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Ein deutsches Duell elektrisiert die Weltbörsen

Curevac und Biontech: Zwei heimische Biotechfirmen liefern sich einen Wettlauf um den ersten Platz bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen Covid-19. Am Markt sorgt das für Hochspannung. Es winken saftige Kursgewinne.

Kommt bald ein Impfstoff gegen das Coronavirus aus deutschen Laboren? Biontech und Curevac liegen aussichtsreich im Rennen. (Foto: LookerStudio / Shutterstock)

Curevac und Biontech: Zwei heimische Biotechfirmen liefern sich einen Wettlauf um den ersten Platz bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen Covid-19. Am Markt sorgt das für Hochspannung. Es winken saftige Kursgewinne.

Im September hat Elon Musk persönlich vorbeigeschaut. In Grünheide, dem Standort der  ersten Tesla-Fabrik in Europa, war das keine Überraschung. Im schwäbischen Tübingen schon. Er kam nicht, um sich die hübsche Altstadt anzusehen. Den Tesla-Gründer hat größeres zu seinem Besuch veranlasst. Er will der Firma Curevac helfen, die Welt zu retten.

Bei dem Tübinger Biotech-Spezialisten widmen sie sich einem von weltweit 176 Forschungsprojekten, die nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aktuell nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus suchen. Den eigenen Angaben nach liegen die Tübinger auf einem aussichtsreichen Platz im Rennen. Mehrheitseigentümer Dietmar Hopp zufolge soll es Curevac bis zum Jahresende möglich sein, 100 Millionen Impfdosen herzustellen. Und Elon Musk will dafür die wichtigsten Maschinen liefern.

Der Impfstoff, an dem Curevac forscht, basiert auf der sogenannten mRNA, oft auch als Boten-RNA bezeichnet. Dieser Botenstoff bringt Körperzellen dazu, spezielle Proteine zu produzieren, die der Oberfläche des Coronavirus ähnlich sind. In der Folge erkennt und markiert der menschliche Körper die Proteine als „Eindringlinge“, so dass im Optimalfall auch eine Immunantwort gegen das echte Virus erfolgt. Bislang wurde ein solcher Impfstoff noch nie zugelassen. Was Curavec vorhat, ist mehr als das Verändern und Anpassen bekannter Medikamente. Es ist eine Weltpremiere.

Um das Serum herzustellen, nutzt Curevac die Technik des deutschen Mittelständlers Grohmann aus dem beschaulichen Örtchen Prüm in der Westeifel und der wiederum gehört seit 2017 zum Tesla-Konzern. Mit dem Prümer Maschinenbauer plant Musk nun den Bau von erweiterten RNA-Minifabriken. Zunächst für Curevac, später als mobile Impfstoff-Produktionsstätten, die dann auch für andere Interessenten nutzbar gemacht werden können. Impfstoff Mini-Fabriken für Afrika könnte die Vision lauten.

Oder für Biontech. Das Mainzer Unternehmen ist Deutschlands zweite große Impfstoffhoffnung und auf nationaler Ebene Curevacs größter Konkurrent. Beide nutzen die gleiche ungewöhnliche Methode, haben finanzstarke Partner und die nötigen Ressourcen, um die erforderlichen Produktionskapazitäten aufzubauen. Für beide geht es um den Durchbruch in der Biotech-Branche. Die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs würde für beide den Sprung aus der Nische, rein ins Who-is-who der globalen Pharmaindustrie bedeuten. Und es würden wohl saftige Kursgewinne winken – sowohl Curevac als auch Biontech sind in den USA börsennotiert. Die Mainzer seit 2019, die Tübinger seit diesem Sommer.

Für Anleger die Einladung, sich an diesem wohl historischen Wettlauf der beiden Biotech-Unternehmen zu beteiligen. Bislang sind die ganz großen, spektakulären Perfomances beiden Papieren verwehrt geblieben. Die Biontech-Aktie musste im Sommer sogar deutlich federn lassen, seit Ausbruch der Corona-Pandemie steht sie jedoch mit fast 80 Prozent im Plus. Bei Curevac lief der Börsenstart hervorragend, anschließend gab der Kurs aber deutlich nach. Von knapp 65 Euro im August, sind inzwischen nur noch rund 41 Euro übrig. Zum Vergleich: Die Aktie von US-Konkurrent Moderna, der ebenfalls aussichtsreich an einem Impfstoff forscht, hat seit Anfang März 122 Prozent an Wert zugelegt, auf Einjahressicht sind es sogar über 300 Prozent. Entsprechend dürfte den deutschen Duellanten an der Börse noch einiges an Aufwärtspotenzial blühen, sollten die letzten Tests erfolgreich verlaufen. Auch nicht gesagt ist, dass nur einer von beiden als Gewinner hervorgeht, womöglich siegen beide – Anleger könnten damit auf beide Unternehmen setzen, um ihr Risiko zumindest etwas breiter zu streuen. Grundsätzlich lässt man sich mit einem Kauf beider Papiere freilich auf eine Wette ein – aktuell scheint die aber vielversprechender als je zuvor.

