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Birkenstock: Schlappe auf dem Parkett

Die „Birks“ sind da – das urdeutsche Fußbett hat sich die Wall Street zum Laufgang an die Börse ausgesucht und notiert dort in Form der Birkenstock Holding seit 11. Oktober. Die Emission war holprig, und der erste Kurs regelrecht eine Ohrfeige. Was aber dürfen deutsche Anleger längerfristig von der Zukunft des Schuhherstellers erwarten?

(Quelle: picture alliance)

Die „Birks“ sind da – das urdeutsche Fußbett hat sich die Wall Street zum Laufgang an die Börse ausgesucht und notiert dort in Form der Birkenstock Holding seit 11. Oktober. Die Emission war holprig, und der erste Kurs regelrecht eine Ohrfeige. Was aber dürfen deutsche Anleger längerfristig von der Zukunft des Schuhherstellers erwarten?
 
Längst ist die Familie Birkenstock, deren Urahn einst in Hessen Einlegesohlen fabrizierte, nicht mehr im Besitz der Kapitalmehrheit des Unternehmen, sie mischt nur noch mit. Die einst als „Gesundheitslatschen“ verspotteten Fußbekleidungen des Herstellers finden sich heute in indirekter, aber trauter Gemeinschaft mit Hennessy, Louis Vuitton und anderen Marken des Konzerns LVMH, selbst natürlich börsennotiert. Dazwischengeschaltet die amerikanische Holding L Catterton. An die Börse ging nun die Dachgesellschaft Birkenstock Holding plc, Internationale Wertpapiernummer JE00BS44BN30, den Ausgabepreis legte man in der Mitte der angepeilten Spanne bei 46,00 Dollar fest (etwa 43,00 Euro). Der erste Kurs wurde an der Wall Street nach langem Warten mit katastrophalen 41 Dollar festgestellt, und pendelte dann um diese 10-Prozent-Verlust-Marke. Deutsche Anleger können das Papier natürlich nun auch über einheimische Börsenplätze erwerben – die offene Frage ist nur: Sollten sie überhaupt? Ein Schnäppchen gleich nach dem ersten Handelstag?
 
Für die Aktie sprechen trotz allem einige teils „weiche“ Faktoren; so wird etwa in New York darauf hingewiesen, dass das Unternehmen älter sei als die Vereinigten Staaten, nämlich 249 Jahre, und da macht offenbar Eindruck. Außerdem ist die Produktpalette längst dem etwas verstaubten Image der Hippie-Sandalette entwachsen und zum Statussymbol geworden, folgerichtig auch prominent im Kino-Blockbuster „Barbie“ vertreten (Modell „Arizona“). Nimm das, Crocs! Ein junges Publikum, was will man mehr. „Birkenstock, das ist wie die Wiederentdeckung einer alten Schallplatte, um festzustellen, dass sie einen zeitlosen Wert hat“, so ein New Yorker Marketingexperte: „Birkenstock trägt seine Geschichte und seine Werte wie eine Ehrenmedaille“. Kein Wunder, arbeitet man doch einerseits mit der Königlichen Preußischen Porzellanmanufaktur zusammen (noch einmal elf Jahre älter als die Schuhmacher-Gründung), und wird andererseits bei Oscar-Verleihungen auch schon mal jung-dynamisch auf der Bühne getragen. Das Unternehmen führt diese Historie denn auch beim Börsengang prominent vor sich her. Wenn die Amerikaner dann noch realisieren, dass der Sitz der Firma auf der uralten, noblen Burg Ockenfels hoch über dem Rhein bei Linz beheimatet ist, müsste an der „Story“ eigentlich alles stimmen. Die übrigens auch in Asien sehr beliebt ist neuerdings.
 
