Deutsche Autoindustrie: Gelingt der Weg in die Zukunft?
Die deutschen Marken und ihre Modelle sind weltweit bekannt, und in ihrem Heimatland wird den Menschen seit jeher eine besondere Beziehung zu ihren mobilen Begleitern nachgesagt. Doch mindestens ebenso hoch, wie der Stellenwert der Autos für viele ihrer Besitzer ist, stellt sich, auf die gesamte Volkswirtschaft bezogen, die Bedeutung des Industriezweigs für die deutsche Wirtschaft dar. Die Frage, wie es hier weitergeht, ist von eminenter Bedeutung. Ulrich Stephan stellt sie.
Die deutschen Marken und ihre Modelle sind weltweit bekannt, und in ihrem Heimatland wird den Menschen seit jeher eine besondere Beziehung zu ihren mobilen Begleitern nachgesagt. Doch mindestens ebenso hoch, wie der Stellenwert der Autos für viele ihrer Besitzer ist, stellt sich, auf die gesamte Volkswirtschaft bezogen, die Bedeutung des Industriezweigs für die deutsche Wirtschaft dar. Die Frage, wie es hier weitergeht, ist von eminenter Bedeutung.
Von Ulrich Stephan
Im Jahr 1885 nahm die Revolution der Mobilität Fahrt auf, zunächst noch auf drei Rädern. Damals machte Carl Benz die ersten Probefahrten mit dem von ihm entwickelten Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 in der Nähe seines Fabrikgeländes in Mannheim – aus Gründen der Geheimhaltung zunächst in der Nacht. Am 29. Januar 1886 meldete der Ingenieur sein dreirädriges Gefährt mit Verbrennungsmotor und 0,75 Pferdestärken schließlich zum Patent an. Seither gilt die Patentschrift DRP 37435 als Geburtsurkunde des Automobils – auch wenn Benz’ erstes Modell noch eher an eine Kutsche erinnerte.
Im folgenden Jahrhundert entwickelte sich die Technik stetig weiter und Deutschland mehr und mehr zum Autoland: Die – ebenfalls dreirädrige – BMW Isetta wurde ein Symbol des Wirtschaftswunders im Nachkriegsdeutschland, und Volkswagen startete bereits 1938 mit der Produktion des Käfers, die erst im Sommer 2003 eingestellt wurde. Wie der Käfer gehört ein anderes Auto des Konzerns zu den meistverkauften Modellen der Welt: der Golf, nach dem sogar eine ganze Generation junger Menschen benannt wurde.
Bedeutender Wirtschaftszweig in Deutschland
Die Automobilindustrie ist der größte Arbeitgeber in der Bundesrepublik, denn mehr als 800.000 Menschen arbeiten bei Autoherstellern und Zulieferern im Inland. Mit einem Anteil von mehr als 21 Prozent am globalen Exportvolumen ist Deutschland der größte Autoexporteur weltweit – vor Japan, das lediglich auf die Hälfte kommt. Für die Entwicklung des deutschen Aktienmarkts spielt der Sektor ebenfalls eine wichtige Rolle: Die Jahresüberschüsse der Autobauer und Zulieferer im deutschen Leitindex DAX, also die Gewinne nach Steuern, beliefen sich 2017 auf rund 34 Milliarden Euro. Das entspricht mehr als 33 Prozent der gesamten Jahresüberschüsse im Index. Die deutsche Vorzeigeindustrie steht zurzeit jedoch aufgrund des Dieselskandals sowie der zunehmenden internationalen Handelsstreitigkeiten unter Druck. Darüber hinaus fragen sich viele Anleger, über welche Zukunftsperspektiven die Autobranche der Bundesrepublik angesichts neuer Trends im Bereich der Mobilität verfügt.
Derzeit sind die deutschen Autoproduzenten und Zulieferer in einer oligopolistischen Struktur tätig. Das heißt: Es gibt im Vergleich zu anderen Branchen wenige Hersteller, die den Markt unter sich aufteilen. Wie sich diese Marktstruktur in Zukunft entwickeln wird, scheint aktuell ungewiss, nicht zuletzt aufgrund des fortschreitenden Wandels der Mobilität weltweit. So müssen sich die Autobauer mit alternativen Technologien wie Elektro-, Hybrid- oder Wasserstoffantrieben beschäftigen – ohne zu wissen, welche Antriebsform sich schließlich auf breiter Basis durchsetzen wird. Darüber hinaus gilt es, sich mit neuen Trends wie autonomem Fahren oder Carsharing auseinanderzusetzen. Dabei erwächst ihnen zunehmend Konkurrenz: Insbesondere US-Technologiefirmen mischen auch im Mobilitätsgeschäft mit und könnten das Oligopol aufbrechen. Daher ist die Frage noch zu beantworten, wer das Auto der Zukunft baut.
