Fall Wirecard: EY gerät in Erklärungsnot
Britische Bilanzaufsicht geht massiv gegen Wirtschaftsprüfer vor. Trennung von Beratung und Prüfung soll Pflicht werden. EY gerät in Erklärungsnot.
Britische Bilanzaufsicht geht massiv gegen Wirtschaftsprüfer vor. Trennung von Beratung und Prüfung soll Pflicht werden. EY gerät in Erklärungsnot.
Im Fall des offenbar betrügerisch handelnden Dax-Konzerns Wirecard könnte eine aktuelle Entscheidung aus Großbritannien das Beratungshaus EY in ernsthafte Schwierigkeiten bringen: Die Bilanz-Aufsichtsbehörde (FRC) in London, die die Standards der Buchhaltung von Unternehmen überwacht, hat jetzt Richtlinien ausgearbeitet, wonach Wirtschaftsprüfer, die ihr Siegel unter die Bilanzen eines Unternehmens stempeln, nicht auch als Berater desselben Unternehmens tätig sein dürfen. Genau diese Praxis betreiben aber die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, was zu einem gravierenden Problem werden kann.
Die britische Behörde hat mehrere Jahre lang die Praxis der vier großen Wirtschaftsprüfungs-gesellschaften EY, PwC, KPMG und Deloitte untersucht. Dabei stellte sie fest, dass „Quersubventionen“ stattfinden: Die Wirtschaftsprüfer bieten Beratungsdienstleistungen an, die nicht viel mit ihrer ursprünglichen Tätigkeit zu tun haben. Die Verhältnisse verschieben sich dabei seit Jahren. Während das Wachstum im angestammten Geschäftsfeld bescheiden ist, steigen die Gewinne im Beratungsgeschäft deutlich. Die britischen Kontrolleure sind sich deswegen einig: In der Praxis müssen sich die „Big four“, wie die vier führenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften genannt werden, auf „qualitativ hochwertige Prüfungen im öffentlichen Interesse“ konzentrieren. Dazu müssen Prüfung und Beratung künftig strikt getrennt werden. Jon Thompson, Chef der FRC, sagte dazu in London: „Die operative Trennung der Prüfungspraktiken gehört zur Strategie der FRC, um die Qualität und Effektivität der Unternehmensberichterstattung zu verbessern.“
Professionelle Skepsis gefordert
Im Detail schreiben die Finanzmarktkontrolleure fest, dass die Gewinne der „Big four“ nicht mehrheitlich aus dem Beratungsgeschäft kommen dürfen und dass die Unternehmenskultur bei EY und anderen von „ethischem Verhalten, Offenheit, Teamarbeit und professioneller Skepsis“ geprägt sein muss. „Wirtschaftsprüfer müssen im öffentlichen Interesse und zum Nutzen der Aktionäre und der Gesellschaft insgesamt handeln“, schreibt der FRC den Prüfern ins Stammbuch.
Genau daran hat es aber offenbar im Fall von EY und Wirecard gemangelt. EY hat mehrere Bilanzen des Skandal-Unternehmens geprüft und testiert, obwohl Hinweise auf mögliche Bilanzmanipulationen vorlagen. Erst ein Sondergutachten der Konkurrenz von KPMG zu den Bilanzen von Wirecard, das verheerende Versäumnisse bei dem Dax-Konzern offenlegte, ließ auch EY stutzig werden.
Der Fall von EY und Wirecard erinnert fatal an das Vorgehen der Prüfer von Artur Anderson beim einstigen texanische US-Energieriesen Enron. Arthur Anderson hatte dessen Bilanzen testiert und damit für richtig befunden, bis sich herausstellte, dass auch bei Enron nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war und das Unternehmen im Jahr 2001 spektakulär in die Pleite rauschte. Darauf brach eine Diskussion los, der der heutigen gleicht: Aktionäre reichten Klage ein, Fondsmanager beschwerten sich und die US-Finanzaufsicht führte die gleichen Argumente wie jetzt die britischen Kollegen ins Feld: Michael Granoff etwa, damals Professor für Bilanzierung an der University of Texas in Austin, sagte: „Nie hatten die Wirtschaftsprüfer einen schlechteren Ruf. Die Politiker sind aufgewacht, und sie werden erhebliche Veränderungen in der Branche herbeiführen." Und der frühere Vorsitzende der US-Finanzmarktaufsicht SEC Arthur Levitt verlangte stärkere Kontrollen in der Branche. So sollte es Wirtschaftsprüfern nicht mehr erlaubt sein, ihren Prüfungskunden Beratungsleistungen anzubieten. Aufgrund der Interessenverquickung sei eine saubere, unvoreingenommene Beurteilung praktisch Utopie. In den USA wurde darauf durchgegriffen: Mit dem sogenannten Sarbanes-Oxley-Act von 2002 mussten sich die Prüfer von ihren Beratungssparten trennen.
Aus „Big five“ wurden „Big four“
Die Diskussion hatte allerdings vorher dazu geführt, dass Arthur Anderson seine Zulassung als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zurückgab, der verbliebene Beratungsteil wurde in Accenture umbenannt und aus den „Big five“ waren so die „Big four“ geworden. So wie auf Arthur Anderson damals rollt nun auch auf EY eine Klagewelle zu. Anlegerschützer wie der SdK haben bereits Klagen eingereicht. Auch der japanische Wirecrad Großinvestor Softbank will die deutschen Wirtschaftsprüfer vor Gericht sehen.
EY selbst wehrt die Vorwürfe bisher ab. Die Wirtschaftsprüfer sehen sich als Opfer des Wirecard-Betrugssystems. „Auch mit umfangreich erweiterten Prüfungshandlungen ist es unter Umständen nicht möglich, diese Art von konspirativem Betrug aufzudecken“, heißt es von den Prüfern.
Dem britischen FRC genügt das allerdings nicht. Sie verlangt von den „Big four“ ultimativ zumindest in seinem Land, dass ein verbindlicher Plan zur Trennung von Prüfung und Beratung bis zum Oktober vorliegt. Danach werde der FRC bewerten, ob die Vorschläge ausreichen oder weitere Druck erforderlich sei.
Oliver Stock
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