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Das 110-Milliarden-Rätsel um VW

Obwohl Volkswagen und Toyota in etwa gleich viele Autos verkaufen, sind die Japaner an der Börse mehr als doppelt so viel wert. Woran liegt das?

VW ist viel mehr als nur VW. Deshalb an der Börse ab nicht viel mehr wert. Ganz im Gegenteil. (Foto: Volkswagen)

Obwohl Volkswagen und Toyota in etwa gleich viele Autos verkaufen, sind die Japaner an der Börse mehr als doppelt so viel wert. Woran liegt das und was bedeutet das für die Aktie der Wolfsburger?

Im vergangenen Jahr hat es zum wiederholten Mal knapp zur Spitzenposition gereicht. Kein Autohersteller der Welt verkaufte 2019 so viele Fahrzeuge wie Volkswagen, 10,97 Millionen an der Zahl. Das entsprach gleichzeitig einem neuen Auslieferungsrekord und der große Rivale aus Japan, Toyota, musste sich bei einem Absatz von 10,7 Millionen Autos mit Rang zwei begnügen.

Allein, an der Börse fällt dies kaum ins Gewicht. Im Gegenteil: Während Toyota aktuell auf eine Marktkapitalisierung von umgerechnet rund 182 Milliarden Euro kommt, liegt der Börsenwert von VW nur bei 72 Milliarden Euro – nicht einmal bei der Hälfte also. Während sich die beiden Autogiganten seit Jahren ein Kopf-an-Kopf-Rennen in Sachen Absatzzahlen liefern, gewinnt das Rennen an der Börse so stets derselbe, Toyota.

Wie kann das sein? Ist die Volkswagen-Aktie am Ende viel zu günstig und keiner merkt es? Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) waren die Papiere der Wolfsburger lange Zeit sogar die billigsten im DAX. Im Zuge der Coronakrise, die besonders bei den Autoherstellern auf die Margen drückt, hat sich das zwar geändert. Noch immer aber findet sich die VW-Aktie im unteren Mittelfeld wieder, ist weit günstiger bewertet, als die Anteilsscheine von BMW oder Daimler. Und auch das für 2020 erwartete KGV von Toyota (19,0) steht etwas höher, als jenes von VW (17,0). Warum will die Aktie keiner haben? Übersehen Anleger die Papiere von VW vielleicht einfach?

Die Antwort lautet: Nein, tun sie nicht. Denn der „größte“ ist nicht sogleich der „beste“. Absatzzahlen allein sagen nur wenig aus. Besonders an der Börse nicht. Da geht es am Ende vor allem auch um die Marge, also den Teil des Umsatzes, der am Ende des Jahres als Gewinn übrig bleibt. Dazu um die Zukunftsfähigkeit von Geschäftsmodellen und ganz grundsätzlich um den Wert, den ein Konzern überhaupt in der Lage ist freizusetzen. Und da gibt es gleich eine Reihe von Punkten, in denen es bei Volkswagen, im Vergleich zu Toyota, nicht zur Spitzenposition reicht – mal knapp, mal deutlich.

1. Das Konglomerat

Volkswagen ist selbst unter Großkonzernen ein Riese. Die Angebotspalette reicht vom klassischen PKW über Motorräder und LKWs bis hin zu Finanzdienstleistungen. Dazu ist man in allen nennenswerten Segmenten – Masse, Premium, Luxus – vertreten. Und das nicht mal eben mit ein paar kleinen, unbedeutenden Marken. Zwölf gehören inzwischen insgesamt zum Konzern, darunter Volkswagen Pkw und Nutzfahrzeuge, Audi, Seat, Skoda, Bentley, Bugatti, Lamborghini, Porsche, Ducati, Scania und MAN. Was nach Stärke und Marktmacht klingt, kommt an der Börse nicht besonders gut an. Profitable Bereiche oder Marken werden so nämlich durch weniger gewinnträchtige in ihrem Wert verwässert. Die einzelnen Bestandteile des Konzerns performen quasi derart unterschiedlich, dass es extrem schwierig wird, eine faire Bewertung für den Konzern als Ganzes zu finden. Die Analysten von Goldman Sachs hätten 2019 beispielsweise allein Porsche einen Börsenwert von 70 Milliarden Euro zugesprochen, wären die Stuttgarter ein eigenständiges Unternehmen. Also in etwa so viel, wie Volkswagen derzeit insgesamt an der Börse wert ist. Alle Konzernteile einzeln bewertet, errechneten die Banker damals eine faire Marktkapitalisierung von 153 Milliarden Euro für VW. Bei dieser Summe käme man Toyota schon deutlich näher. Nun sind freilich auch die Japaner ein Mischkonzern. Zur Toyota-Gruppe gehören vor allem viele japanische Zulieferer. Doch mit Lexus, Daihatsu und dem Nutzfahrzeugehersteller Hino als die neben Toyota bekanntesten Marken und Tochterfirmen des Konzerns, hält sich die Diversifikation vergleichsweise in Grenzen.

