ihre eigene Datenwelt, wirbt der CEO. Die Walldörfer üben allerdings auch Druck auf die rund 400.000 Kunden aus. So wird die technische Unterstützung für das netzwerkgestützte Flaggschiffprodukt Business Suite bis 2027 auslaufen, was den Wechsel zu S/4 Hana befeuern soll. Doch viele Kunden sträuben sich, denn Cloud-Lösungen sind standardisiert und nicht so individuell. Unternehmen haben sich mit ihrer eigenen IT-Infrastruktur sogar Wettbewerbsvorteile erarbeitet. „Das gibt man nicht zugunsten einer Abo-Lösung aus der Hand, die jeder bei SAP von der Stange kaufen kann“, erklärt LBBW-Beobachter Meier die bisherige Zurückhaltung der Kunden.

Mit dem Strategieprogramm „Rise with SAP“ sollen die Bedenken ausgeräumt werden. Hierzu wurde Anfang des Jahres der Potsdamer Softwareanbieter Signavio – angeblich für eine Milliarde Euro - übernommen. Der Zukauf soll mit seiner Technologie als Bindung zwischen den verschiedenen SAP-Modulen wirken und so den Kunden eine bessere Integration in der Cloud ermöglichen. Die Verbindungen zu Signavio waren schon immer eng. So ist Gründer Gero Decker Absolvent des von Plattner mitfinanzierten Potsdamer Informatik-Instituts. SAP sei auf dem richtigen Weg, schrieb Analyst Gregory Ramirez von Bryan Garnier zur Kundenmesse "Sapphire Now" Mitte Juni. LBBW-Kollege Meier traut der Aktie inzwischen wieder ein Kurs von „knapp 130 Euro“ zu.

Auch die Kunden honorieren Kleins neuen Kurs. Im Frühjahr hat Google angekündigt, die eigene Buchhaltung auf SAP umzustellen. Ein Achtungserfolg für die Walldorfer, die den IT-Riesen ausgerechnet vom Dauerrivalen Oracle abwerben konnten. Meriten konnte sich Klein auch an den Finanzmärkten mit dem sehr erfolgreichen Börsengang der Tochter Qualtrics erwerben. Das Unternehmen bietet eine cloudbasierte Plattform an, mit der Nutzer die Meinungen und Stimmungen von Kunden und Mitarbeitern erforschen können. Der Börsengang hat SAP knapp zwei Milliarden Euro in die Kassen gespült.

Die Finanzmärkt verfolgen allerdings immer noch mit einer gewissen Zurückhaltung den Kurs des SAP-Chefs. Zu sehr hat Klein die Börsianer im vergangenen Herbst verschreckt. „Das wirkt nach“, räumt Meier ein. Tatsächlich darf nicht allzu viel schieflaufen, sollen die Erlöse aus dem Cloud-Geschäft bis 2025 auf 22 Milliarden Euro steigen. Im vergangenen Jahr waren es noch 8,1 Milliarden Euro. Insgesamt soll der Umsatz bis dahin von 27,3 auf 36 Milliarden Euro steigen. Gleichwohl bescheinigt man SAP gute Chancen aufgrund der engen Vernetzung mit den Industriekunden. So baut die deutsche Autoindustrie auf SAP-Basis eine Infrastruktur für das autonome Fahren auf. Auch bei der globalen Vernetzung von Fertigungen ist man von Anfang an dabei. Mit Cloud-Produkten erzielt SAP schon heute eine Bruttomarge von 66 Prozent vom Umsatz. Das ist dennoch kein Spitzenwert. So kommen Salesforce und Workday nach Daten von Bloomberg auf eine Marge von mehr als 70 Prozent und Oracle sogar auf knapp 80 Prozent.

Das Beben in der Führungsetage scheint überstanden. Im Konzern gilt Klein als „einer von uns“. Man attestiert ihm tiefe Kenntnisse der Produkte bis zur Detailverliebtheit. Kritikern fehlt da eher das strategisch Visionäre. Für Unruhe sorgt derzeit die Arbeitnehmerseite. Betriebsratschef Ralf Zeiger musste im Zuge von internen Untersuchungen zu Manipulationen und Urkundenfälschung gehen. Klein schafft es offenbar auch, Plattner zu bändigen, der aus dem Aufsichtsrat heraus trotz seiner 77 Lenze weiter kräftig mitmischt. Nicht unbedingt zum Schaden von SAP. Der Hoffnungsträger S/4 Hana ist im Umfeld von Plattner und seinem Institut entstanden. „Der setzt bis heute wichtige Impulse“, stellt Analyst Meier fest und schiebt zwei Fragen nach, die Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre gleichermaßen umtreiben: „Wer hat wirklich das Sagen bei SAP und was kommt nach Plattner?“

Andreas Kempf 

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