Dann aber sollte der Anleger vielleicht einmal die Bewertung und sonstigen harten Zahlen des Unternehmens betrachten – vor gut zwei Jahren wurde sie bei rund vier Milliarden Euro angesiedelt. Der Umsatz betrug 2022 1,2 Milliarden Euro, das Betriebsergebnis 435 Millionen. Heute entspricht die Bewertung beim Börsengang acht Milliarden US-Dollar. Birkenstock ist damit auch nicht gerade billig zu haben, das Kurs-Gewinn-Verhältnis entspricht bei diesem Ausgabepreis einem Wert von knapp 37, das ist ehrgeizig. Kaum Luft nach oben, sagen Analysten, zumal es angesichts eines hohen Schuldenstands vorerst keine Dividende geben wird.  Die Holding verkauft 10,8 Millionen Aktien, fast doppelt so viele stammen allerdings aus dem Bestand der Altaktionäre, das Geld dafür kommt also nicht dem Unternehmen zugute, ein oft mit Stirnrunzeln bedachtes Faktum bei Börsengängen. Mit den bisherigen 71 IPOs 2023 wurde die Wall Street bislang nicht sehr glücklich in diesem Jahr – zumeist waren es aber junge Unternehmen mit wenig Möglichkeiten, eine solide Wachstumsgeschichte zu schreiben. Dagegen wuchs Birkenstock von 2014 bis 2022 mit 20 Prozent jährlich, das klingt gut und beständig, so sehen es die heute lebenden Brüder Christian Birkenstock und Alex Birkenstock. Im vergangenen Jahr verkaufte man 30 Millionen Einheiten, wobei die wichtigste Marketingstrategie auf dem Prinzip Mundpropaganda beruht. Das hat bislang gut funktioniert – in den USA wechseln Moden allerdings oft überraschend, und schnell. Wall-Street-Händler geben zu bedenken, dass „Birks“ unter die Rubrik „Nice to have“ fallen, was in Zeiten, in denen viele Verbraucher den Gürtel enger schnallen, leicht mal vom Shopping-Zettel gestrichen werden kann. Das verdeutlichen auch die jüngsten Zahlen und Prognosen von Konzernmutter LVMH – die Luxusbranche konsolidiert sich; wer schon alles hat, hat auch manchmal genug.
 
Die Wahl von New York als Börsenplatz begründet das Unternehmen unter anderem damit, dass mehr als die Hälfte des Umsatzes in den USA gemacht werden – bei einer Produktion zu 95 Prozent in Deutschland, allerdings. Letzteres dürfte sich bald ändern. Experten macht die sinkende Bedeutung Frankfurts als Platz für Börsengänge zu schaffen. Spektakulär verabschiedete sich Anfang des Jahres der Traditionskonzern Linde aus München von den deutschen Börsen und dem Dax-Index und ist seither nur noch in New York notiert. So wie sieben Börsenneulinge allein seit 2021. Der deutsche Vorzeige-Softwarekonzern SAP denkt in ähnlicher Richtung. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Zahl der in Frankfurt beheimateten Börsen-Unternehmen etwa halbiert, stellt das Deutsche Aktien-Institut (DAI) fest. Hohe Regulierungsdichte, viel Bürokratie mit den entsprechenden Kosten - dabei gleichzeitig aber keine so gut funktionierende Börsenaufsicht wie die amerikanische SEC es ist, nämlich ein „Watchdog“ mit Zähnen. In den USA finden die Firmen weit mehr Kapital, Risikobereitschaft und Engagement vor. In Deutschland, so DAI-Chefin Christine Bortenlänger, müsse die Politik endlich die richtigen Weichen stellen, so in der Altersvorsorge via Aktien. Riesige Pensionsfonds treiben die New Yorker Börse, da kann Deutschland nicht einmal relativ zu seiner Größe und Wirtschaftskraft mithalten. Und auch in Sachen Bandbreite glänzt New York: Dort findet sich für fast jede Nische des Wirtschaftslebens genügend Kapital, die Investoren warten nur und diversifizieren so ihr Portfolio von klein bis groß.
 
Was Birkenstock angeht, so ließ der erste amtliche Kurs in New York wie gesagt volle vier Stunden auf sich warten. Was darauf hindeutet, dass hinter den Kulissen um Stützungskäufe gerungen wurde, die womöglich sogar stattgefunden haben – nur um einen noch deutlicheren Absturz zu verhindern. Der Auftaktverlust mag nicht von Dauer sein, aber: Dass deutsche Anleger nicht beim IPO direkt zeichnen konnten, hat sich im Nachhinein erst einmal als Vorteil herausgestellt. Die beiden bekannteren Börsengänge von ARM und Instacart jüngst in den USA verliefen allenfalls auf den ersten Blick erfreulich. Mit zehn Prozent über dem Ausgabepreis war der Chipkonzern ARM ins Rennen gegangen, sogar 40 Prozent legte der Lebensmittel-Lieferdienst Instacart zu. Heute liegen dessen Aktien mit 25 Dollar deutlich unter dem Ausgabepreis von 30. Und ARM fielen nach dem Start Anfang Oktober bis auf den Emissionskurs von 51 Dollar, haben sich etwas mühsam wieder auf 54 erholt. Birkenstock hat einiges aufzuholen.

Reinhard Schlieker

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