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Aktien: Schafft Digitalisierung mehr Wachstum?

Die Weltwirtschaft läuft gut – derzeit. Langfristig mangelt es jedoch an Wachstumspotenzial. Erzielen ließe sich dies vor allen Dingen über Produktivitätssteigerungen – etwa durch die stärkere Einbindung neuer Technologien in die Wertschöpfungsketten der Unternehmen. Die Anfänge dafür sind gemacht. Aber welche Aktie wird profitieren? Ulrich Stephan analysiert.

BÖRSE am Sonntag

Die Weltwirtschaft läuft gut – derzeit. Langfristig mangelt es jedoch an Wachstumspotenzial. Erzielen ließe sich dies vor allen Dingen über Produktivitätssteigerungen – etwa durch die stärkere Einbindung neuer Technologien in die Wertschöpfungsketten der Unternehmen. Die Anfänge dafür sind gemacht.

Von Ulrich Stephan

Gäbe es einen Preis für den erfolgreichsten Anglizismus in der deutschen Sprache, das Wort „Trend“ hätte gute Chancen auf einen der vorderen Plätze. Auch weil es für kurzfristige, oberflächliche Moden ebenso benutzt werden kann wie für langfristige, tiefgreifende Veränderungsprozesse. Aus volkswirtschaftlicher Sicht interessant sind in erster Linie die nachhaltigen Entwicklungen und hier insbesondere die sogenannten Megatrends oder, wie das Frankfurter Zukunftsinstitut sie nennt, die „Blockbuster des Wandels“. Dabei handelt es sich um global zu beobachtende Wandlungsprozesse in allen Bereichen von Gesellschaft und Wirtschaft – beispielsweise den Siegeszug der Informationstechnologie, die automobile Revolution oder zuvor die Elektrifizierung.

Anders als die eher kurzfristigen Konjunkturzyklen beschreiben diese Megatrends nachhaltige Zyklen mit einer Halbwertszeit von 40 bis 60 Jahren und haben damit entscheidenden Einfluss auf das Trendwachstum der Volkswirtschaften – also deren langfristig mögliche Wachstumsrate unter Einhaltung eines moderaten Inflationsniveaus.

Höhere Produktivität als Schlüssel zu nachhaltigem Wachstum

Allerdings ist es um dieses Wachstum weltweit bereits seit Jahren nicht gut bestellt. Das liegt zum einen an der demografischen Entwicklung und der daraus folgenden geringeren Zunahme der Erwerbstätigkeit in einigen Ländern. Zum anderen an der für das Trendwachstum noch weit wichtigeren Produktivität, die sich seit der Finanzkrise rund um den Globus noch einmal langsamer entwickelt als ohnehin schon in den Jahren zuvor. Was also braucht es, damit die Weltwirtschaft in Zukunft wieder langfristig stabiler wachsen kann? Da demografisch in absehbarer Zeit kaum neue Impulse zu erwarten sind, gibt es meines Erachtens nur eine Möglichkeit, die Welt auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückzuführen: die Steigerung der Produktivität.

Eine Einschätzung, die unter Ökonomen weitestgehend unwidersprochen ist. Jedoch gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob eine solche Steigerung überhaupt möglich ist oder nicht. Die Vertreter der Theorie der „Secular Stagnation“ beispielsweise gehen davon aus, dass größere Produktivitätssteigerungen auch in Zukunft nicht zu erwarten sind und befürchten ein lang anhaltendes (engl.: secular) stagnierendes (engl.: stagnating) Trendwachstum. Einige Ökonomen, zum Beispiel der ehemalige US-Finanzminister Larry Summers, führen als Grund dafür eine chronische Nachfrageschwäche und den Mangel an profitablen Investmentmöglichkeiten ins Feld. Andere, wie der renommierte Produktivitätsforscher Robert Gordon, sind der Meinung, dass Innovationen in der heutigen Zeit ohnehin bei Weitem nicht mehr die wachstumsfördernden Impulse liefern können, wie sie es in der Vergangenheit getan haben – etwa im Rahmen der Elektrifizierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Meiner Meinung nach greifen diese Erklärungsversuche jedoch zu kurz, denn sie unterschätzen die Kreativität der Menschen, denen es bislang stets gelungen ist, zum Beispiel neue Technologien zu ihrem wirtschaftlichen Nutzen zu etablieren. Schon frühere Abgesänge auf die Weltwirtschaft, wie die damals vielbeachtete Studie „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome aus dem Jahr 1972, erwiesen sich als falsch. Stattdessen erlebte die Welt nach den Ölkrisen der 1970er-Jahre getrieben durch die Neuerungen in der Kommunikations- und Informationstechnologie eine lange Wachstumsphase.

Vorteile für technologische Vorreiterunternehmen

Stellt sich die Frage: Welche Innovationen – denn sie sind letztlich der maßgebliche Treiber der Produktivität – können in Zukunft die Impulse für ein höheres langfristiges Wachstum geben? Meines Erachtens sind es die grundlegenden Technologien, die uns in unserem alltäglichen Leben bereits heute auf vielfältige Weise begegnen und am besten unter dem Begriff „Digitalisierung“ zusammengefasst werden können: Seien es immer kleiner und leistungsstärker werdende Prozessoren in Smartphones, Mikrosensoren in Fitnessarmbändern oder „Big Data“, also die Verarbeitung großer Datenmengen, etwa bei der Nutzung von sozialen Medien oder Navigationssystemen.

