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Volkswagen: Das Imperium schlägt zurück

Auf der IAA in Frankfurt präsentiert VW mit dem ID.3 seinen neuen „E-Volkswagen“ der breiten Masse. Und stiehlt so der Konkurrenz die Show. Für den Konzern selbst ist es der Beginn einer neuen Ära, die ihn zum Weltmarktführer in Sachen E-Mobilität machen soll. Warum das gelingen kann.

BÖRSE am Sonntag

Auf der IAA in Frankfurt präsentiert VW mit dem ID.3 seinen neuen „E-Volkswagen“ der breiten Masse. Und stiehlt so der Konkurrenz die Show. Für den Konzern selbst ist es der Beginn einer neuen Ära, die ihn zum Weltmarktführer in Sachen E-Mobilität machen soll. Warum das gelingen kann.

Modern, klar und schnörkellos sollte es werden und ist es geworden, das neue VW-Marken-Logo. Zwei- statt dreidimensional, reduziert auf seine wesentlichsten Bestandteile. Ein großes V, ein großes W. Dafür darf es leuchten, auch am Fahrzeug. Zumindest außerhalb Europas. Ob nun gelungen oder nicht, darüber kann streiten, wer mag. Entscheidend ist die Strategie dahinter. Eine, die längst nicht mehr nur eine des Marketings ist, viel mehr eine, die den ganzen Konzern erfassen soll. Volkswagen will Zukunft, probt die eigene Neuerfindung im Eiltempo, bricht auf zu einer so waghalsigen wie rasanten Fahrt ins digitale Zeitalter. Will dabei aber vor allem eines nicht mehr tun: Die Bodenhaftung verlieren, sich im eigenen Erfolg sonnen. In der Ausgestaltung des überarbeiteten Logos steckt so schon jetzt vieles, das Volkswagen so schnell wie möglich auch auf die Straße, in die Köpfe seiner Kunden und Käufer sowie auch und ganz besonders in die eigenen bekommen will. Darunter vor allem das Bild eines Konzerns, der nicht mehr altbacken, innovationsscheu, und konservativ daherkommt, sondern neugierig, zukunftsfreudig und alternativ.

So bahnt sich in Wolfsburg eine Zeitenwende an. Für die es auch allerhöchste Zeit wird. Und zwar für die gesamte Automobilindustrie. Doch ausgerechnet der Konzern, der vor ziemlich genau vier Jahren die eigene Branche mit dem Bekanntwerden seiner Abgasmanipulationen endgültig in die Krise schickte, ist es nun, der im grellen Scheinwerferlicht von „Halle 3“ der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main ein Auto präsentiert, als wäre nie etwas gewesen. Krise? Ja, welche Krise denn eigentlich? VW steht unter Vorstandschef Herbert Diess so glänzend da, wie nie zuvor. Beinahe unvorstellbar, dass die Existenz des größten Autokonzerns der Welt 2015 noch am seidenen Faden hing.

Starke Zahlen, beindruckender Cashflow

2019 könnte nun erneut zum Rekordjahr mit Blick auf Umsatz und Ergebnis werden. Gemessen an den ersten sechs Monaten des Jahres kletterte der operative Gewinn bereits von 8,2 auf neun Milliarden Euro, ohne Sondereinflüsse wegen des Abgasskandals stünden gar zehn Milliarden Euro zu Buche. Der Umsatz legte um 4,9 Prozent auf 125,2 Milliarden Euro zu. Bärenstark präsentierte sich vor allem die Kernmarke. So steigerte VW den Umsatz um 3,4 Prozent auf 44,1 Milliarden Euro und den operativen Gewinn um fast zehn Prozent auf 2,3 Milliarden Euro. Beeindruckend auch der Mittelzufluss. Im ersten Halbjahr betrug der Netto-Cashflow 6,9 Milliarden Euro. „Fast doppelt so viel wie Daimler und BMW zusammen voraussichtlich im gesamten Jahr 2019 auf die Waage bringen werden", so Evercore ISI-Analyst Arndt Ellinghorst. Probleme bereitet weiter Premiumtochter Audi, deren Umsätze von 31,2 auf 28,8 Milliarden Euro zurückgingen. Auch der operative Gewinn sank deutlich: Von 2,8 auf 2,3 Milliarden Euro.

Doch was schmerzt das schon, angesichts der Weltuntergangsszenarien, die gezeichnet wurden, als VWs Dieseltrickserei aufgefallen war. Nun hat man mit Audi schlicht dieselben Probleme im Premiumsektor, die auch Daimler und BMW beschäftigen. Nur darüber hinaus noch viele weitere Marken im Portfolio, die diese Schwäche leicht ausmerzen können. Ein entscheidender Vorteil. Investitionen in E-Mobilität, Digitalisierung und autonomes Fahren nämlich, lassen sich so deutlich leichter stemmen. Trotz der rund 30 Milliarden Euro, die VW der Dieselskandal bislang gekostet hat, will man bis 2023 40 Milliarden Euro in Elektrifizierung und Digitalisierung investieren und bis 2025 50 reine E-Fahrzeuge entwickelt haben. Darunter das vorerst wichtigste, das Auto aus „Halle 3“.

