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Steht die Welt vor einer neuen Finanz- und Bankenkrise?

Bleiben die Auswirkungen des Zusammenbruchs der Silicon Valley Bank begrenzt – oder spitzt sich die Lage zu und wird zur systemischen Krise? Der Star-Volkswirt Michael Heise über die Fakten, die Besonderheiten von Bankenkrisen und welche Lehren Anleger aus der Krise ziehen sollten

(Bild: Shutterstock)

Bleiben die Auswirkungen des Zusammenbruchs der Silicon Valley Bank begrenzt – oder spitzt sich die Lage zu und wird zur systemischen Krise? Der Star-Volkswirt Michael Heise über die Fakten, die Besonderheiten von Bankenkrisen und welche Lehren Anleger aus der Krise ziehen sollten
 
Auch zwei Wochen nach dem Kollaps der Silicon Valley Bank (SVB) in den USA besteht keine Einigkeit unter Finanzmarktexperten, ob die dadurch ausgelösten Turbulenzen an den globalen Finanzmärkten bald vorüber sind und gewissermaßen eine erwartbare Anpassung an höhere Zinsen darstellen, oder, ob sie sich zu einer systemischen Krise auswachsen könnten.
 
Typischerweise wird bei Bankenkrisen zunächst auf die Fakten geschaut, die für eine begrenzte Problematik sprechen könnten. Die SVB war im Verhältnis zu den amerikanischen Großbanken relativ klein, sie wurde daher keiner besonders strengen Überwachung unterzogen, wie das bei größeren systemischen Banken der Fall ist, und sie hatte eine spezielle Kundschaft mit zahlreichen Firmen aus der Start-Up-Szene, die ihre Einlagen in der letzten für Start-Ups schwierigen Zeit recht deutlich reduzieren mussten. Aus diesem Blickwinkel könnte man die Entwicklung als einen begrenzten Kollateralschaden der kräftigen Zinserhöhungen und der inversen Zinsstruktur der vergangenen Monate ansehen. Aber schon die jüngste Forderung der amerikanischen Bankenverbände nach einer höheren Absicherung von Einlagen durch den Einlagensicherungsfonds zeigt, dass mit weiteren Liquiditätsproblemen zumindest bei einigen mittelgroßen regionalen Banken gerechnet werden kann.
 
Bei Bankenkrisen spielen Psychologie und Vertrauen eine große Rolle
 
Das Problem bei der Vorhersage von Bankenkrisen ist, dass Psychologie und Vertrauen neben allen komplexen Wirkungszusammenhängen eine sehr große Rolle spielen und schwer zu prognostizieren sind. Private Haushalte und Unternehmen, die größere unbesicherte Anlagen bei Banken halten, werden sich natürlich fragen, wie sicher diese Einlagen sind. Bestehen daran Zweifel, werden Einlagen verlagert, etwa von kleineren Regionalbanken zu größeren Häusern, die nicht nur intensiver überwacht werden, sondern aufgrund ihrer Größe unter einem vermuteten staatlichen Schutzschirm stehen (too big to fail), oder sie werden in kurzlaufende Wertpapiere oder Bargeld verlagert.
 
Ob solche Prozesse stattfinden, die das gesamte Bankensystem in Schwierigkeiten bringen könnten, hängt wiederum an der Glaubwürdigkeit der Zusagen von Notenbanken und Einlagensicherungsfonds ab. Bei der SVB konnte diese Zusicherung gemacht werden, aber wenn immer mehr Banken von einem Einlagenabzug betroffen wären, würden die Einlagensicherungsfonds, die von den Banken selbst finanziert werden, nicht mehr ausreichen, um eine vollständige Absicherung zu gewährleisten. Am Ende ist es dann nur die Zusage der Regierungen, also der Steuerzahler, die eine negative Spirale von Einlagenabzug und Liquiditätsengpässen im Bankensystem verhindern kann. Die in der Finanzkrise im Jahr 2008 gegebene Zusage der früheren Bundeskanzlerin Merkel und des damaligen Finanzministers Steinbrück, dass alle Einlagen sicher sind, ist das prominenteste Beispiel für eine solche staatliche Rettungszusage.
 
