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Der Brexit und seine Folgen

Die Angst vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU, dem „Brexit“, wächst. An der Börse geht es mit den Kursen seit Tagen abwärts und auch bei vielen Firmen macht sich mittlerweile Sorge breit. Die Folgen für Europa und Großbritannien wären immens. Und auch die deutsche Wirtschaft könnte die Folgen schmerzhaft zu spüren bekommen. Der eigentliche Austritt des Landes würde zwar erst frühestens in zwei Jahren erfolgen, doch bereits in der Übergangsphase ist mit konjunkturellen Belastungen zu rechnen.

BÖRSE am Sonntag

Die Angst vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU, dem „Brexit“, wächst. An der Börse geht es mit den Kursen seit Tagen abwärts und auch bei vielen Firmen macht sich mittlerweile Sorge breit. Die Folgen für Europa und Großbritannien wären immens. Und auch die deutsche Wirtschaft könnte die Folgen schmerzhaft zu spüren bekommen. Der eigentliche Austritt des Landes würde zwar erst frühestens in zwei Jahren erfolgen, doch bereits in der Übergangsphase ist mit konjunkturellen Belastungen zu rechnen.

Drei Szenarien – von „sanft“ bis „hart“

Eine Studie des ifo Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2015 geht bei einem Austritt Großbritanniens von folgenden drei Szenarien aus:

Beim „sanften Ausstieg“ erhält Großbritannien einen ähnlichen Status wie die Schweiz und Norwegen, die ein Handelsabkommen mit der EU haben. Vorteil wäre aus britischer Sicht, dass es keine Zölle gäbe. Allerdings bestünde das Problem der sogenannten nicht-tarifären Handelshemmnisse. Dabei handelt es sich beispielsweise um Vorschriften bei der Kennzeichnung von Produkten oder Umweltstandards. Wenn diese Regeln nicht mehr einheitlich sind – eben weil durch einen Brexit dies- und jenseits des Ärmelkanals wieder unterschiedliche Regeln gelten -, entstehen für die Unternehmen zusätzliche Kosten

Beim zweiten Szenario gibt es kein spezielles Handelsabkommen. Dies hätte zur Folge, dass sowohl britische als auch EU-Unternehmer wieder Zölle zahlen müssten und ihre Waren sich verteuerten.

Im ungünstigsten Fall verliert Großbritannien alle Privilegien – also auch jene, die sich aus den 38 existierenden Handelsverträgen der EU mit anderen Staaten ergeben.

Folgen für die Britische Wirtschaft

Fast die Hälfte der britischen Exporte gehen in die EU, jedoch werden nur etwa zehn Prozent der EU-Exporte in Großbritannien abgesetzt. Daraus wird ersichtlich, dass für die Briten mehr auf dem Spiel steht als für die restlichen EU-Länder. Die enge Verflochtenheit mit Europa gilt in herausragender Weise für die Finanzdrehscheibe London. Wie kaum ein anderes OECD-Land ist Großbritannien seit der von Margaret Thatcher durchgeboxten Deindustrialisierung durch eine Monokultur charakterisiert. Die Briten haben einen mit Blick auf ihre nationale Größe maßlos überdimensionierten Finanzplatz. Sowohl gesamtwirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung wie auch die Einnahmen der öffentlichen Haushalte sind existenziell vom guten Geschäftsgang der Banken und Finanzinstitute abhängig.

Der Binnenkonsum ist hoch und die Erträge von Auslandsinvestitionen und Vermögensanlagen reichen für eine ausgeglichene Leistungsbilanz nicht aus. Kapitalzuflüsse aus dem Ausland finanzieren derzeit diese Löcher. Wertet das Pfund als Folge des Brexits stark ab, oder wird so etwas befürchtet, ist das Auslandskapital auch schnell wieder weg. Damit werden Importe teurer, die Exporte verbilligen sich. Shawn Koopman, Finanzexperte beim irischen Devisen-Broker AvaTrade, warnt: „Es wird interessant sein zu sehen welche Maßnahmen die britische Nationalbank (BOE) unternimmt, sollte es tatsächlich zu einem Brexit kommen. Einerseits könnten die Leitzinsen weiter gesenkt werden damit die Konjunktur belebt wird. Dies würde jedoch den Pfund noch stärker devaluieren und inflationäre Probleme bringen. Um das zu vermeiden, könnte auch die britische Notenbank sich zur Erhöhung der Zinsen gezwungen fühlen, um die Inflation zu kontrollieren und Kapital weiter anzulocken. Doch ein stärkerer Pfund würde sich negativ auf Exporte und Arbeitslosigkeit auswirken. Wie die BOE sich aus diesem Dilemma befreien kann und wie die Märkte darauf reagieren werden, bleibt eine spannende Frage.“

Doch selbst bei einem Verbleiben Großbritanniens in der EU dürfte das Pfund längerfristig eher schwächer bleiben als stärker werden. Zu viel Porzellan wurde in der Brexit-Debatte im In- und Ausland zerschlagen, um einfach so zum Business as usual zurückzukehren. Bis das verlorene Vertrauen auf beiden Kanalseiten für eine gemeinsame Zukunft wiedergewonnen wird.

Wie wahrscheinlich ist der Brexit?

Die Umfragen sind derzeit nicht ganz eindeutig. Die Statistik der Financial Times ergab zuletzt einen knappen Vorsprung der Europa-Befürworter gegenüber den Austritts-Anhängern. Für den Austritt sind viele Ältere über 60 Jahre, während die Jugend recht eindeutig für den Verbleib in der EU ist. Das gilt auch für die Anhänger der Labour-Partei und der Liberaldemokraten. Bei den Wählern der Konservativen gibt es eine knappe Mehrheit für den Austritt, bei den Anhängern der Ukip-Partei sind es nahezu alle. Die Schotten wollen mehrheitlich nicht aus der EU; aber wenn es so käme, dann wohl doch aus der Union mit England. Die Arbeiterschaft neigt klar zum Austritt, die Besserverdienenden sind deutlich für die EU.

Der Brexit ist die Zustimmung zu einer national(istisch)en Politik gegen eine freie Migration in Europa und gegen Flüchtlinge aus aller Welt. Befürworter wollen „britische Arbeit britischen Arbeitern“ vorbehalten und lehnen offene Grenzen für europäische Arbeitskräfte und Direktinvestitionen ab. Liberalismus sieht anders aus. Und moderne Gesellschaften streben nach etwas anderem als Isolation und selbst ernannte Unabhängigkeit. Die Brexit-Frage hat in Großbritannien tiefe Gräben gerissen in Familien, zwischen Jung und Alt, Nachbarn, Sektoren und Regionen, Stadt und Land, London und dem übrigen Land. Deshalb wird so oder so auch nach dem 23. Juni lange nichts mehr so sein, wie es war. Für die Briten ist das Referendum nicht das Ende der Europadiskussion, aber ein Brexit könnte zum Anfang vom Ende des Vereinigten Königreichs werden.