Hoffnungsträger ID.3

Der ID.3 ist VWs bislang wohl konkreteste Antwort auf die drängenden Mobilitätsfragen. Er hat das Format eines Golfs, bietet Stauraum wie ein Passat und beschleunigt wie ein GTI. Das Design: futuristisch. Ab Herbst wird der ID.3 im Werk in Zwickau produziert, ab Frühjahr 2020 ausgeliefert. 30.000 Fahrzeuge der „First Edition“ sind bereits reserviert. Kunden, die jetzt bestellen, kommen erstmal auf die Warteliste. Diess möchte „die Elektromobilität aus der Nische in die Mitte der Gesellschaft“ bringen. Somit kann, ja muss, der ID.3 auch als Angriff auf Teslas Model 3 verstanden werden. Vor drei Jahren hatte Elon Musk das Elektroauto unter großem Jubel angekündigt, in nur einer Woche zeichneten 325.000 begeisterte Fans die Vorbestellung. Der jüngste IAA-Auftritt der Wolfsburger kommt da wesentlich zurückhaltender und leiser daher, dafür aber umso geschmeidiger als der des Konkurrenten aus Kalifornien.

Während die günstigste Version des Model 3 derzeit für 44.500 Euro bestellbar ist, soll der ID.3 ab Ende 2020 für weniger als 30.000 Euro zu haben sein, die erste Baureihe mit mittelgroßem Akku soll knapp 40.000 Euro kosten. Ob die günstigste Variante des E-Volkswagen tatsächlich ein Wagen für das Volk werden kann, hängt in erster Linie vom Kaufpreis ab, denn die Konzepte sind nicht neu: Drei-Liter-Lupo, Ein-Liter-Auto, eUp und wie sie alle hießen. Tatsächlich aber lässt der ID.3 größeres Erfolgspotential vermuten als seine alternativen Vorgänger – nicht zuletzt, weil die künftige ID.-Familie auf der Grundlage eines neuen modularen E-Antrieb-Baukastens (MEB) entwickelt wird. Die Architektur des MEB verändere die Elektroautos und damit das Automobil grundlegend, sagt Diess, ebenfalls in „Halle 3“ stehend. Denn der Elektrifizierungsbaukasten werfe jeglichen Ballast des fossilen Zeitalters ab, da er konsequent für Elektroautos konzipiert worden sei.

Konsequent, das ist vielleicht das Stichwort. „Bis 2025 wollen wir Weltmarktführer in der E-Mobilität werden“, gab Markenvorstand Ralf Brandstätter jüngst die Richtung vor. Damit das gelingt ist der ID.3 zum Erfolg verdammt. So verwundert auch wenig, dass Diess von „mehr als einem neuen Modell“ spricht. Vielmehr von einem „entscheidenden Moment“ und einem „Auto, das von uns jetzt erwartet wird“. Volkswagen, so Diess weiter, müsse dafür Sorge tragen, dass sich die Elektromobilität durchsetzen könne – und der Konzern sei bereit dazu. Der gesamten Branche stehe jetzt ein „Systemwechsel“ bevor. Halten die Niedersachsen das Tempo hoch, könnten sie ihn als erster unter den etablierten Herstellern meistern.

Ist die Aktie nun ein Kauf?

Dementsprechend volatil präsentierte sich in diesem Jahr die Aktie des Konzerns. Auf der einen Seite honorieren Anleger die Zukunftspläne von VW. Auf der anderen Seite scheinen sie bei jeder schlechten Nachricht mit Blick auf den Handelskonflikt, den Dieselskandal oder die Abkühlung der Weltwirtschaft ängstlich zusammenzuzucken. Kostete die Aktie zu Jahresbeginn rund 139 Euro, stieg ihr Kurs im April zwischenzeitlich auf über 163 Euro an, ehe er im Juni wieder auf das Ausgangsniveau von Januar zurückfiel. Im Juli kostete das Papier dann wieder 157 Euro, im August erneut 139 Euro. Derzeit befindet sich die Aktie wieder auf dem Weg nach oben und ist für 155 Euro zu haben. Damit steht aufs Jahr gesehen ein Kursgewinn von 11,5 Prozent zu Buche. Das erwartete KGV für das Jahr 2019 liegt bei 5,6. Das Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV) bei 3,2. Die Dividendenrendite ist mit 3,8 Prozent ordentlich. So schlecht stehen die Zeichen nicht, dass nach VWs Rebranding auch Anleger ihr Verhältnis zur Aktie des Konzerns positiv überarbeiten.

OG,FS

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