Welche Argumente gegen eine Ausweitung der Krise sprechen
 
Muss es auch diesmal so weit kommen? Einige Argumente sprechen dagegen. Erstens gibt es ein Marktkorrektiv in Form sinkender Zinsen und Zinserwartungen. So war in den Tagen nach dem SVB Kollaps und wieder nach dem Kurseinbruch der Credit Suisse zu beobachten, dass die Renditen für Staatsanleihen zurückgehen, also die Bewertungen dieser Wertpapiere steigen. Dies reduziert die Verluste, wenn Banken Staatsanleihen verkaufen, um zusätzliche Liquidität zu schaffen. Zusammen mit der Zusage der amerikanischen Notenbank, Staatsanleihen zum Nennwert als Besicherung für Kreditlinien zu akzeptieren, sollte dies beruhigend wirken.
 
In Bezug auf die Zinspolitik befinden sich die Zentralbanken allerdings in einem Dilemma. Denn angesichts der hartnäckig hohen Inflation müssten sie die Zinsen weiter anheben, was auch die Kapitalmarktrenditen tendenziell erhöht und Bewertungsverluste nach sich zieht. Verzichten Sie auf weitere Zinserhöhungen, um einer Bankenkrise vorzubeugen, wird das die Inflationserwartungen eher steigern und längerfristige Probleme erzeugen. Die EZB hat sich für eine Anhebung der Zinsen trotz der Marktturbulenzen entschieden. Aufgrund dieser schwierigen Situation ist in den nächsten Wochen mit erhöhter Volatilität zu rechnen.
 
Besonders wichtig sind zum zweiten die potentielle Liquiditätszusagen der Zentralbanken, wie sie von der schweizerischen SNB der US-Notenbank gemacht wurden, wobei letztere die Staatsanleihen sogar zum Nennwert als Besicherung für Kreditlinien akzeptiert. Durch diese Programme können die immer noch sehr hohen Zentralbankreserven der Geschäftsbanken – in der Europäischen Währungsunion liegen sie bei etwa 4 Billionen Euro, in den USA bei 3 Billionen USD – im Bedarfsfalle ausgeweitet werden. Dies sollte einer negativen Angstpsychologie die Grundlage entziehen. Allerdings steigt auch durch solche Kredite das Risiko für den Steuerzahler. Und die Pläne der Notenbanken, ihre aufgeblähten Bilanzen zu reduzieren, dürften erstmal ad acta gelegt werden.
 
Welche Lehren sollten Anleger aus der Krise ziehen?
 
Zunächst zeigt sich wieder einmal, dass Bankenrisiken offenbar auch für Zentralbanken und Ratingagenturen schwer vorhersehbar sind. Die kräftigen Leitzinserhöhungen der Notenbanken, die den Aktienkursen vieler Banken zunächst Rückenwind gegeben hatten, bringen für Banken ein Problem mit sich, wenn Einleger Geld abziehen und dafür langfristige, niedrig verzinsliche Staatsanleihen mit Verlusten verkauft werden müssen, weil anderweitige Kreditlinien nicht zur Verfügung stehen.
 
Dass weitere Banken von diesen Entwicklungen negativ betroffen sein könnten, ist keineswegs auszuschließen. Denn es ist ein Kerngeschäft der Banken, kurze Einlagen langfristig anzulegen. Diese sogenannte Fristentransformation, die volkswirtschaftlich durchaus erwünscht ist, bietet aber bei inversen Zinsstrukturen und plötzlichem Einlagenabzug auch erhebliche Risiken, wie sich in früheren Finanzmarktkrisen immer wieder gezeigt hat: Es kommt auf ein gutes Management der klassischen Zinsrisiken an.
 
Aus alledem lässt sich wohl ableiten, dass Anleger eine sehr vorsichtige Positionierung im Finanzsektor bevorzugen sollten. Die Margen der Banken dürfte durch die jüngsten Ereignisse unter Druck stehen, denn zum einen ist der Wettbewerb um Einlagen schärfer geworden, zum anderen werden die Anleihegläubiger und die Aktionäre in Schieflage geratenen Banken eben nicht durch die bisherigen Maßnahmen der Einlagensicherung oder der Notenbank geschützt. Insoweit ist die Zeit für einen Kauf von Banktiteln trotz der erheblichen Rückschläge wohl noch nicht gekommen. Auch am Aktienmarkt insgesamt dürfte die Phase der Volatilität noch anhalten. Eine Aufwärtsbewegung am Markt könnten allenfalls die Zentralbanken auslösen, indem sie ihre restriktive Anti-Inflationspolitik grundsätzlich korrigieren und etwa auf Zinssenkungen hinweisen. Diese Wette ist jedoch nicht zu empfehlen, denn die Zentralbanken werden die Glaubwürdigkeit ihres Stabilitätsversprechens nicht in Frage stellen. Würde auch daran gezweifelt, wären die nächsten Krisen programmiert.

Michael Heise

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