Bis vor kurzem war es zwischen Curevac und Biontech ein Kopf-an-Kopf Rennen. Inzwischen sind die Mainzer den Tübingern einen Millimeter voraus und könnten Musks mobile Mini-Produktionsstätten so am Ende vor Curevac brauchen. Aber tatsächlich ist es wie bei jedem Wettlauf: Auch der, der auf den letzten Metern hinten liegt, kann noch gewinnen, wenn der vorderste Läufer stolpert.

Wie schnell das geht, hat Mitte September der britische Pharmakonzern AstraZeneca erleben müssen. Er hat seine Testreihen unterbrochen, weil ernste Nebenwirkungen aufgetreten waren. Ein Probant soll eine Rückenmarks-Infektion erlitten haben, die Firmenleitung zog die Notbremse. Die Verzögerung im Zulassungsverfahren war für die Weltfinanzplätze eine Alarmmeldung. Die Kurse gaben Minuten nach Bekanntwerden der Meldung nach.

Auch bei Biontech läuft Testphase drei von drei, das heißt, es werden mehrere tausend Menschen mit dem Impfstoff oder mit einem Placebo behandelt, so dass die Forscher sichere Daten über Wirksamkeit und Nebenwirkungen gewinnen. Curevac testet in einem kombinierten Verfahren dagegen noch auf den Stufen eins und zwei. Beide haben damit mit klinischen Prüfungen am Menschen begonnen.
Dietmar Hopp glaubt nicht mehr an eine Zulassung des Curevac-Impfstoffs in diesem Jahr. Er gehe von Frühjahr oder Sommer 2021 aus, erklärte der Mann, der seine erste Erfolgsgeschichte mit der Gründung der Softwareschmiede SAP geschrieben hat, vor kurzem in einem Interview. Dabei könne jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden, „dass der Impfstoff noch in diesem Jahr auf Basis von Interimsdaten zugelassen wird, etwa für bestimmte, besonders gefährdete Berufsgruppen oder Regionen.“

Biontech hingegen will sich die Zulassung garantiert noch im Herbst dieses Jahres einholen. Und weil Herbst jetzt ist, gilt der Zeitplan als ambitioniert. „Ich glaube, unser Impfstoff ist nahezu perfekt“, sagte Biontech-CEO Ugur Sahin dem US-Fernsehsender CNN. Der Impfstoff besitze ein exzellentes Profil, und er gehe davon aus, dass „wir ein sicheres Produkt haben und in der Lage sind, die Effektivität zu demonstrieren“. Sahin ist Wissenschaftler, 55 Jahre alt und renommierter Krebsforscher.

Das Duell Curevac gegen Biontech ist auch ein Duell von Hopp gegen Sahin. Der Digitalisierungspionier und Manager tritt an gegen den Wissenschaftler und Arzt. Der Mann, der es als einziger Deutscher erfolgreich und dauerhaft geschafft hat, den großen US-Digital-Ikonen die Stirn zu bieten, nimmt es auf  mit einem Doktor für experimentelle Onkologie, ausgezeichnet mit zahlreichen Wissenschaftspreisen, einst in der Türkei geboren und mit vier Jahren nach Deutschland gekommen. Inzwischen ist er dank seiner Beteiligung an Biontech Milliardär wie sein Konkurrent Hopp.

Sahin ist das Gesicht von Biontech. Hinter ihm stehen mit den Zwillingen Thomas und Andreas Strüngmann zwei weitere Pioniere des Pharmageschäfts aus Deutschland. Die Brüder bauten einst Hexal auf, als noch niemand an den Wert von Nachahmer-Medikamenten, sogenannten Generika, glaubte. Sie verkauften die Firma mit sagenhaften Gewinnen und investierten von neuem: unter anderem in Biontech, an dem sie inzwischen mehr als 50 Prozent besitzen. Die Brüder haben einst 150 Millionen Euro in die Firma gesteckt und immer an das Team um Sahin geglaubt. Bislang hat das börsennotierte Unternehmen noch keinen Gewinn gemacht. Die Bill & Melinda Gates Stiftung ist mit 55 Millionen Dollar an Bord. Die gesamte Entwicklung des Impfstoffs beruht damit auf dem Engagement von vermögenden Privatinvestoren.

