Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Märkte >

Kurzfristiges Wachstum, langfristige Risiken

Japan, China und Europa: diese drei wichtigen Märkte leiden unter einer wachsenden Schuldenlast und haben bei der Umsetzung von dringend nötigen Strukturreformen kaum Fortschritte erzielt. Politische Unterstützung kam von den Notenbanken, die mit immer extremeren Maßnahmen Vermögenswerte aufgebläht und die Volatilität unterdrückt haben. Wie wird es angesichts des Trump-Jump in den größten Märkten rund um die USA weitergehen?

BÖRSE am Sonntag

Europa, Japan und China: diese drei wichtigen Märkte leiden unter einer wachsenden Schuldenlast und haben bei der Umsetzung von Strukturreformen, die zu nachhaltigerem Wirtschaftswachstum beitragen könnten, kaum Fortschritte erzielt. Politische Unterstützung kam von den Notenbanken, die mit immer extremeren Maßnahmen Vermögenswerte aufgebläht und die Volatilität unterdrückt haben. Wie wird es angesichts des Trump-Jump in den größten Märkten rund um die USA weitergehen?

Von Andrew Wilson

Wir halten die Ungleichgewichte in den genannten Ländern beziehungsweise Regionen für höchst problematisch und gehen davon aus, dass sich der Neuausrichtungsprozess volatil gestalten wird. Da das Potential der Geldpolitik praktisch ausgeschöpft ist, könnten die Märkte einem neuen Regime entgegensteuern, was das Umfeld für Risikoanlagen noch schwerer gestalten würde. Kurzfristige Faktoren deuten nichtsdestotrotz darauf hin, dass dies allerdings erst einmal unwahrscheinlich ist. Trotzdem halten wir schon jetzt Ausschau nach Impulsgebern, die eine solche Veränderung herbeiführen könnten.

Europa: Politische Spannungslinien

Wenn am Markt ein kurzfristiges Risiko für einen Regimewechsel besteht, müsste der Impuls dafür aus der Eurozone kommen. Frankreich und Deutschland stehen 2017 Wahlen ins Haus. Angesichts der bevorstehenden Wahlen sowie der erhöhten Staatsausgaben für Flüchtlinge und Sicherheit ist die Fiskalpolitik in der Eurozone vom Spar- auf den Lockerungsmodus umgeschwenkt. Die Europäische Kommission toleriert bereits gewisse Haushaltsabweichungen und dürfte die Regeln für die Eurozone weiter flexibilisieren und sich noch entgegenkommender zeigen. Die Europäische Zentralbank (EZB) verschafft mit ihren Anleihekäufen den Staaten ebenfalls Spielraum für höhere Schulden, die einen Teil der Stimulierungslast von der EZB nehmen würden. Fiskalausgaben würden außerdem der EZB mehr Anleihen zum Kauf einbringen und damit Sorgen vor einer Drosselung der Käufe mangels EZB-fähiger Papiere zerstreuen.

Aus unserer Sicht haben diese politischen Herausforderungen das Potenzial, die bestehenden Spannungslinien in der Eurozone und Europa als Ganzes zu vertiefen. Da Europa in der Regel eine Politik der kleinen Schritte betreibt, dürften diese Spannungslinien weiter zunehmen, bis schlussendlich eine Krise entschiedenere Maßnahmen zur Reformierung der EU auslöst.

Japan: Monetärpolitik und Inflationsgefahr

In Japan hat sich ein großer Schuldenberg angehäuft. Dieser wird jedoch zum größten Teil von den Japanern selbst getragen, die nach wie vor Vertrauen in die Kreditwürdigkeit ihres Staates haben. Die Staatsschulden dürften im Zuge neuer fiskalischer Stimuli weiter steigen. Allerdings hat die Bank of Japan mit ihrem jüngsten geldpolitischen Ansatz eine clevere Möglichkeit zur Finanzierung dieser Schulden gefunden, ohne gleich den Übergang zum Helikoptergeld ankündigen zu müssen. Je mehr Anleihen die Regierung ausgibt, desto mehr wird die japanische Notenbank im Rahmen ihrer Politik aufkaufen, um die zehnjährigen Zinsen nahe null zu halten.

