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Jens Weidmanns Rückzug ebnet den Weg für weiter steigende Inflationsraten

Mit Jens Weidmann verlieren alle diejenigen einen Unterstützer in der Europäischen Zentralbank, der sich gegen eine grenzenlose Verschuldung der Eurostaaten gewehrt hat und vor Inflationsrisiken warnte. Er war der „Dr. No“ im Rat der EZB. Für Sparer werden die Zeiten damit noch härter. Die sich formierende Koalition in Berlin steht vor einer schwierigen Nachfolgesuche. Wer das Amt des Bundesbankpräsidenten übernimmt, wird über die Stabilität des Euro mitentscheiden.

(Bild: Gaby Gerster)

Mit Jens Weidmann verlieren alle diejenigen einen Unterstützer in der Europäischen Zentralbank, der sich gegen eine grenzenlose Verschuldung der Eurostaaten gewehrt hat und vor Inflationsrisiken warnte. Er war der „Dr. No“ im Rat der EZB. Für Sparer werden die Zeiten damit noch härter. Die sich formierende Koalition in Berlin steht vor einer schwierigen Nachfolgesuche. Wer das Amt des Bundesbankpräsidenten übernimmt, wird über die Stabilität des Euro mitentscheiden.

Am Ende war er einsam. Bundesbankpräsident Jens Weidmann geht und hat Frank-Walter Steinmeier, den Bundespräsidenten, um seine Entlassung aus dem Amt zum Ende des Jahres gebeten. Für alle, die sich um die Schulden der Euro-Länder Sorgen machen, für alle, die glauben, dass die Inflation mehr und mehr zur Bedrohung wird, und für alle die, die Zentralbanken mehr und mehr als Erfüllungsgehilfen der Politik sehen, ist Weidmanns Abgang Salz in ihre Wunden. Weidmann, ein enger Weggefährte Angela Merkels, sieht nach der Abwahl der Kanzlerin offenbar niemanden mit Einfluss mehr, der seine geldpolitische Haltung unterstützt.

Er, den sie wegen seiner unmissverständlichen Position innerhalb der Europäischen Zentralbank oft den „deutschen Falken“ genannt haben, macht den Abflug. Er ist müde geworden: „Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als zehn Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich“, schreibt er in einem langen Brief an seine rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bundesbank. Einst der jüngste Bundesbankpräsident aller Zeiten ist er innerhalb einer Dekade zum enttäuschsten Präsidenten aller Zeiten geworden.

Der Falke war im EZB-Rat, dem er als Bundesbankpräsident genauso wie die anderen Notenbankchefs der Euroländer angehört, in der Minderheit. Mitstreiter für einen klaren ordnungspolitischen Ansatz gab es immer weniger: Von der deutschen Kollegin im EZB-Direktorium Isabell Schnabel muss er sich im Stich gelassen fühlen. Schnabel verteidigt noch immer die hohen Inflationsraten im Euroraum, die mit aktuell 3,4 Prozent deutlich über jenen zwei Prozent liegen, die sich die EZB selbst als Zielkorridor gesetzt hat. Auch Klaas Knot, niederländischer Notenbankpräsident und einer, den Weidmann lange in seinem Nest der Falken verordnete, hat das Lager jüngst gewechselt. „Im Moment sehen wir das Phänomen der Inflation als vorübergehend an“, hat Knot noch am Sonntag zu Protokoll gegeben. Weidmann dagegen ist alarmiert. In dem Brief an die Mitarbeiter fordert er, „perspektivische Inflationsgefahren nicht aus dem Blick zu verlieren“. Eine „stabilitätsorientierte Geldpolitik“ werde dauerhaft nur möglich sein, wenn der Ordnungsrahmen der Währungsunion weiterhin die Einheit von Handeln und Haften sichere, die Geldpolitik ihr enges Mandat achte und nicht ins Schlepptau der Fiskalpolitik oder der Finanzmärkte gerate.

Sorgen bereitet dem nun scheidenden Bundesbank-Präsidenten vor allem das Pandemie-Notfall-Programm PEPP. Es läuft nach bisherigem Plan bis Ende März 2022 und bietet der Europäischen Zentralbank besonders flexible Möglichkeiten, Staatsanleihen zu kaufen und damit einzelne Staaten wie etwa Italien zu unterstützen. Ob es verlängert wird, darüber will die EZB im Dezember entscheiden. Aus Weidmanns Sicht gehört es in die Mottenkiste: Das erste „P“ in dem Pepp genannten Programm stehe für „pandemic“ und nicht für permanent, lautet Weidmanns deutliche Ansage dazu. Eine Notfall-Option müsse beendet werden, wenn der Notfall vorbei sei, hatte er jüngst in einem Interview mit dem Handelsblatt gefordert.

