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Kalter Krieg mit der Öl-Waffe?

Der Ölpreis fällt dramatisch. Russland wirft den USA gezielte Marktmanipulation vor. Machen die Amerikaner mit den Saudis gemeinsame Sache gegen Iran, Russland und weitere Ölproduzenten? Gibt es das Komplott wirklich?

BÖRSE am Sonntag

Der Ölpreis fällt dramatisch. Russland wirft den USA gezielte Marktmanipulation vor. Machen die Amerikaner mit den Saudis gemeinsame Sache gegen Iran, Russland und weitere Ölproduzenten? Gibt es das Komplott wirklich?

„Bilde ich mir das ein, oder haben wir es mit einem globalen Ölkrieg zu tun, mit den USA und Saudi-Arabien auf der einen sowie Russland und Iran auf der anderen Seite?" Diese Frage stellt der Leitartikler Thomas Friedman in der „New York Times". In Russland spricht man seit Wochen offen und zusehends wütend von einem Komplott. Die USA würden mit ihren saudischen Verbündeten den Weltmarkt mit billigem Rohöl fluten, um Moskau wie Teheran politisch unter Druck zu setzen. Der Sekretär von Russlands Nationalem Sicherheitsrat, Nikolaj Patruschej, erinnert in der Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta" an die 1980er Jahre: Die Vereinigten Staaten hätten damals den Ölpreisverfall herbeigeführt, um die Sowjetunion in den Bankrott zu treiben, heißt es. Heute sei der Absturz des Ölpreises ebenfalls zwischen den Amerikanern und Saudis abgesprochen, schreibt das Russische Institut für Strategische Studien. Nach dem Besuch von US-Präsident Barack Obama in Riad im März - mitten in der Ukraine-Krise - textete die russische Zeitung Prawda: „Obama will, dass Saudi-Arabien die russische Wirtschaft zerstört“.

Auch nach Ansicht des bolivianischen Präsidenten Evo Morales steckt eine Marktmanipulation der USA hinter dem Ölpreis-Verfall. „Dass die Preise sinken, ist kein Zufall. Das ist ein offenes und direktes Komplott gegen Venezuela und Russland“, sagte Morales in seinem jüngsten Interview mit dem TV-Sender Telesur. Venezuela erlebe seit Jahren eine „politische Aggression“ der USA. Es sei den Vereinigten Staaten jedoch nicht gelungen, einen Machtwechsel in Caracas zu erzielen. Nun greife Washington zu einer „wirtschaftlichen Aggression“, hieß es.
In Washington wird der Verdacht einer amerikanischen Marktmanipulation dementiert. Doch was immer hinter den Kulissen an Geheimdiplomatie passiert - das Öl droht wieder zu einer politischen Waffe zu werden. Ein neuer Kalter Krieg am Ölmarkt hat begonnen.

Neben Russland wirft auch Iran den Amerikaner und Saudis konspirative Absprachen vor, die sich gegen die Wirtschaft des Landes richteten. Beide Länder sind – wie übrigens auch Venezuela, ein dritter Feind der USA – auf die Einnahmen aus dem Ölgeschäft dringend angewiesen. Iran hat wegen der Atom-Sanktionen des Westens seit 2011 mehr als die Hälfte seiner Öleinnahmen eingebüßt. Zur Deckung des Haushalts ist ein Preis von mindestens 125 US-Dollar pro Barrel nötig. Der iranische Ölminister Bijan Zanganeh gibt Saudi-Arabien die Schuld am Preisverfall. Riad überschwemme den Weltmarkt mit Öl und drücke so den Preis.

Russland, der Iran und Venezuela toben vor Wut

Auffallend ist, dass der Ölpreis seit dem Höhepunkt der Ukrainekrise im Sommer wie ein Stein zu fallen begonnen hat, obwohl die Kriegsgefahr eher das Gegenteil hätte auslösen müssen. Die USA hätten wegen des Ukraine-Konflikts bestimmt nichts dagegen, Russland mit einem niedrigen Ölpreis zu schaden. Jeder Dollar weniger kostet Moskau viele Milliarden, was den Druck auf die Führung erhöht. Ein russischer Ökonom warnte im Sommer: „Sollte der Preis unter 75 Dollar fallen und dort für ein paar Jahre verharren, werden wir in Russland einen Machtwechsel sehen."

Russlands Außenminister Sergei Lawrow ist daher in fieberhafte Öldiplomatie unterwegs und sagte nach einem Gespräch mit seinem saudischen Amtskollegen Saud al-Faisal, dass beide Länder grundsätzlich der Meinung seien, die Preisbildung sollte am Markt erfolgen. „Der Markt darf nicht als Arena für politische Spiele missbraucht werden“. Russland ist mit einer Fördermenge von 10,8 Millionen Barrel einer der größten Ölproduzenten der Welt. Weltweit förderte nur Saudi-Arabien mehr Öl, es sind aktuell 11,5 Millionen Barrel pro Tag. Auf Platz drei der weltgrößten Ölproduzenten liegen inzwischen die USA mit zehn Millionen Barrel; alle übrigen ölproduzierenden Staaten erreichen lediglich Fördermengen zwischen 3,1 und 4,2 Millionen Barrel pro Tag.

