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Was haben die geraucht? Parteien planen Legalisierung von Cannabis und die Industrie jubelt

Eine Ampelkoalition wäre sich schnell einig: Das Rauschmittel Cannabis könnte in Deutschland nach der Wahl legalisiert werden. Agrarkonzerne werden hellhörig und beginnen zu investieren. Auch Anleger profitieren schon.

(Foto: Lifestyle discover / Shutterstock)

Eine Ampelkoalition wäre sich schnell einig: Das Rauschmittel Cannabis könnte in Deutschland nach der Wahl legalisiert werden. Agrarkonzerne werden hellhörig und beginnen zu investieren. Auch Anleger profitieren schon.

Von Oliver Stock

Deutschland im Rauschzustand? Wer einen Blick in die Wahlprogramme und Anträge der Parteien wirft, könnte zu diesem Schluss kommen: Bei allen Differenzen zwischen Grünen, Linken und FDP sind sie sich in einem Punkt einig: Die Drogenpolitik der bisherigen Regierungen ist gescheitert. Jetzt soll sich grundsätzlich etwas verändern. Eine Legalisierung von Cannabis können sich alle gut vorstellen. Sogar die SPD hat einen entsprechenden Absatz in letzter Minute ins Wahlprogramm hineingeschrieben und ist zumindest bereit, darüber nachzudenken. So viel politische Einigkeit lässt die Industrie aufhorchen: Die Aktien der Cannabis-Firmen steigen wieder und traditionelle Agrarkonzerne strecken ihre Fühler aus, um sich auf den Hanfanbau vorzubereiten.
Doch der Reihe nach. Schätzungen des Instituts für Therapieforschung zu Folge konsumieren rund vier Millionen Deutsche Cannabis als regelmäßiges Genussmittel – Tendenz steigend. Cannabis-Konsum ist damit keine Randerscheinung, sondern ein Thema, das eine erkleckliche Anzahl von Wahlstimmen verspricht.

Die Parteien habend das erkannt. Der Antrag, den die FDP-Fraktion im März dem Bundestag vorlegte, beginnt mit einem vernichtenden Urteil: „Die Repressionspolitik der großen Koalition in Bezug auf Cannabis als Genussmittel ist in Deutschland gescheitert“, heißt der erste Satz. Deshalb soll die Bundesregierung doch bitte einen Gesetzentwurf ausarbeiten, der eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene ermöglicht – und zwar ausdrücklich zu „Genusszwecken“. Die Liberalen machen auch gleich Vorschläge, wie der aussehen könnte: Erwachsene sollen bis zu 15 Gramm Cannabis in Apotheken und lizenzierten Geschäften kaufen dürfen. Allerdings, so fügt die Partei hinzu, die sonst stets für Steuersenkungen eintritt, dass hier eine Steuer fällig werden soll. Denn: „Diese Einnahmen entfielen dann für das organisierte Verbrechen.“

Ähnlich klingt es bei den Grünen. Dort steht im Programm, dass ein Cannabiskontrollgesetz das bestehende Verbot ersetzen und einen legalen Verkauf „in Fachgeschäften“ ermöglichen soll. Es soll Regeln für Anbau, Besitz, Handel und Konsum enthalten. Die Linke schließlich will für Cannabis eine legale und „nicht kommerzielle“ Bezugsmöglichkeit schaffen und den Besitz sowie Anbau zum eigenen Bedarf erlauben. Dazu will sie das Bundesbetäubungsmittelrecht so ändern, dass Bundesländer eigenständig über Modellprojekte zur Abgabe von Cannabis entscheiden können.

Während eine Ampelkoalition hier also einig ist, sträubt sich die Union. Die AfD schließlich marschiert sogar in die andere Richtung: Sie will den Besitz von Cannabis härter als bislang bestrafen. Vor diesem Hintergrund sagte Politikwissenschaftler Maximilian Wieczoreck, der in Münster zum Einfluss von Parteien auf die Drogenpolitik in Europa promoviert, jüngst im ZDF: „Ich glaube, dass sich die Cannabis-Legalisierung zu einem Wahlkampfthema entwickeln wird.“

Dies gilt umso mehr, weil es anderswo längst liberaler zugeht. In den USA legalisieren immer mehr Bundesstaaten den Anbau von Hanf und den Verkauf von Cannabis nicht nur zu therapeutischen, sondern auch zu Genusszwecken. Die Aktien der Agrarfirmen, die hinter diesen Produkten stehen, erfreuen sich seit einigen Monaten an der Börse wieder einiger Beliebtheit. Die sich ankündigende Liberalisierung in Deutschland, immer noch einer der größten Volkswirtschaften der Welt, verleiht den Aktien einen weiteren Schub.

„Die Goldenen Zwanziger sind da“, sagt Ben Kovler. „Es ist eine beispiellose Nachfrage und wir machen das Angebot.“ Kovler ist Gründer und CEO von Green Thumb Industries mit Sitz in Chicago, einem Cannabisunternehmen mit Niederlassungen in zwölf US-Bundesstaaten. Er bereitet sich angesichts munter Cannabis genießender Amerikaner darauf vor, diesen Sommer mehr Gras als je zuvor zu verkaufen. Wenn dann auch noch die Deutschen kämen, ist Kovler ein gemachter Mann. Während der Pandemie hat sein Unternehmen so, wie die gesamte Cannabisindustrie einen Rekordkonsum feststellen können: Die Amerikaner kauften im Jahr 2020 Marihuana im Wert von 17,5 Milliarden US-Dollar, was einem Anstieg von 46 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 entspricht. „Die Sonne scheint“, beschreibt es Kovler. „Die Leute sehen Freunde, die sie schon lange nicht mehr gesehen haben, die aus der Pandemie kommen. Cannabis entwickelt den amerikanischen Traum weiter.“

Die Aktien der Cannabis-Anbieter sind angesichts dieser erfreulichen Aussichten gefragt – aber es trennt sich auf dem Kapitalmarkt gerade die Spreu vom Weizen. Nach einem ersten Boom vor drei Jahren, bei dem Kurse wie der des Herstellers Canopy Growth um 330 Prozent explodierten,kam, was bei einer Blase kommen muss: Sie platzte. Vom Absturz hat sich bisher noch kein Anbieter komplett erholt, was auch daran liegt, dass angesichts schnell wachsender Anbauflächen mehr Ware auf den Markt kommt, was den Preis drückt.

Dennoch strecken erste europäische Firmen aus der Tabak- Getränke- und Agrarbranche ihre Fühler aus. British American Tobacco (BAT) aus London, einer der größten Zigaretten-Konzerne der Welt hat jüngst für noch bescheidene 176,6 Millionen Dollar den Einstieg bei OrganiGram gewagt, einem Unternehmen, das auf Cannabis setzt. Der Schweizer Pflanzenschutz- und Saatguthersteller Syngenta hat nach Auskunft des Fachblatts Hemp Industry Daily seine Lobbyarbeit zum Thema Hanf begonnen. Firmenvertreter sagten, sie seien besonders daran interessiert, dass die US-Umweltschutzbehörde Registrierungen für Pestizide erteilt, die bei Hanf verwendet werden können. Syngenta ist in Sachen Pflanzenschutz ein entscheidender Konkurrent von Bayer in Leverkusen, für die das Thema Umgang mit Cannabis damit auch näher rückt.