Allerdings steht er auf verlorenem Posten. Seine wichtigsten Gegenspieler jedenfalls haben bereits angedeutet, dass sie Weidmann nicht zustimmen. Der italienische Notenbankchef Ignazio Visco und sein französischer Amtskollege François Villeroy de Galhau wollen die gewonnene Flexibilität zumindest teilweise beibehalten. Offenbar ist die damit einhergehende einfache Möglichkeit für die Nationalstaaten an Geld zu kommen, allzu verführerisch.

Im Brief an die Mitarbeiter schreibt Weidmann nun, erst die Finanzkrise, dann die die Staatsschuldenkrise und zuletzt die Pandemie hätten in Politik und Geldpolitik zu Entscheidungen geführt, die lange nachwirken würden. Der scheidende Präsident nennt das „andauernden Krisenmodus“. „Mir war es dabei immer wichtig, dass die klare, stabilitätsorientierte Stimme der Bundesbank deutlich hörbar bleibt“, fügt er hinzu, womit klar wird, dass er nun mit einem Verschwinden dieser deutlichen Meinung rechnet.

Legendär ist Weidmanns Auftreten gegenüber dem ehemaligen EZB-Präsidenten und jetzigen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi, als dessen profiliertester Gegner er sich in Stellung brachte. Und das mit Billigung von Angela Merkels, deren wirtschaftspolitischer Berater Weidmann vor seiner Berufung an die Bundesbank-Spitze war. Im September 2012, als die EZB beschloss, im Notfall unbegrenzt Anleihen einzelner Euro-Länder zu kaufen, fragten. Journalisten Draghi nach der Ratssitzung, ob die Entscheidung einstimmig gefallen sei. Der lächelte daraufhin leicht, und sagte, es habe eine Gegenstimme gegeben: „Ich überlasse es Ihnen, darüber zu spekulieren, wer das war.“  Wer weiter fragte, bekam von Draghi, der stets englisch sprach, eine Antwort auf deutsch: „Nein zu allem“ sei keine Lösung sagte er und spätestens da war klar, dass Weidmann dieser „Dr. No“ war, der Draghi nervte. Mit Draghis Nachfolgerin Christine Lagarde verbindet Weidmann ein kollegiales Verhältnis, in der Sache liegen aber auch zwischen den beiden Welten: Weidmann sei ein guter persönlicher Freund, auf dessen Loyalität sie jederzeit habe zählen können. Er verfüge über eine beispiellose Erfahrung und habe eine klare Haltung zur Geldpolitik. Doch sie sei stets beeindruckt gewesen von seinem Willen, im EZB-Rat nach Gemeinsamkeiten zu suchen, schrieb Lagarde als Reaktion auf Weidmanns Rücktrittsankündigung.

Wer ihm an die Spitze der Bundebank nachfolgt, muss nun die sich formierende Koalition in Berlin aushandeln. FDP-Chef Christian Lindner, der als möglicher Finanzminister direkt von EZB und Bundesbank-Entscheidungen betroffen wäre, twitterte, Weidmann habe für „eine stabilitätsorientierte Geldpolitik“ gestanden, deren Bedeutung angesichts von Inflationsrisiken wachse. „Mit ihm war die Deutsche Bundesbank eine wichtige Stimme in Europa. Die FDP empfiehlt Deutschland Kontinuität.“ Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands Die Familienunternehmern, beklagte: „Mit Jens Weidmann verlieren wir einen wichtigen Mitstreiter für stabilitätsorientierte Geldpolitik.“
Sowohl Claudia Buch, die Vizepräsidentin der Bundesbank, als auch Isabell Schnabel, Mitglied des Direktoriums der EZB, sind mögliche Kandidatinnen für dieses Amt. Beide stehen allerdings längst nicht in dem Maße wie Weidmann für eine klare ordnungspolitische Haltung. Wenn die Wahl nicht auf eine Frau fallen sollte, gilt Jörg Kukies (SPD) als Kandidat. Der Staatssekretär von Noch-Bundesfinanzminister und möglichem nächsten Kanzler Olaf Scholz ist der frühere Deutschland-Chef der Investmentbank Goldman-Sachs. Gehandelt wird auch der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW Marcel Fratzscher. Er war einst Leiter der Abteilung für wirtschaftspolitische Analysen in der EZB.

Oliver Stock