Erdöl: Knirschender Schmierstoff
Öl, Erdöl also, war schon immer ein politischer Saft. Man erinnert sich an leere Autobahnen mit fröhlichen Radfahrern, mittlerweile im Fotoalbum schon vergilbt und verfärbt, und an Helmut Schmidts Nöte mit den Ölbaronen und -scheichs. 1973! Ja, da gab es schon Autos, und die hatten riesigem Durst, und dann der Ölpreisschock. Inflationsbereinigt wirkte der Preis dabei aus heutiger Sicht geradezu putzig.
Öl, Erdöl also, war schon immer ein politischer Saft. Man erinnert sich an leere Autobahnen mit fröhlichen Radfahrern, mittlerweile im Fotoalbum schon vergilbt und verfärbt, und an Helmut Schmidts Nöte mit den Ölbaronen und -scheichs. 1973! Ja, da gab es schon Autos, und die hatten riesigem Durst, und dann der Ölpreisschock. Inflationsbereinigt wirkte der Preis dabei aus heutiger Sicht geradezu putzig.
Und nun sind wir seit einem guten Jahr Nutznießer eines Preisverfalls beim Mineralöl, der sich gewaschen hat. Niemand, aber auch wirklich niemand hätte das vorhergesehen. Die Welt ist heute eine andere als 1973, was ihre Antriebskräfte angeht: Neben Öl und Gas sind als Energieträger auch sogenannte nachhaltige Energien getreten, Sonne und Wind, aber die schicken beide natürlich auch eine Rechnung – oder haben jemanden, der das für sie übernimmt. In unserem Falle heißt der Kassierer: Staat. Was oft unterschlagen wird, oder angesichts der Allmählichkeit der Entwicklung unbemerkt bleibt, ist der technische Fortschritt, die zunehmende Effizienz auch jener ölgetriebenen Energieverwender, die sich mit erheblich weniger Sprit oder Kraftzufuhr begnügen, als es vor wenigen Jahren überhaupt denkbar war.
Dies beweist nebenbei bemerkt einen Lehrsatz, der in Politik und Gesellschaft, und vor allem bei Lobbygruppen vom Mineralölverband bis Greenpeace allzu gern unbeachtet bleibt: Die Entwicklung der Wirtschaft oder anderer dynamischer Systeme vorherzusagen, indem man Rechenmodelle fortschreibt, ist sinnlos. Man kann die Zukunft mit den Daten und Vorstellungen von heute nicht ergründen. Schade, und für die Wirtschaft sehr teuer, dass dies nicht allgemein anerkanntes Denken ist. Ein nur sehr schwach leuchtendes Beispiel dafür bietet der Club of Rome, der für den Jahrtausendwechsel glasklar und felsenfest prophezeit hatte, dass dann erstens das Öl alle und zweitens eine Eiszeit ausgebrochen sein würde. Der Chef des Ladens, Dennis Meadows, sah sich vor wenigen Jahren genötigt, seine Erkenntnisse zu revidieren, was passieren kann, wenn die Realität dermaßen brutal dazwischengrätscht.
Mit dem, was das Öl angeht, revolutionären Fracking und einigen verbesserten traditionellen Techniken muss man sich um die Versorgung keine Sorgen machen. Völlig neue Technologien könnten in absehbarer Zeit hinzutreten: etwa der Fusionsreaktor. Die Versuchsreaktoren brauchen zwar derzeit noch mehr Energie, als sie erzeugen – aber das war fast bei jeder neuen Verfahrensweise erst einmal der Fall. Der Clou, falls es in absehbarer Zeit etwas wird mit dieser völlig umweltfreundlichen Energieerzeugung: Wir müssen nur noch entscheiden, ob die Windräder und Solarzellen umweltgerecht geschreddert oder neuen Bestimmungen zuführt werden sollen.
Dann dürfte wohl endgültig der Tag gekommen sein, an dem politische Rücksichtnahmen gegenüber barbarischen Rechtssystemen wie etwa in Saudi-Arabien oder auch Katar – und wie sie alle heißen – überflüssig geworden sind. Schade, dass man dann nicht mehr beweisen kann, dass man auch aus eigener ethischer Überzeugung „nein“ sagt zu solchen Leuten, sondern nur noch deshalb, weil man sie nun nicht mehr braucht. Beim Erdöl läuft die Zeit gegen die Scheichs und gegen die dadurch finanzierten Terrortruppen. Ob die geopolitischen Verwerfungen, die wir dann vermutlich neu kennenlernen dürfen, besser sind als Ölkrisen und Bilderstürmer? Das wage ich nicht vorherzusagen.
Reinhard Schlieker, ZDF-Wirtschaftskorrespondent