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Erdogans Kriegsrhetorik verschärft die Währungskrise am Bosporus

In der Türkei braut sich schon seit einigen Monaten ein explosiver Mix zusammen. Die Abwertungen der Lira könnten die Bedienung der Fremdwährungsverbindlichkeiten zunehmend schwieriger machen. Die Kredite sind in US-Dollar notiert, und der ist erstmals mehr als sieben Lira wert; dementsprechend erreichte die Lira sogar den Kurs von acht Euro. Doch auch die europäische Währung selbst kam breitflächig unter Druck. Die Türkei ist eben verdammt nah dran an Europa...

BÖRSE am Sonntag

In der Türkei braut sich schon seit einigen Monaten ein explosiver Mix zusammen. Die Abwertungen der Lira könnten die Bedienung der Fremdwährungsverbindlichkeiten zunehmend schwieriger machen. Die Kredite sind in US-Dollar notiert, und der ist erstmals mehr als sieben Lira wert; dementsprechend erreichte die Lira sogar den Kurs von acht Euro. Doch auch die europäische Währung selbst kam breitflächig unter Druck. Die Türkei ist eben verdammt nah dran an Europa...

Auf die Türkei blicken die Marktteilnehmer zunehmend mit Sorge. Die türkische Lira ist auf einen historischen Tiefstand gefallen. Gegenüber dem Dollar verlor sie zeitweise bis zu zwanzig Prozent an Wert. Ein Dollar ist aktuell etwa 6,9 Lira wert. Wer also heute 100 Lira kaufen will, muss dafür weniger als 14 Dollar zahlen. Seit Jahresbeginn hat die türkische Währung damit fast die Hälfteihres Werts verloren.

Paul McNamara, Investment Director bei GAM Investments, kommentiert die Aussichten für die türkische Lira wie folgt:  „Die Türkei leidet unserer Einschätzung nach unter einer toxischen Kombination aus einem Leistungsbilanzdefizit, einer übermäßigen Verschuldung des privaten Sektors und einer hohen Auslandsfinanzierung des Bankensystems." Die Situation spitze sich zu, da eine Nachfrageverlangsamung dringend benötigt werde, dies aber zu Qualitätsproblemen der Vermögenswerte bei den Banken führe. Die Bedeutung des Baugewerbes für die Wirtschaft sei ein markanter Faktor, und dies sei beispielsweise vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise in Europa in Spanien oder Irland auch so gewesen.

McNamara ist desillusioniert: „Wir denken, dass die Türkei die Möglichkeiten von Zinserhöhungen ausgeschöpft hat und durch ihre unzureichenden Währungsreserven in die Enge getrieben wird. Laut Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) verfügt die Türkei über die am wenigsten ausreichenden Währungsreserven im Vergleich zu den anderen großen Schwellenländern." Die Politik des Landes sei zudem überaus problematisch, denn der Finanzminister sei der Schwiegersohn des Präsidenten und die politische Einflussnahme auf die eigentlich „unabhängige" Geldpolitik der Zentralbank nehme zu: „Unsere stark negative Haltung bezüglich Investitionen in der Türkei bleibt bestehen und wir haben unsere Risikopositionen nicht geändert."

Ein Teufelkreis ist Gang gekommen

Die Abwertungen der Lira werden die Bedienung der Fremdwährungsverbindlichkeiten zunehmend schwieriger machen. Nach dem fortgesetzten Kurseinbruch der türkischen Lira dämmert am Markt so manchem die erkenntnis, wie hoch das Ansteckungsrisiko europäischer Banken ist, nachdem die Nullzinspolitik der EZB sie in Hochzinsländer wie die Türkei getrieben hat. Dabei steht weniger die öffentliche Fremdwährungsverschuldung im Fokus als vielmehr diejenige des privaten Sektors. Innerhalb des privaten Sektors wiederum ist der hohe Anteil kurzfristiger Fremdwährungsverbindlichkeiten im Bankensektor das Sorgenkind.

Die angespannte Situation könnte durch ein beherztes Vorgehen der türkischen Notenbank abgemildert werden. Nötig wäre eine kräftige Zinserhöhung, die zu erkennen gäbe, dass die Währungshüter am Bosporus gewillt sind, dem Verfall der heimischen Währung nicht tatenlos zuzusehen. Doch genau hierbei mangelte es in den vergangenen Tagen und Wochen. Spekulationen kamen auf, dass der Arm von Präsident Erdogan bereits bis in die Notenbank reicht. Ob dem tatsächlich so ist, kann abschließend nicht beantwortet werden. Doch was zählt ist, dass die Märkte Zweifel an der Unabhängigkeit der Notenbank haben.

In der Vergangenheit stand der Internationale Währungsfonds (IWF) der Türkei eng zur Seite. Mehr noch, das erfolgreiche Überwinden der Türkei-Krise des Jahres 2001 war für die Washingtoner Institutionen nach einigen Pleiten, Pech und Pannen in den 1990er Jahren ein Aushängeschild. Auch in den USA hatte der Staat am Bosporus in der Vergangenheit einen großen Fürsprecher. Das Motto war: Die geopolitische Lage macht Hilfe erforderlich. Entsprechend hoch war die Washingtoner Solidarität. Nun wissen wir, dass das Verhältnis zwischen Washington und Ankara derzeit nicht gerade das beste ist. Dies macht die Situation nicht gerade einfacher.

Sollte die Türkei aber Hilfe brauchen, wird der IWF bereit stehen. Eine Bedingung für finanzielle Hilfen wird aber sein, dass die Notenbank mit Zinserhöhungen gegenlenkt. Die kommenden Tage und Wochen werden also spannend werden. Zunächst gilt abzuwarten, wie man die Situation in Ankara einschätzt und welche Taten folgen werden. sig

Basis-Informationen: Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank Gruppe.