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Kommt die Inflation, Herr Feld?

Der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen hält einen stärkeren Druck auf die Preise mittelfristig für möglich. Warum er sich dennoch nicht vor Inflation sorgt, sondern vielmehr vor einem neuen Kalten Krieg, erklärt er im Interview.

Ist seit März 2020 Vorsitzender des Sachverständigenrates: Prof. Dr. Dr. Lars Feld. (Foto: Sachverständigenrat)

Der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen hält einen stärkeren Druck auf die Preise mittelfristig für möglich. Warum er sich dennoch nicht vor Inflation sorgt, sondern vielmehr vor einem neuen Kalten Krieg, erklärt er im Interview.

Herr Prof. Feld, angesichts ausufernder Staatsschulden und rasant steigender Geldmengen, die in den Wirtschaftskreislauf eingebracht werden, sorgen sich immer mehr Menschen in Deutschland vor explodierenden Inflationsraten? Sie sich auch?

Nein. Man muss das differenziert betrachten. Wir befinden uns aktuell in einer schwierigen Wirtschaftslage, obwohl der Aufschwung genau genommen schon da ist. Wir hatten den Tiefpunkt der konjunkturellen Entwicklung im Mai. Seither geht es wieder bergauf, zum Teil sogar sehr steil. Technisch gesprochen sind wir also im Aufschwung. Dennoch sind wir noch weit weg von einer normalen Wirtschaftslage. Wir haben weiterhin eine Produktionslücke und vor 2022 können wir nicht damit rechnen, wieder ein Bruttoinlandsprodukt auf dem Niveau von 2019 zu erreichen. In so einer Situation ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass eine Inflation von über zwei Prozent auftritt. Wir können froh sein, wenn keine deflationären Tendenzen da sind.

Und was passiert 2022?

Was die Entwicklung nach 2022 anbelangt, muss man abwarten. Wir werden zunächst sehen müssen, wie viele Unternehmen diese Krise überleben können. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist ja verlängert worden, aber es wird Insolvenzen geben. Das bedeutet, dass in der Realwirtschaft einige Unternehmen verschwinden werden. Der Corona-Schock trifft in erster Linie die Realwirtschaft, nicht die Finanzwirtschaft wie 2008/09. Das ist eine andere Situation, sodass man genau beobachten muss, wie die aktuell hohe Liquidität sich in wirtschaftliche Aktivität umsetzt. Es ist möglich, dass dann ein stärkerer Druck auf die Preise entsteht.

Mit welchen Inflationsraten rechnen Sie?

Ich würde für 2020 und 2021 von Inflationsraten zwischen 0,5 beziehungsweise 1,5 Prozent für Deutschland ausgehen. Für 2022 rechne ich damit, dass die Rate immer noch unter zwei Prozent bleiben wird. Auf mittlere Sicht wird man dann sehen, ob diese riesigen Summen an Liquidität, die nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit in die Wirtschaft gepumpt werden, sich in einer verstärkten Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen äußern.

Nach der Finanzkrise ist das nicht passiert.

Richtig, da habe ich am Anfang gedacht, dass sich die Banken schnell wieder erholen. Das war aber nicht der Fall. Deshalb ist die Kreditvergabe nicht nach oben gegangen. Das war der Grund dafür, dass wir jetzt zehn Jahre moderate Inflationsraten, teilweise sogar Deflationsbefürchtungen hatten. Das ist jetzt vielleicht anders.

In Deutschland scheint die Angst vor Inflation besonders groß. Warum?

In Deutschland taucht das Thema immer wieder auf. Das hat stark damit zu tun, dass die Deutschen im 20. Jahrhundert ihre Erfahrungen mit Hyperinflation gemacht haben – zunächst im Jahr 1923 und dann mit der zurückgestauten Inflation, die zur Währungsreform nach dem Zweiten Weltkrieg geführt hat. Das waren zwei Inflationsphasen. Und es war jedes Mal so, dass damit eine monetäre Staatsfinanzierung verbunden war. Beide Male wurde die Druckerpresse eingesetzt, um die Rechnungen des Staates zu bezahlen. Diese Erfahrungen sind schon tief verankert in der deutschen Perzeption. Das ist mit ein Grund dafür, weshalb sich Deutschland in der Europäischen Währungsunion so restriktiv verhält und darauf pocht, dass monetäre Staatsfinanzierung verboten
ist.

Sind wir zu ängstlich?

In der Bevölkerung habe ich schon manchmal den Eindruck, dass man zu ängstlich ist, vor allem, weil die Zusammenhänge am Ende komplexer sind, als sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. Wenn die Notenbank viel Geld ins System pumpt, heißt das nicht automatisch, dass Inflation entsteht. Es muss erst einmal im Bankensystem dazu genutzt werden, um Kredite zu vergeben. Und das tun Banken nur, wenn sie annehmen, dass sie eine ordentliche Rendite erzielen können. Von den Banken muss also der Impuls kommen, risikofreudiger zu werden – anders als in den vergangenen zehn Jahren, in denen sie sehr zurückhaltend waren. Zudem muss die Kapitalnachfrage auf Seiten der Wirtschaft da sein, sprich von Investoren und Konsumenten.