Team Hopp und Team Sahin/Strüngmann verbreiten Hoffnung, die sich allerdings noch bewahrheiten muss. Die allermeisten Impfstoffe scheiterten in Phase drei, warnte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach jüngst vor zu viel Euphorie. Der Politiker, selbst Wissenschaftler und forschender Arzt, ist kein geborener Optimist, wenn er feststellt: „Es ist nach wie vor durchaus möglich, dass wir, wie bei anderen Corona-Viren, keinen Impfstoff hinbekommen.“

Falls aber schon, sind Curevac und Biontech im internationalen Vergleich ganz vorn mit dabei. In Phase drei sind laut dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa), neben Biontech das Wuhan Institute of Virology mit Sinopharm und Sinovac Biotech – beide aus China – sowie das US-Unternehmen Moderna unterwegs. In Phase zwei befinden sich vier weitere Projekte. Nicht zu vergessen freilich Russlands „Sputnik V“, ein Impfstoff, der in seinem Heimatland sogar bereits zugelassen ist – dabei allerdings Testphase drei einfach übersprungen hat. Es befinden sich, laut vfa, weltweit 33 Impfstoffkandidaten in klinischen Studien (Phase 1-3), 143 werden in präklinischen Studien erprobt. Die mRNA-Impfstoffe von Biontech und Curevac haben dabei einen großen Vorteil: „Man kann diese Impfstoffe relativ schnell zusammenbasteln“, erklärte Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut im Gespräch. Der Nachteil: Die Technik ist neu, umfangreiche Studien zur Wirksamkeit fehlen. Als die größte Herausforderung betrachtet Ulbert es deshalb, „Menschen damit zu immunisieren, die kein perfekt funktionierendes Immunsystem mehr haben“. Ein RNA-Impfstoff benötige ein gut funktionierendes körpereigenes Abwehrsystem, weil er quasi eine Virusinfektion in einem kleinen Maßstab imitiere.

In Deutschland selbst laufen nach Angaben des vfa noch sechs weitere Forschungsprojekte, darunter das des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung, das unter anderem in Kooperation mit der Uni München, einen Vektorviren-Impfstoff auf Basis von MVA-Viren entwickelt hat, der seit  September an Freiwilligen erprobt wird. Neben der mRNA-Methode und Totimpfstoffen mit Virusproteinen, sind Impfungen auf Vektorviren-Basis die dritte große Entwicklungslinie, die Forscher aktuell verfolgen. Bei dieser dritten Gruppe soll das Impf-Antigen von den Körperzellen selbst produziert werden, wobei dem Geimpften zunächst harmlose Viren gespritzt werden, deren Genom dann den Bauplan für ein Coronavirus-Protein enthält. Mit den ersten Tests am Menschen kann wohl ebenfalls in diesem Herbst begonnen werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt. Von dort kommt auch die Einschätzung, dass es am Ende möglicherweise mehr als einen Impfstoff geben wird. Dazu forscht das bayerische Unternehmen Leukocare gemeinsam mit ReiThera aus Italien und Univercell aus Belgien an einem Vakzin, das seit Ende August in Italien am Menschen getestet wird. Die übrigen deutschen Impfstoff-Projekte stecken noch in früheren Entwicklungsstadien.

Alles in allem liegen Hopp und Sahin mit Curevac und Biontech im Vergleich weit vor der innerdeutschen Konkurrenz. Das hat seine Ursache auch in deren finanziellen Möglichkeiten. Curevac weiß mit Hopp einen milliardenschweren Investor hinter sich, Biontech arbeitet bei der Impfstoffentwicklung mit den finanzstarken Großkonzernen Pfizer aus den USA, und Fosun aus China zusammen. Über Fosun hat man sich dazu exklusive Vermarktungsrechte im Reich der Mitte gesichert. Überdies unterstützt neben der EU-Kommission, die Bundesregierung beide Projekte mit Millionenbeträgen. Schätzungen zufolge werden in einem ersten Schritt rund sechs Milliarden Impfstoffdosen nötig sein, um das Coronavirus global einzudämmen. Sollte zweimal gespritzt werden müssen, wären es zwölf Milliarden.  Bei einer solchen Nachfrage dürften die deutschen Wettbewerber ihr Stück vom Kuchen abbekommen. Fragt sich nur, wie groß es am Ende sein wird. Die internationale Konkurrenz legt steile Zielmarken vor. Janssen, ein belgisches Pharmaunternehmen, das zum US-Konzern Johnson & Johnson gehört, plant mit der Produktion von einer Milliarde Dosen.

Biontech und Curevac werden sich also sputen müssen und sie werden die Hilfe von Elon Musks deutscher Maschinenbau-Firma dazu brauchen können.

Woher die ersten, die besten oder die meisten Impfstoffdosen herkommen, sollte aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation, die sich bereits um die Verteilung Gedanken macht, keine entscheidende Rolle spielen. Tatsächlich geht es aber bei diesem Wettrennen um viel Prestige und noch mehr Geld. Am Ende geht es auch um nationale Egoismen: Dass Land, das einen international anerkannten Durchbruch erzielt, dürfte auch Vorteile haben, wenn es darum geht, die eigene Bevölkerung mit dem Serum zu versorgen – eine Sicht die Biontech-Investor Thomas Strüngmann vehement bekämpft: „Der Impfstoff sollte selbstverständlich für die ganze Welt zur Verfügung stehen. Ohne Ausnahme.“                   

Oliver Götz

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