Die Akt(i)e Shell: Vor Gericht ist wie auf hoher See
Bill Gates schreitet zur Tat – und fängt an, Atomkraftwerke zu bauen. Recht kleine, mit neuartiger Natrium-Technologie arbeitende, das erste in Wyoming. Warren Buffett, der sagenumwobene Investor aus dem dort nicht allzu fernen Omaha, ist auch dabei. Die Gateskraft hat etwas nicht, was Royal Dutch Shell überreichlich hat: CO2-Ausstoß.
Bill Gates schreitet zur Tat – und fängt an, Atomkraftwerke zu bauen. Recht kleine, mit neuartiger Natrium-Technologie arbeitende, das erste in Wyoming. Warren Buffett, der sagenumwobene Investor aus dem dort nicht allzu fernen Omaha, ist auch dabei. Die Gateskraft hat etwas nicht, was Royal Dutch Shell überreichlich hat: CO2-Ausstoß.
Von Reinhard Schlieker
Den zu verringern forderte ultimativ am 26. Mai das Bezirksgericht von Den Haag, und machte damit Schlagzeilen – denn Shell ist ohnehin auf dem Weg, Gas und Öl beiseite zu lassen und bis 2050 komplett ohne CO2-Abgabe in die Umwelt zu arbeiten. Den Klägern, Umweltorganisationen zumeist, reichte das nicht und dem Gericht auch nicht. Jetzt also sitzen niederländische Richter quasi im Shell-Vorstand und besetzen irgendwie das Strategie- und Entwicklungsressort. Und regeln dabei, was einer der großen, aber beileibe nicht der größte Energiekonzern der Welt zugunsten der Nichtveränderung des globalen Klimas zu unternehmen hat. Und dass man dabei jetzt zum Beispiel auf Kernenergie umschwenken könnte, dürfte wohl kaum das Ziel der Kläger und Richter gewesen sein. Wäre theoretisch aber durchaus denkbar, denn es zählt ja wohl, was hinten herauskommt, oder eben gerade nicht herauskommt, denkt man sich, und das bis 2030 schon. Nun geht Shell in die Berufung, und auch sonst bleiben Mittel und Wege.
Weshalb offenbar auch die Aktie des Konzerns nicht übertrieben schreckhaft reagierte, denn CEO Ben van Beurden hat für seine Anteilseigner ein wenig vorgesorgt: Von 2021 bis 2025 will Shell einen erheblichen Teil seines Vermögens durch Dividenden und Aktienrückkäufe an seine Aktionäre ausschütten. Man könnte auch sagen, vor dem Zugriff fremder Mächte in Sicherheit bringen und den Aktionären auf diese Art irgendwie mitteilen, dass sie ihr Recht auf Eigentum nicht so ohne weiteres an „Greenpeace“, „Friends of the Earth“ und andere sendungsdurchdrungene Aktivisten herausgeben oder sonstwie verzichten müssen. Dennoch – solange Shell mit seinen Sitzen in Den Haag und London dem Klimakampf europäischer Prägung ausgeliefert ist, steigt das Risiko derjenigen, die eigentlich Herren im Haus sein sollten, zumindest nach bisheriger westlicher Tradition, solange man sich an Recht und Gesetz hielt. Richterrecht macht das Ganze nun nahezu unkalkulierbar, dazu kommt die irrationale Planetenrettungsvision, deren mögliche morgige Ausprägung heute niemand kennen, geschweige denn einpreisen kann.
Schon gar nicht auf die Einsicht bauen, dass man zwar Shell bis zu einem gewissen Grad drangsalieren kann, keineswegs jedoch Saudi Aramco, Gazprom und wohl auch kaum Total, Mobil Oil oder Chevron, von chinesischen Erdöl- und Gasexplorateuren gar nicht erst anzufangen, die weltweit tätig sind und zwar allein auf chinesische Art. Für den vorsichtigen Anleger stellt sich aber auch die Frage: Was geschieht eigentlich, wenn Shell in der Berufung obsiegt? Schon bisher hatte sich der Konzern ja dazu verpflichtet, bis 2050 keine CO2-Emissionen mehr zu verursachen. Könnte das reichen, um in einem weitgehend schrumpfenden europäischen Markt, auf dem dann keine nennenswerte industrielle Abnehmerschaft mehr vorhanden sein wird, Gewinne zu erzielen? Oder geht das nur noch in anderen Weltgegenden, wo dann allerdings staatlich gepäppelte Firmen wie die russische, chinesische und arabische Konkurrenz tätig sind? In die man auch nicht so gern investieren möchte?
Dazu kommt eine Art Hellseherei, wie sie ja ohnehin die computermodellbasierte Klimadebatte beherrscht, welche sich dann auch der Anleger zu eigen zu machen hat. Womöglich stellt sich heraus, dass auch ein weitgehend dekarbonisiertes und entsprechend zurückfallendes Europa zum Zustand des Weltklimas praktisch nichts beizutragen hat, selbst wenn CO2 vermieden wird, bis es quietscht. Denn die Emissionen werden weltweit ja nicht weniger, also sind überall sonst technische Lösungen wie CO2-Speicherung oder moderne Kernkraft gefragt, aber die werden in Europa aus politischen und moralisierenden Gründen gar nicht erst angepackt. Und womöglich stellt sich auch noch heraus, dass CO2 entsprechend seines bekanntlich geringen Anteils an der Zusammensetzung der Atmosphäre (0,04%) gar nicht das entscheidende Vehikel ist, um Klimaveränderungen zu beeinflussen. Sondern viel eher andere Treibhausgase, wie etwa simpler Wasserdampf, in der Atmosphäre weitaus gewichtiger und bestimmender als Kohlenstoffdioxid. Kurzum: Welche Bewegung, Sekte oder Prognoseschule nach 2030 oder 2040 die Debatte und vermutlich auch das Geschäftsleben beherrschen wird, ist völlig offen, und ob dann womöglich Wasserdampfleugner zu bekämpfen sind, weiß niemand.
Bei allen durchaus begründeten Empfehlungen an Privatanleger, langfristig orientiert zu investieren, sollte man dann doch lieber auf der Hut sein und sich nicht festlegen. Noch nie waren handfeste Unternehmensentscheidungen so stark von gefühlt richtigen statt wirklich wichtigen externen Kriterien betroffen. Also gilt es nicht nur, Branchen kritisch zu wählen, sondern vor allem auch – Weltregionen. Shell jedenfalls hat in den vergangenen Jahren enorm viele Ressourcen in „grüne“ Geschäftsziele gesteckt, bis hin zur Bezahlung der Chefs nach Erfolg im CO2-Vermeidungsrennen.
Genützt hat es jedenfalls mit Blick auf die Besänftigung entschlossener Aktivisten rein gar nichts, denn deren Ziele und Forderungen sind nicht transparent und daher auch nicht rational erfüllbar. Warren Buffett wird sich mit Schaudern abwenden; in Bill Gates‘ Atomkraftfirma Terrapower kann man (noch) nicht investieren, sie ist nicht börsennotiert. Dafür muss sie sich halt auch um niederländische Bezirksrichter nicht scheren.