Fakt aber ist: Wir erleben gerade eine nie dagewesene Geldschwemme. Sowohl von geldpolitischer, als auch von fiskalpolitischer Seite. Insgesamt dürften die Bilanzen der Notenbanken in diesem Jahr weltweit die 20 Billionen-Dollarmarke überschreiten. Und auf Dauer könnten die Notenbanken mangels Alternativen zu Finanzierern der Staaten werden.  Treibt das dann nicht zwangsläufig die Inflation?

Zunächst einmal: Die Gefahr, dass Inflation entsteht, wenn Notenbanken monetäre Staatsfinanzierung betreiben, ist hoch. Davon sind wir aber weit entfernt. Der Druck, der nun während der Corona-Krise entstanden ist, dass von EU-Ebene fiskalpolitische Maßnahmen ergriffen werden, dieser Druck kam nicht nur von Italien oder Spanien, von Frankreich oder den Finanzmärkten, sondern die EZB hat ebenfalls Druck gemacht, damit sie eben nicht noch einen Schritt weiter gehen muss und in Richtung monetärer Staatsfinanzierung abdriftet. Was sie bisher mit dem PSPP- und dem PEPP-Programm gemacht hat, das ist – sofern die Grenzen eingehalten werden und obwohl dies riesige Summen sind – immer noch Geldpolitik, vor allem, weil nicht differenziert eingegriffen wird, um einzelne Staaten besonders zu stützen.

Aber wäre genau das in Zukunft nicht denkbar, weil man irgendwann nicht mehr anders kann?

Natürlich ist das denkbar. Beispielsweise wenn Italien auf keinen grünen Zweig kommt, mit allem was jetzt an Maßnahmen ergriffen worden ist. Grüner Zweig heißt: Zum einen ein stärkeres Wirtschaftswachstum zu erreichen und zwar eines, das tragfähig und nachhaltig ist. Dazu muss man Produktivitätsfortschritte generieren. Italien hat allerdings seit seinem Eintritt in die Währungsunion keinerlei Produktivitätsfortschritte mehr erzielen können. Das ist eine lange Zeit. Natürlich geht das Produktivitätswachstum in der ganzen Welt zurück, aber nirgendwo ist es so ungünstig wie in Italien. Zum zweiten: Nachdem die Pandemie abgeklungen ist, müssen Italien, aber auch andere Staaten der Währungsunion, ihre öffentlichen Haushalte konsolidieren.  

Sollten wir uns also erst einmal nach Inflation sehnen, und dann, 2022, allmählich mit dem Fürchten beginnen?

Nein, ich sehne mich weder nach Inflation, noch habe ich Panik vor ihrem Auftreten. Ich schaue auf die Gesamtwirtschaft immer mit gewissen abwägenden Sorgen. Ich wünsche mir vor allen Dingen, dass wir eine Normalisierung der Wirtschaftsentwicklung bekommen und kein zweiter Lockdown  ähnlich dem in diesem Frühjahr bei einer zweiten Infektionswelle notwendig wird.

Ist Inflation also gar nicht das, wovor wir uns derzeit zuallererst fürchten sollten?

Im Moment können wir beobachten, dass mit Blick auf die Weltwirtschaft eine Überlagerung durch sicherheits- und außenpolitische Interessen stattfindet. Das Stichwort ist da vor allem die Rivalität zwischen den USA und China. In der Öffentlichkeit wird das gern Donald Trump zugeschrieben. In Wirklichkeit steckt dahinter aber das Expansionsstreben Chinas. Und das macht mir natürlich große Sorgen. Wir müssen uns fragen, ob wir in einen zweiten kalten Krieg hineinlaufen und welche Auswirkungen dieser hätte.

Noch befinden wir uns im „Krieg“ gegen das Coronavirus. Clemens Fuest, der Chef des Ifo-Instituts, warnte dem Spiegel nach jüngst vor einer Stagflation.

Ich habe nicht den Eindruck, dass er dies als ein akutes Risiko ansieht. Wir müssen in der mittleren Frist durchaus aufpassen, dass aus dem Zusammenspiel einer stark betroffenen Realwirtschaft und den riesigen Geldsummen in der Wirtschaft, keine Inflation entsteht. Corona ist in erster Linie ein schwerer Produktivitätsschock. Deshalb meine Kritik an den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung einschließlich der Verlängerung des Kurzarbeitergelds. Wir brauchen einen Strukturwandel in der Wirtschaft, sodass Unternehmen, die eigentlich nicht mehr überlebensfähig sind, vom Markt verschwinden. Unternehmen müssen zudem frei umstrukturieren können. Beides ist wichtig, um Produktivitätsfortschritte zu erzielen.

Also Kurzarbeit besser heute als morgen beenden?

