3 Gründe, warum der Ölpreis noch weiter steigt
Ein Barrel Rohöl könnte bald so viel kosten wie nie zuvor. Experten sprechen schon von einer Neubewertung. Die russische Invasion in die Ukraine ist der Haupttreiber, doch auch die neue Einigkeit in der OPEC+ kommt am Markt an.
Ein Barrel Rohöl könnte bald so viel kosten wie nie zuvor. Experten sprechen schon von einer Neubewertung. Die russische Invasion in die Ukraine ist der Haupttreiber, doch auch die neue Einigkeit in der OPEC+ kommt am Markt an.
Die Tankstelle besucht hierzulande gerade wohl nur, wer unbedingt muss – und auch dann nur mit einigen Bauchschmerzen. Dabei könnten die aktuellen Preise für Benzin und Diesel bald schon wieder als günstig gelten, glaubt man den Szenarien einiger Analysten. Christyan Malek von der US-Bank JPMorgan sieht eine „Neubewertung von Öl“ und hält ein „massives Überschießen“ des Preises für möglich. Was das heißt, konkretisieren die Bank of America und das Investmenthaus Stifel, deren Experten einen Ölpreis von 200 US-Dollar je Barrel inzwischen für möglich halten. Da kann es einem schnell übel werden, nicht nur an der Zapfsäule.
Schon jetzt kostet ein Barrel der Nordseeölsorte Brent 109 US-Dollar. Zu Wochenbeginn war der Preis im frühen Handel kurzzeitig auf etwas über 139 Dollar geklettert. Der Rekordpreis liegt bei 147,50 Dollar. Für einen Moment war diese Marke also nicht mehr weit entfernt, bald könnte sie vielleicht fallen. Seit Beginn des russischen Krieges in der Ukraine ist der Ölpreis stark gestiegen. Auf Sechs-Monatssicht steht ein Plus von über 50 Prozent zu Buche. Auf Jahressicht sind es 60 Prozent plus. Das US-Pendant WTI bewegt sich in etwa im Gleichschritt. Auch hier kostete ein Barrel zu Wochenbeginn zeitweise über 130 Dollar und damit so viel wie letztmals 2008.
1. Der drohende Importstopp aus Russland
Grund für die erneut kräftigen Preissprünge war am Montag der mögliche Importstopp für Öl aus Russland. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hatte jüngst eindringlich um den Stopp gebeten, indem er beim US-Fernsehsender CNN die Weltgemeinschaft dazu aufgefordert hatte, mit dem Kauf von russischem Öl aufzuhören. Dieses rieche „nach ukrainischem Blut“. Während sich die USA nun zu dem Schritt durchgerungen haben, berät die EU derzeit noch darüber.
In Japan wird der Importstopp ebenfalls diskutiert, wie die Nachrichtenagentur Kyodo berichtete. Kommt ein solcher Importstopp mit voller Härte, hätte dies wohl eine gewaltige Preisexplosion zufolge. Finanzminister Christian Lindner sagte dazu bei Bild TV: „Verzichten wir auf Gas, Öl und Kohlelieferungen aus Russland, bedeutet das, dass die Preise in Westeuropa und in der Welt dramatisch steigen werden aufgrund der erwartbaren Knappheit.“
Russland ist der weltweit drittgrößte Ölproduzent. Zuletzt exportierte das größte Land der Welt im Schnitt zwischen 4,5 und 5 Millionen Barrel pro Tag und deckte damit in etwa fünf Prozent des globalen Verbrauchs. Hinzu kommen noch rund 2,8 Millionen Barrel verarbeitetes Erdöl, wie Benzin. "Wenn der Westen den Großteil der russischen Energie-Exporte abschneidet, wäre das ein großer Schock für die Weltmärkte", sagt der Chefökonom der Bank of America, Ethan Harris. Die Menge Rohöl und Treibstoff sei nicht ohne weiteres zu ersetzen, glaubt auch Chris Wheaton, Analyst bei der Investmentbank Stifel. „Der Preis der Freiheit liegt bei 200 US-Dollar pro Barrel Rohöl, so viel könnte es kosten, wenn die Welt kein russisches Öl mehr nutzen will“, schätzt Wheaton in seiner Studie.
