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VW: Schlag auf Schlag und kein Ende in Sicht

Volkswagen muss wegen des Abgasskandals bluten. Fast täglich treten neue Akteure auf den Plan und drohen dem Konzern mit Ermittlungen, Verboten und Klagen. In Belgien und der Schweiz dürfen vorläufig keine VW-Neufahrzeuge mehr zugelassen werden. Jetzt will auch der erste Privatanleger sein Geld zurück.

BÖRSE am Sonntag

Volkswagen muss wegen des Abgasskandals bluten. Fast täglich treten neue Akteure auf den Plan und drohen dem Konzern mit Ermittlungen, Verboten und Klagen. In Belgien und der Schweiz dürfen vorläufig keine VW-Neufahrzeuge mehr zugelassen werden. Jetzt will auch der erste Privatanleger sein Geld zurück.

Schon in den ersten Tagen nach Bekanntwerden des Abgasskandals bei Volkswagen war klar: Das wird teuer. Allein die US-Behörden könnten Strafen von bis zu 18 Milliarden Dollar verhängen. Doch weil sich seitdem immer neue Konsequenzen ergeben haben, ist jede Schätzung des drohenden Schadens pure Spekulation. Zunächst wird Volkswagen dafür Sorge tragen müssen, dass die elf Millionen von der Manipulation betroffenen Dieselfahrzeuge in aller Welt schnellstmöglich versorgt werden.

In einer Mitteilung vom Dienstag stellte der Konzern einen enstprechenden Aktionsplan vor. Dort wird angekündigt, „dass Volkswagen und die weiteren betroffenen Marken des Konzerns im Oktober den zuständigen Behörden die technischen Lösungen und Maßnahmen vorstellen. Die Kunden dieser Fahrzeuge werden in den nächsten Wochen und Monaten darüber informiert.“

Glaubt man den jüngsten Statements des Konzerns, ist Volkswagen zudem äußerst bemüht um schnelle Aufklärung gegenüber Investoren im Manipulationsskandal. Angesichts des Ärgers vieler Aktionäre sind die Wolfsburger damit auch gut beraten. Denn beim Landgericht Braunschweig liegt jetzt die erste Klage eines Privatanlegers gegen Volkswagen vor, der durch den abrupten Kursabsturz der VW-Aktie rund 20.000 Euro verloren hatte. Die Anwälte des Klägers werfen Volkswagen unterlassene sowie unvollständige Kapitalmarkt-Informationen gegenüber den Aktionären vor und fordern Schadensersatz.

Zulassungsstopp in Belgien und der Schweiz

Während sich in den USA schon dutzende Kunden für Sammelklagen zusammengeschlossen haben, droht in mehreren Ländern auch von staatlicher Seite Ärger. Die Pariser Staatsanwaltschaft hat erste Ermittlungen wegen mutmaßlichen schweren Betrugs gegen den größten europäischen Autobauer eingeleitet. Dort sind nach Angaben von VW rund 950.000 Fahrzeuge betroffen. In Belgien sind es nach Schätzungen des Wirtschaftsministeriums zirka 500.000 Autos. Der belgische VW-Importeur hat die betroffenen Modelle bis auf weiteres vom Markt genommen. In der Schweiz gilt ab Montag ebenfalls ein vorläufiges Zulassungsverbot von neuen Volkswagen, wie das eidgenössische "Bundesamt für Strassen" (ASTRA) mitteilte.

Am Freitag meldete sich auch die australische Verbraucherschutzbehörde ACCC in Person von Chef Rod Sims zu Wort: "Wir sind sehr besorgt über die potenziellen Verbraucher- und Wettbewerbsnachteile." Pro Fahrzeug, das von der gesetzeswidrigen Manipulation betroffen ist, droht Volkswagen eine Strafe von 1,1 Millionen australischen Dollar – bei bis zu 50.000 verkauften Autos aus dem fraglichen Zeitraum wäre auch diese Nachricht katastrophal. Während die Wolfsburger Fußballer einen gewissen Polen fürchten, machen sich auch Autobauer aus Mittel- und Osteuropa Sorgen um ihre Absätze.