Nein, so würde ich das nicht sagen. Aber selbst gewerkschaftsnahe Ökonomen und Politologen sehen ein, dass die Entscheidung, das Kurzarbeitergeld zu verlängern, zu früh gekommen ist. Wir sind wie gesagt im Aufschwung. Setzt sich dieser fort und kommen von der Pandemie-Seite keine weiteren Restriktionen, dann werden wir im nächsten Jahr ein kräftiges Wachstum erleben. Dann brauchen wir die Kurzarbeit nicht. Wir halten die Leute nur unnötigerweise in Jobs, aus denen sie vielleicht besser rausgehen, in andere Betriebsteile oder andere Unternehmen.

Zurück zur Inflation. Die große Geldentwertung einmal außen vor gelassen, was würden steigende Inflationsraten für Deutschland bedeuten? Was für die Euro-Währungsunion?

Für die Währungsunion würde das bedeuten, dass die EZB darauf reagieren müsste, das heißt ihre Geldpolitik würde restriktiver werden. Das führt tendenziell zu höheren Zinsen. Und das bedeutet für die hochverschuldeten Länder, dass sie noch stärker unter Konsolidierungsdruck geraten. Ob die EZB dann wirklich bereit ist, stark genug auf die Bremse zu treten, ist eine offene Frage. Es kann sein, dass wir dann schon eine so starke fiskalische Dominanz in der Geldpolitik haben, dass sie sich das nicht mehr traut.

Könnte uns dann eine Währungsreform ins Haus stehen?

Nein.

Warum nicht?

Ich bekomme die Frage, ob der Euro überlebt, seit über zehn Jahren gestellt. Bisher zeigte sich der Euro ziemlich stabil – im Außen- wie im Innenwert. Wir sind nun mal mit der Europäischen Währungsunion in einer anderen Situation, als ein Staat, der eine eigene Währung hat. Und man wird sich im weiteren Verlauf im Umgang mit der Verschuldungskompetenz, die jetzt temporär eingeführt worden ist, Gedanken machen müssen, ob diese temporär bleiben soll – oder die EU sogar mehr Kompetenzen erhalten sollte, damit sie stärkeren Einfluss auf die Politik der Mitgliedstaaten nehmen kann. Aktuell besteht eine ungünstige Asymmetrie, wenn sich die EU verschulden können wird, um das Aufbauprogramm zu finanzieren, aber keine Möglichkeit hat, dafür zu sorgen, dass die Mittel, die in die Mitgliedstaaten fließen, vernünftig verwendet werden.

Zum Schluss noch ein kurzer Blick auf die Märkte. In den USA ist die Marktkapitalisierung der an der Börse gelisteten Konzerne und Unternehmen von zehn Billionen Dollar im Jahr 2008 auf inzwischen 40 Billionen Dollar gestiegen. Haben wir längst Inflation? Nur eben nicht in der Realwirtschaft?

Ich bin sehr zurückhaltend, ob wir das als Inflation bezeichnen können. Ich finde es schon fragwürdig ex ante festlegen zu müssen, ob es sich um eine Blase handelt, oder nicht. Das wissen wir eigentlich immer erst hinterher, wenn die Blase geplatzt ist. Natürlich gibt es an den Aktienmärkten Übertreibungen. Aber die Vermögenspreisentwicklung ist deshalb nicht einfach als Inflation einzuordnen. Schließlich stellt sich die Frage, was passiert, wenn es Korrekturen gibt.

Was passiert dann?

Wenn wir einen Crash an den Aktienmärkten haben, dann verlieren eine ganze Menge Leute einen Haufen Geld und für den einen oder anderen wird das ausgesprochen schwierig sein. Aber ich denke, dass man die daraus folgenden Entwicklungen relativ gut im Griff hätte – makroökonomisch betrachtet. Bei den Immobilienpreissteigerungen, die es in der Vergangenheit gegeben hat, schauen wir vorsichtiger hin, weil uns aus den Jahren 2007/08 in den USA bekannt ist, dass die übertriebenen Preissteigerungen nicht flächendeckend nach unten korrigiert werden mussten, sondern nur in bestimmten Gegenden, wie in den Ballungsräumen oder touristischen Regionen. Es reicht also aus, wenn man in einem Teil der Wirtschaft Preisübertreibungen am Immobilienmarkt hat. Je nachdem, wie das Bankensystem engagiert ist, wirkt sich das auf das Finanzsystem aus.

Sehen Sie da akute Gefahren?

Unsere aktuelle Einschätzung im Sachverständigenrat ist ähnlich derjenigen der Deutschen Bundesbank: Wir sehen sehr wohl solche Preisübertreibungen, aber keine exorbitant steigende Kreditvergabe. In den Preisübertreibungen steckt also wohl sehr viel Eigenkapital. Und so bekommt man wieder den gleichen Effekt wie am Aktienmarkt. Wenn die Blase platzt, dann verlieren eine Menge Leute Geld, aber solange nicht verstärkt über Kredite finanziert wurde, hält das Bankensystem dies aus.

Das Gespräch führte: Oliver Götz

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