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Abgasskandal: Kriegt VW die Kurve?

Nach dem Manipulationsskandal bei Volkswagen versucht der Konzern, die Lage mit Investitionskürzungen zu beruhigen. Für die anstehenden Milliardenausgaben und eventuelle Strafen brauchen die Wolfsburger jeden Cent. An der Börse ist der Abgas-Schock vorerst verdaut, einige Analysten stellen eine Rückkehr der VW-Aktie in Aussicht. Doch es droht neuer Ärger mit den Umweltbehörden. Stichwort: Abwrackprämie.

BÖRSE am Sonntag

Nach dem Manipulationsskandal bei Volkswagen versucht der Konzern, die Lage mit Investitionskürzungen zu beruhigen. Für die anstehenden Milliardenausgaben und eventuelle Strafen brauchen die Wolfsburger jeden Cent. An der Börse ist der Abgas-Schock vorerst verdaut, einige Analysten stellen eine Rückkehr der VW-Aktie in Aussicht. Doch es droht neuer Ärger mit den Umweltbehörden. Stichwort: Abwrackprämie.

Die Senkung von Investitionen ist in der Autobranche eine heikle Angelegenheit, schließlich geht es oft um die Modelle und Absätze von morgen. Doch Volkswagen sieht nach dem Abgasskandal, von dem weltweit rund elf Millionen Dieselfahrzeuge betroffen sind, keine Alternative: Pro Jahr wollen die Wolfsburger eine weitere Milliarde Euro weniger in die Kernmarke VW investieren. 

"Die Marke Volkswagen stellt sich für die Zukunft neu auf. Wir werden effizienter, richten die Produktpalette und Kerntechnologien neu aus und schaffen uns mit dem beschleunigten Effizienzprogramm den Spielraum für zukunftsweisende Technologien", verspricht Markenchef Herbert Diess in einer Mitteilung vom Dienstag. 

Als direkte Konsequenz aus dem Dieselskandal, der im September in den USA seinen Anfang nahm, will Volkswagen zudem eine neue Strategie in Europa und Nordamerika verfolgen. Durch den vollständigen Umstieg auf die SCR- und AdBlue-Technologie bei Diesel-Aggregaten sollen nur noch „die umwelttechnisch besten Abgassysteme“ zum Einsatz kommen.

Einsparungen in Milliardenhöhe: Trifft es bald Zulieferer und Belegschaft?

Außerdem setzt Volkswagen zukünftig stärker auf Plug-In-Hybride und Elektrofahrzeuge, die mithilfe des „Modularen Querbaukastens“ produziert werden können. Auch ein sogenannter „Elektrifizierungsbaukasten“ ist in Planung. Für die Premiumkarosse „Phaeton“ soll ein „voll elektrischer Antrieb mit Langstreckentauglichkeit“ kommen. Und: ein „emotionales Design.“

Doch mit einer gesparten Milliarde pro Jahr und emotionalem Design ist es vielleicht nicht getan. Je nachdem, wie hoch die gesamten Kosten durch Strafen und Schadensersatzforderungen ausfallen, muss Volkswagen auch an anderen Stellen den Rotstift ansetzen. Mehreren Medienberichten zufolge könnte es sowohl Zulieferer als auch die eigenen Mitarbeiter treffen. Das Sparprogramm muss in jedem Fall greifen, das weiß auch Herbert Diess. Sonst steht Volkswagen vor dem Abgrund.

Abgasskandal und Abwrackprämie: Umweltpolitik als Hoffnung und Sorge

Langfristige Erleichterung könnte von politischer Seite her kommen. Die neue, elektrische Orientierung bei VW passt nämlich gut zu den Forderungen, die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks in einem aktuellen Positionspapier stellt. Laut „Süddeutscher Zeitung“, der das Dokument vorliegt, tritt Hendricks für härtere Grenzwerte und strengere Tests ein. 

Das ist aber nicht alles: Es brauche "neben steuerlichen Anreizen eine Kombination aus einer verpflichtenden Quote für E-Fahrzeuge, verbunden mit einem staatlichen Kaufzuschuss." À propos staatlicher Kaufzuschuss: Unterdessen prüft das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) eine Rückforderung für vom Manipulationsskandal betroffene Fahrzeuge, die im Zusammenhang mit der weithin als „Abwrackprämie“ bekannten Spritze für die Autoindustrie stehen. 

Das geht aus einem aktuellen Bericht des „Manager Magazins“ hervor. Demnach betrug die Förderung für 700.000 Fahrzeuge des Volkswagen-Konzerns in den Jahren 2009 und 2010 rund 1,75 Milliarden Euro. Umweltschützer fordern nun, dass die Wolfsburger den erlangten Vorteil zurückzahlen, sofern es sich um Dieselautos mit manipulierter Software handelt. Doch auch in dieser Angelegenheit ist weitere Aufklärung vonnöten.

Aktie zuletzt stabil: Ist der „worst case“ schon eingepreist?

Anleger befürchten, dass auch sie stärker unter dem Manipulationsskandal leiden werden. „Dividendenkürzung“ und „Kapitalerhöhung“ sind die Stichworte, die die Suppe in der Gerüchteküche versalzen. Der Automobil-Experte Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg: „Die Wahrscheinlichkeit einer Kapitalerhöhung liegt bei über 50 Prozent.“ 

Wie eine Umfrage des Handelsblatts ergab, rechnen Top-Banken aber erst mit einem solchen Schritt, wenn die Gesamthöhe der Kosten klare Konturen annimmt. Derzeit kursieren verschiedenste Zahlen in mindestens zweistelliger Milliardenhöhe. Allein in den USA droht eine Strafe von bis zu 18 Milliarden US-Dollar. 

Ob sich bei der derzeit diffusen Faktenlage ein Einstieg in die VW-Aktie lohnt, ist schwer zu sagen. Das beweist die Vielzahl widersprüchlicher Analystenschätzungen, die in den letzten Tagen und Wochen veröffentlicht wurden. Derzeit notiert das Papier mit einem hauchdünnen Plus bei 106,50 Euro. Der Aktienkurs ist damit wieder auf dem Niveau von vor drei Wochen angelangt und hält sich stabil über der 100-Euro-Marke. 

Kursziele über 130 Euro

Im Analysehaus Kepler Cheuvreux blickt man gelassen auf die Situation. Die Bewertung für Volkswagen Vorzugsaktien bleibt bei „Hold“ und einem Kursziel von 136 Euro. Analyst Michael Raab schätzt die Kosten für Nachbesserungen am Motorenmodell EA 189 auf etwa 3,4 Milliarden Euro. Bei der US-Investmentbank Morgan Stanley ist man weniger optimistisch, rechnet aber trotzdem mit einer weiteren Erholung. 

Analyst Harald Hendrikse senkte das Kursziel für die Vorzugsaktien am Montag von 130 auf 125 Euro., die Einstufung bleibt bei „Equal-weight“. Hendrikse verweist in seiner heutigen Studie auf eine Entscheidung von Standard & Poor's. Die Ratingagentur hatte die Finanzierungstochter Volkswagen Financial Services am Montag auf „A-“ herabgestuft. Solche Ereignisse seien ein „Schlüsselrisiko“ für Volkswagen, so Hendriksen.

Wer also Optimist ist und auf das VW-Krisenmanagement vertraut, kann bei der Vorzugsaktie durchaus zugreifen. Zu Risiken und Nebenwirkungen helfen aber weder Arzt noch Apotheker. 

Marius Mestermann