2. Die Marge

Mit der Mischkonzern-Struktur gehen oft niedrigere Margen einher. Porsche beispielsweise kam 2019 auf eine operative Rendite von 17 Prozent. VW als Konzern dagegen nur auf 6,7 Prozent. Im Jahr zuvor waren es mit 5,9 Prozent noch weniger. Toyota kam 2019 auf 8,2 Prozent. Im Vergleich versickert bei VW als deutlich mehr Geld, überhaupt leidet die Effizienz. Entsprechend betonte VW-Vertriebsvorstand Jürgen Stackmann bereits im vergangenen Jahr gegenüber dem Handelsblatt, dass die Verkaufszahlen längst nicht mehr im Mittelpunkt stünden, sondern es vielmehr gelte, die Ertragsstärke in den Fokus zu rücken. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie wird das nun schwieriger denn je. Im ersten Quartal kam VW gerade noch auf 1,6 Prozent operative Rendite. Allerdings trifft die Krise auch Toyota hart, für das Gesamtjahr rechnen die Japaner nur noch mit einer Marge von knapp über zwei Prozent.

3. Die Teilhaberstrukturen

Ein weiterer großer Nachteil, der VW an der Börse anhaftet, sind die komplizierten Teilhaberstrukturen. Schließlich gibt es noch immer die Möglichkeit die im Dax notierten stimmrechtlosen Vorzugsaktien zu kaufen, die mehr Liquidität und eine höhere Dividende versprechen und dazu höher notieren, oder die einflussreichen Stammaktien ohne diese Vorteile, dafür aber mit Stimmrecht. Überdies dominieren bei VW mit Porsche, Niedersachsen und der Qatar Holding drei Großaktionäre das Geschehen, nur 42 Prozent der Aktien befinden sich in Streubesitz. Für Börsianer als besonders problematisch gilt dabei die Beteiligung Niedersachsens. So kann der Staat mit entscheiden und beispielsweise für den Erhalt von Produktionsstandorten plädieren, anstatt die aus marktwirtschaftlicher Sicht beste Entscheidung zu unterstützen.

4. Das Image

Diesbezüglich hakt es an vielen Ecken und Enden. VW ist spätestens seit Auffliegen des Dieselskandals 2015 nicht mehr in der Lage, sich glaubhaft als moderner, zukunftsorientierter Konzern zu verkaufen. E-Auto-Offensive hin oder her. Es dürfte derzeit jedenfalls schwer fallen jemanden zu finden, der in Volkswagen einen Konzern sieht, der in den kommenden Jahren in der Lage ist, Wettbewerber aus dem Markt zu drängen oder wesentlich bedeutender wird, als er es heute ist. Und es fehlt nicht nur die Wachstumsstory, es fehlt auf Dauer auch die Profitabilitätsstory. Bei vielen Entwicklungen, ob nun Elektrifizierung oder Automatisierung, haben die Wolfsburger den Anschluss an Tesla, den inzwischen wertvollsten Autobauer der Welt, verpasst. So beeindruckt man an der Börse nicht. Eindruck aber ist wichtig, vor allem auf lange Sicht. Das am Markt die Zukunft gehandelt wird, ist nicht neu. Zwar kämpfen mit Teslas Erfolg alle etablierten Hersteller, darunter auch Toyota. Doch die Japaner haben eben keinen Dieselskandal aufzuarbeiten. Der Kurssturz von 2015 hängt der Volkswagen-Aktie auch heute noch spürbar nach. Toyota hingegen gilt in Sachen E- und Wasserstoffauto weiterhin als innovativ. Auch das spiegelt sich am Ende in der Marktkapitalisierung wider.

Das Ziel von 200 Milliarden Euro Börsenwert, das Finanzchef Frank Witter im vergangenen Jahr per internem Brief ausgab, bleibt in weiter Ferne.

OG

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