Bevor am kommenden Mittwoch der VW-Aufsichtsrat zu einer erneuten Krisensitzung zusammentritt, wollen die VW-Mitarbeiter nach dpa-Informationen am Dienstag eine Betriebsversammlung veranstalten. Auf weitere Informationen aus Deutschland will man in Italien jedoch nicht warten, sondern selbst VW-Dieselfahrzeuge überprüfen. Das teilte Verkehrsminister Graziano Delrio der Turiner Tageszeitung „La Stampa“ mit: „Jeder Test kostet rund 8000 Euro, aber das ist es uns wert. Wir werden die Ergebnisse in zwei bis drei Monaten haben“. 

Analystenmeinungen klaffen weit auseinander 

Wenigstens der Ex-VW-Chef Winterkorn darf aufatmen: Wie die Staatsanwaltschaft Braunschweig mitteilte, sei die Meldung über ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen Winterkorn fehlerhaft gewesen. Aufgrund eingegangener Anzeigen habe man lediglich ein sogenanntes Vorermittlungsverfahren gestartet. Medienrechtler sehen darin aber mehr als nur einen formalen Fauxpas. Demnach hat die Meldung eindeutig Winterkorns Persönlichkeitsrechte verletzt. Allein die Tatsache, dass der Name des ehemaligen CEOs auftaucht, sei aufgrund der geltenden Richtlinien zur Anonymisierung unzulässig.

An der Börse befindet sich der Volkswagen-Konzern trotzdem weiter auf Talfahrt. Am Freitagnachmittag hielt sich die VW-Aktie nur noch knapp über der 90-Euro-Marke und steht aktuell mit einem Minus von knapp fünf Prozent bei 91 Euro. Noch in der Vorwoche hatte das Papier bei über 107 Euro geschlossen. Seit Bekanntwerden der Manipulation von Abgaswerten am 18. September hat Volkswagen an der Börse etwa 44 Prozent an Wert verloren. Alexander Haissl von der Schweizer Bank Credit Suisse hat das Kursziel daher von ehemals 169 auf 82 Euro gesenkt und die Einstufung auf „underperform“ belassen. Der Analyst weist auf Risiken im Geschäft mit Finanzdienstleistungen hin und sieht die Gefahr einer Kapitalerhöhung.

Rückzug aus den USA?

Deutlich optimistischer zeigt sich die US-Investmentbank Morgan Stanley mit einem Kursziel von 130 statt 185 Euro. Analyst Harald Hendrikse geht in einer Studie vom Freitag von 13 Milliarden Euro an Cash-Kosten als Folge des Abgasskandals aus. Hendrikse rechnet im kommenden Jahr mit geringeren Verkäufen, schlechteren Preisen und höheren Finanzierungskosten. Daher bleibt die Einstufung bei „Equal-weight“. 

Die langfristigen Folgen des Abgasskandals, auch für das Image des Konzerns und der gesamten Branche, sind nicht abzusehen. Der Nord-LB-Analyst Frank Schwope empfiehlt Volkswagen, einen Komplettausstieg der Marke Volkswagen-Pkw in den USA in Erwägung zu ziehen. Seit 2007 habe der Konzern in Nordamerika keine Gewinnkennzahlen mehr erzielt, so Schwope. Für Audi und Porsche erwartet der Analyst hingegen deutliche Gewinne in den USA.

In einer Krise wie dieser offenbart sich wieder einmal die Natur der Finanzwelt. Ob und wann sich Volkswagen von den anstehenden Schlägen erholen kann, ist völlig unklar – Diskutanten mit guten Argumenten gibt es auf allen Seiten. 

Marius Mestermann