Kritiker werden nun einwerfen, dass diese Technologien zwar unser Leben erleichtert, volkswirtschaftlich gesehen jedoch keinen messbaren Effekt generiert haben. Und sie haben Recht: Ein spürbarer Beitrag zur Steigerung der Produktivität im großen Maßstab ist bislang nicht zu erkennen. Schaut man jedoch eine Ebene tiefer in die Unternehmen, wird deutlich, welches enorme Potenzial die Digitalisierung hat: Nach den Ergebnissen einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2015, für die Unternehmen aus 23 Ländern aus unterschiedlichen Branchen verglichen wurden, waren es nämlich gerade die Unternehmen, die frühzeitig neue Technologien wie Big Data, künstliche Intelligenz oder die Cloud in ihre Wertschöpfungsketten integriert und miteinander vernetzt hatten, die die höchsten Produktivitätssteigerungen erreichten.

Wichtige Grundlagen geschaffen, Herausforderungen bleiben

Ich gehe davon aus, dass die Digitalisierung zukünftig in immer mehr Unternehmen zu Produktivitätssteigerungen führen wird. Einige wichtige Voraussetzungen dafür scheinen bereits gegeben: Zum einen sind die zugrunde liegenden Technologien günstiger geworden, sodass sich ihr Einsatz schneller amortisiert und Unternehmen eher das notwendige Investitionsrisiko eingehen dürften. Zum anderen sind viele Innovationen in den Vorreiterfirmen bereits erfolgreich in die Wertschöpfungsketten eingebunden, wodurch mittlerweile ein Know-how-Transfer stattfinden kann. Und schließlich nimmt der Wettbewerbsdruck auf Unternehmen, die sich der Digitalisierung noch verschließen, immer mehr zu: Um ihre Geschäftsgrundlage nicht zu verlieren, sind sie schlichtweg gezwungen, die neuen Technologien zukünftig stärker in ihre Prozesse zu integrieren.

Allerdings gibt es auch eine Reihe von Herausforderungen, die der zunehmenden Digitalisierung der Produktionsprozesse nach wie vor im Wege stehen. So bedarf es neben einer Reduzierung der regulatorischen Hemmnisse etwa bei der Einführung neuer Produkte und Services sowie stabileren politischen Institutionen für entsprechende Investitionssicherheit insbesondere eines freien globalen Wettbewerbs. In Zeiten extrem niedriger Finanzierungskosten in weiten Teilen der Welt werden unproduktive Unternehmen jedoch seit Jahren künstlich am Leben erhalten. Die „schöpferische Zerstörung“ ineffizienter Strukturen, die der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter bereits in den 1940er-Jahren als Grundlage für eine wirtschaftliche Neuordnung postulierte, wird dadurch behindert. Das hemmt die Investitionsbereitschaft der Unternehmen insgesamt und damit letztlich deren Produktivität.

Miteinander von Mensch und Maschine – Risiko und Chance

Hinzu kommt die Skepsis vonseiten vieler Arbeitnehmer hinsichtlich der Auswirkungen eines digitalen Strukturwandels auf den Arbeitsmarkt. Die Sorge vor einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen ist nachvollziehbar. Jedoch ist es meines Erachtens noch nicht entschieden, ob es tatsächlich zu einer massenhaften Substitution von Menschen durch Maschinen kommen wird. Zuletzt wurden vermehrt Stimmen laut, die bei der Kooperation von Mensch und Maschine die Chancen in den Mittelpunkt stellen. Ich stehe hier eher aufseiten der Optimisten – wenn wir es lernen, die Technologie für uns zu nutzen, um uns leistungsfähiger zu machen oder lästige Tätigkeiten auszulagern, und uns gleichzeitig auf unsere menschlichen Stärken konzentrieren: Kreativität, Mitgefühl oder künstlerische Fähigkeiten, um nur einige zu nennen.

Damit dies gelingen kann, bedarf es meiner Meinung nach einer Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, etwa um auf Herausforderungen wie die zunehmende Vernetzung von Berufs- und Privatleben reagieren zu können, sowie eines breiteren Zugangs zu Bildung, damit möglichst viele Menschen den Umgang mit den neuen Technologien erlernen können. Und letztlich müssen diejenigen, die als Verlierer aus dem Strukturwandel hervorgehen, vom Staat kompensiert werden.

Globaler Digitalisierungswettlauf bereits in vollem Gange

Die Digitalisierung wird uns in allen Bereichen unseres Lebens die kommenden Jahrzehnte begleiten und maßgeblich prägen – sie ist ein Megatrend und eröffnet der Weltwirtschaft nach meiner Überzeugung langfristig neues Wachstumspotenzial. Welche Unternehmen und Volkswirtschaften am meisten davon profitieren werden, wird unter anderem davon abhängen, wo es der Politik gelingt, die notwendigen Rahmenbedingungen zeitnah zu schaffen. Etablierte Industrienationen wie Deutschland haben in diesem Wettbewerb zumindest in Teilbereichen noch immer einen Vorsprung. Ausruhen sollten sie sich darauf jedoch nicht. Schließlich ist die Digitalisierung weltweit betrachtet ein „Blockbuster des Wandels“.

Dr. Ulrich Stephan ist Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.