Selbst wenn der Importstopp nicht kommen sollte, gibt es ihn in abgeschwächter Form schon jetzt. Viele Ölhändler nehmen Russland aufgrund des Angriffs auf die Ukraine kaum noch Öl ab. Wie S&P Global Platts schätzt, könnte dies allein die russischen Exporte um rund zwei Millionen Barrel pro Tag senken.
2. Die neue Einigkeit der OPEC+
Weniger präsent als der drohende Importstopp, aber deshalb nicht weniger entscheidend, sind die Förderkapazitätspläne der OPEC+. Das globale Erdölkartell, zu dem nach seiner Erweiterung auch Russland gehört, hat sich jüngst dazu entschieden trotz des russischen Krieges in der Ukraine und der Ölknappheit am Markt, die Fördermenge zunächst nur moderat zu steigern. Das heißt konkret: Die Fördermenge soll monatlich um 400.000 Barrel pro Tag ausgeweitet werden. Das war bereits das Förderziel vor dem russischen Einmarsch in sein europäisches Nachbarland. Und schon da war es ein überraschend zurückhaltendes Ziel. Die Coronapandemie schließlich scheint auf ihre Ende zuzulaufen, die Weltwirtschaft schickt sich an, sich kräftig zu erholen und könnte nun ausgerechnet und wenn überhaupt vor allem durch einen zu hohen Ölpreis wieder in Stottern geraten.
Es scheint als stünde man in der OPEC+ so eng zusammen, wie selten und schon lange nicht mehr. Und das obwohl Russland gerade Krieg führt. Offenbar konnten die USA nicht einmal das verbündete Saudi Arabien davon überzeugen, die Förderkapazitäten zu erweitern. Wahrscheinlich will man besonders im Nahen Osten vermeiden, dass auf Dauer große Erdölförderer ausscheren. Aktuell könnte das Umfeld kaum besser sein. Die Nachfrage ist hoch, allerdings übersteigt sie das Angebot noch nicht massiv. Im Marktpreis spiegelt sich auch viel Panik wieder. Damit bekommt die OPEC+ ihr Öl gerade für viel Geld verkauft. Eine drastische Ausweitung der Fördermenge würde sich womöglich für einige Länder nur bedingt lohnen.
3. Die pandemiebedingten Förderkürzungen
Dass aktuell vergleichsweise wenig Öl gefördert wird, liegt an den Nachwehen der Coronapandemie. Bei den derzeitigen Preissteigerungen gerät schnell in Vergessenheit, dass ein Barrel Brent im April noch historisch niedrige 17 Dollar gekostet hatte. Die US-Sorte WTI war an der Börse sogar kurzzeitig ins Minus gerutscht. Die Pandemie kam damals mitten hinein in einen ohnehin schon mit Erdöl gefluteten Weltmarkt, nachdem die USA durch die Fracking-Methode wieder zum weltgrößten Erdölförderer aufgestiegen waren. Der Preis hatte sich entsprechend tief eingependelt, da die Amerikaner bei höheren Preisen sofort neue Fracking-Quellen erschließen und somit den Kurs wieder drücken konnten. Die OPEC+ konnte sich währenddessen nicht auf nennenswerte Kürzungen einigen. Durch die Pandemie sah sich die Organisation dann aber gezwungen zu reagieren und kürzte die Kapazitäten am Ende deutlich. Vor allem aber sorgte der Ölpreiscrash für Pleiten in der Fracking-Industrie und einen massiven Investitionsstopp. Kostenintensive Quellenerschließungen wurden global auf Eis gelegt.
Nun würden sich viele Investitionen wieder rentieren, auch die Fracking-Industrie könnte rentabel arbeiten. Doch die Produktionskapazitäten lassen sich nicht mit einem Fingerschnippen hochfahren. In den nächsten Monaten dürfte sich am Angebot außerhalb Russland also kaum etwas ändern. Eine Wahrheit dieser Tage könnte deshalb auch sein: Öl ist aktuell vielleicht gar nicht teuer, sondern war womöglich lange Zeit viel zu billig.
Oliver Götz
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