Handfeste Beweise für ein Bündnis zwischen Saudis und Amerikanern gibt es nicht. „Die Scheichs lassen sich nicht einfach so von den USA vor den Karren spannen“, meinen Analysten. Der saudi-arabische Ölminister Ali al-Naimi betont: „Hier geht es nur ums Geschäft.“ Die meisten Analysten glauben nicht an die Konspirationsthese, schon weil Saudi-Arabien dabei einen extrem hohen Preis zahlen müsste. Sie verweisen vielmehr auf die tatsächliche Ölschwemme durch die neue Fördermethode Fracking. Mit ihrem Boom bei Schiefergas und Schieferöl sorgen die USA für ein drastisches Überangebot - Amerika fördert mittlerweile so viel Öl wie seit 30 Jahren nicht mehr. Auf den Ölpreis drücke zusätzlich der sinkende Verbrauch mancher Abnehmerländer, die wegen der schwachen Konjunktur weniger Öl nachfragten.

Die Opec zerfällt

Statt die Förderung zu drosseln, um den Ölpreis zu stabilisieren, hat Saudi-Arabien seine Förderung im Herbst sogar ausgeweitet. Und trotz des Preisverfalls will die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) ihr bisheriges Förderziel von 30 Millionen Barrel am Tag nicht kürzen. Darauf verständigten sich die Energieminister der zwölf Mitgliedstaaten in Wien – was de facto einem Ende der Opec gleichkommt. Die Organisation schafft es offensichtlich nicht mehr, die verschiedenen Interessen der Ölförderländer zu koordinieren und den Markt zu beeinflussen. „Wir wollen abwarten, wie sich der Markt entwickelt", erklärte Opec-Generalsekretär Abdalla El-Badri ebenso ohnmächtig wie dünnlippig.

Saudi-Arabien hat den Opec-Gipfel regelrecht platzen lassen und den Ölpreis weiter auf Talfahrt geschickt. Warum die Saudis den Ölhahn so weit aufdrehen, darüber kursiert seit einiger Zeit eine zweite Konspirationsthese. Mit ihrer gezielten Angebotsschwemme wollten die Araber den Ölpreis für eine Weile so tief drücken, dass sich weitere Explorationen ins Fracking nicht mehr lohnten. Saudi-Arabien wolle sich also die neue Konkurrenz aus dem Markt halten. Das sei das Hauptmotiv für die Politik der Ölschwemme.

Saudi-Arabien beobachtet die wachsende Konkurrenz aus den USA aufmerksam. Der sinkende Ölpreis käme den Scheichs langfristig entgegen. Die neue Fracking-Konkurrenz ist teuer in der Produktion, das schwarze Gold muss mit hohem technischem Aufwand aus Schiefergestein gelöst werden. Wenn der Ölpreis die Kosten nicht mehr deckt, ist Schluss mit dem amerikanischen Öl-Boom. Damit wären die klassischen Ölförderländer wieder am Zug. Mehrere US-Produzenten signalisierten bereits, dass sie nur bei einem Preis von mehr als 70 Dollar je Barrel profitabel arbeiten. Die Internationale Energiebehörde IEA rechnete vor, dass die Investitionen in die US-Schieferölproduktion aufgrund der negativen Preisentwicklung im nächsten Jahr bereits um rund zehn Prozent sinken werden.

Geht es so weiter, wird Amerika den Ölhahn wieder zurückdrehen müssen – und die Preise steigen wieder. Vor allem gewönne Saudi-Arabien Zeit. Denn wenn man jetzt mit einer Dumpingstrategie milliardenschwere Investitionen ins Fracking abwende, dann halte man sich für Jahre die neue Konkurrenz vom Markt, denn große Explorationen hätten erhebliche zeitliche Vorläufe.

Fest steht: Auch Saudi-Arabien würde langfristig lieber höhere Preise sehen. Das Opec-Schwergewicht hat aber das Glück, dass es auf Zeit spielen kann. Da die Produktionskosten traditioneller Ölförderländer deutlich niedriger sind als bei den Fracking-Produzenten, verdient das Land auch noch bei niedrigen Preisen gutes Geld. Außerdem verfügt Saudi-Arabien über hohe Devisenreserven und kann damit den Staatshaushalt notfalls ausgleichen, falls die Finanzierung durch die Öleinnahmen nicht reicht.

Ganz so klar, wie die Fronten auf dem Ölmarkt momentan gezeichnet werden, sind sie eben nicht. Von einem politischen Öl-Krieg kann kaum die Rede sein. Dass politische Kräfte mitwirken, ist offensichtlich. Doch die handfesten wirtschaftlichen Interessen sind am Ende entscheidend.