Mit der Zeit dürfte diese Dynamik schließlich zu Inflation führen, die laut Notenbank den Zielwert von zwei Prozent künftig auch überschreiten darf, dann aber möglicherweise nur noch schwer einzudämmen sein wird. Inflation würde der Schuldensituation der Regierung sicherlich zugutekommen, auf der anderen Seite jedoch die Ersparnisse einer alternden Bevölkerung von Anlegern heimischer Anleihen aufzehren. Dies könnte einen Wendepunkt für die inländische Unterstützung japanischer Staatspapiere bedeuten, wenngleich dies kurzfristig eher unwahrscheinlich erscheint.

China: Stabilität und Nachhaltigkeit

China hat die am stärksten wachsende Verschuldung, zu der neben den Staatsbetrieben zunehmend der Privatsektor des Landes beiträgt. Unsere Sorge besteht darin, dass mit einem Teil dieser Schulden unproduktive Vermögenswerte finanziert und diese letztendlich massive Zahlungsausfälle verursachen werden, da sie das für die Schuldenrefinanzierung benötigte Wachstum nicht liefern können. Irgendwann wird Chinas Privatsektor an den Punkt kommen, an dem an einem Abbau der Schulden kein Weg mehr vorbeiführt.

Sollte diese Entschuldung wiederum durch Insolvenzen vollzogen werden, sehen wir die Notwendigkeit einer umfassenden Bankenrekapitalisierung. Kurzfristig fokussiert sich die Regierung jedoch eher auf Stabilität als auf Reformen (das Bruttoinlandsprodukt wuchs das dritte Quartal in Folge um 6,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr) und daran dürfte sich bis zum nationalen Volkskongress Ende 2017 auch nichts ändern.

Trump-Wahlsieg mindert Chancen für Leitzinserhöhung

Am 9. November wurde Donald J. Trump zum designierten US-Präsidenten gewählt und die republikanische Partei konnte sich in beiden Kongresskammern die Mehrheit sichern. Viele Umfragen hatten bis zuletzt auf ein enges Rennen hingedeutet, das Ergebnis kam für die Märkte dann aber doch überraschend. Es ist gut möglich, dass die US-Notenbank Fed aufgrund des Wahlausgangs die Zinsen in naher Zukunft nicht erhöhen wird. Die Erwartungen dass sich die Fed im Dezember abermals in Zurückhaltung übt, dürften die US-Zinsen auf kurze Sicht sinken lassen. Der Markt muss das Wahlergebnis und dessen potenzielle politische Auswirkungen erst noch verdauen und in dieser Zeit werden die Spreads unter Druck bleiben. Sollten restriktivere finanzielle Bedingungen zu einer Abkühlung der US-Wirtschaft führen, könnten die Umsätze und Gewinne der Unternehmen unter Druck geraten werden.

Fazit: Ausloten der kurz- und langfristigen Szenarien

Im heutigen Umfeld sollten Anlagen in Zinspapieren unserer Ansicht nach dazu dienen, die Differenzen zwischen dem kurz- und dem langfristigen Ausblick abzuwägen. Wir sind der Auffassung, dass der relativ positive kurzfristige Ausblick dafür spricht, das Engagement in höher rentierlichen Sektoren des Rentenmarkts beizubehalten. Allerdings deuten die langfristigen Risiken letztendlich darauf hin, dass das Umfeld für Wirtschaftswachstum und Risikoanlagen schwieriger wird. Ein solches langfristiges Base-Case-Szenario dürfte sich schwer vermeiden lassen.

Es ist am wahrscheinlichsten, dass die Politik in den nächsten sechs bis zwölf Monaten akkommodierend bleibt und das Wirtschaftswachstum in den meisten großen Volkswirtschaften unweit beziehungsweise leicht über der Trendrate verharren wird. Dieses Umfeld hat bisher sehr förderlich auf die Risikonachfrage am Rentenmarkt gewirkt. Wir sind uns jedoch auch der potenziellen Risiken für dieses Szenario sowie der Möglichkeit bewusst, dass regimeverändernde Katalysatoren ohne große Vorwarnung auftauchen könnten. Diese Herausforderung gehen wir vorzugsweise durch Strategien an, die Long- und Short-Positionen kombinieren, um das Rendite- und Kurspotenzial zu erhalten und gleichzeitig eine Absicherung gegen das Risiko systemischer Veränderungen der Spreads oder Zinssätze zu bieten.

Andrew Wilson ist CEO für EMEA und Co-Head des Global Fixed Income und Liquidity Management Teams bei Goldman Sachs Asset Management.