Deutsche Automobilindustrie: starke Marken
Aus Sicht der Deutschen Bank scheinen die deutschen Autobauer und Zulieferer trotz der Herausforderungen gut aufgestellt zu sein. Denn bei einem Auto handelt es sich anders als bei einem Smartphone oder einem Laptop nicht um ein IT-Produkt für Software-Anwendungen. Insbesondere in den Bereichen Sicherheit, Stabilität oder Fahrverhalten ist nach wie vor hohe Ingenieurskompetenz gefragt. Und in diesem Bereich gehört die deutsche Automobilbranche weltweit noch immer zu den besten. Es scheint daher wahrscheinlicher, dass es Kooperationen zwischen Unternehmen der Automobilindustrie und IT-Unternehmen geben wird, als dass letztere den Markt für sich gewinnen.
Auf der Unternehmensebene hat die deutsche Autobranche neben der hohen Qualität ihrer Produkte, die neue Hersteller auf absehbare Zeit kaum erreichen dürften, einen weiteren Vorteil: die Stärke ihrer Marken. Die Produzenten schaffen es, ihre Produkte deutlich voneinander unterscheidbar zu machen, und stiften so hohes Identifikationspotenzial. Durch die Abgrenzung von Wettbewerbern gelingt es, anhand unterschiedlicher Produktmerkmale verschiedene Kundengruppen zielgruppenadäquater zu bedienen und höhere Preise durchzusetzen. Oft beträgt die Preisspanne innerhalb eines Autosegments mehrere Tausend Euro.
Trotzdem wählen Autokäufer selten die günstigste Variante und bleiben häufig ihr ganzes Leben lang einer bestimmten Marke treu. Dazu kommen der weltweit gute Ruf deutscher Autos, die auch in vielen neuen Märkten wie Asien als Statussymbol gelten, sowie die globale Dominanz im Premiumsegment. Ähnliches gilt für die Produzenten von Autoteilen, die hinsichtlich Präzision häufig zur Weltspitze gehören. Insgesamt wirken sich diese Faktoren positiv auf die Preissetzungsmacht aus, was Margen und Gewinne stützt. Für die Zukunft wird es für den deutschen Automobilsektor darauf ankommen, den Qualitätsstandard weiterhin hoch zu halten, die Marken nachhaltig zu stärken und durch den Dieselskandal verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen.
Dieselskandal und Handelsstreit belasten die Branche
Denn aktuell schlägt der deutschen Automobilbranche ein rauer Wind entgegen. Zum einen liegt das an den Nachwehen der Dieselaffäre sowie damit einhergehenden Strafzahlungen und Regulierungen. Während 2015 noch 48 Prozent der Pkw-Neuzulassungen in Deutschland Dieselmotoren hatten, fiel der Anteil in den Monaten Januar bis Mai 2018 auf 32 Prozent. In der gesamten EU dürfte der Diesel-Marktanteil in diesem Jahr zum ersten Mal seit 2001 unter 40 Prozent fallen. Durch niedrigere Diesel-Absatzzahlen könnten die gesamten Umsätze in der Industrie sinken, denn Benziner sind günstiger als Diesel. Hinzu kommen neue regulatorische Herausforderungen und damit verbunden steigende Kosten. Ab September 2018 müssen alle neuen Autos für die Zulassung gemäß „Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure“ (WLTP) zertifiziert werden. Dabei handelt es sich um ein neues Messverfahren für Abgasemissionen, das von der EU vorgeschrieben wird. Da für die Umstellung auf die neuen Tests wenig Zeit zur Verfügung steht, haben bereits einige Autohersteller temporär die Verkäufe bestimmter Modelle eingestellt.
Außerdem belastet der Handelsstreit zwischen den USA und der EU sowie China die Branche. So hat China bereits angekündigt, als Reaktion auf US-Zölle auf Waren aus dem Reich der Mitte Gegenmaßnahmen zu ergreifen – darunter findet sich eine Erhöhung der Zölle auf Autos aus den USA von 25 auf 40 Prozent. Das wiederum träfe auch deutsche Kfz-Hersteller und -Zulieferer, die in den USA für den chinesischen Markt produzieren. Sollten die USA ebenfalls an der Zollschraube drehen, dürften sie zusätzlich unter Druck geraten, schließlich sind die Vereinigten Staaten das wichtigste Exportland für deutsche Autos – rund zwölf Prozent des gesamten Exportes der Branche gingen 2017 in die USA. Das entspricht einem Volumen von 28,6 Milliarden Euro.
Laut Ifo-Institut reagieren Käufer von deutschen Mittel- und Oberklasse-Modellen zwar weniger sensibel auf Preissteigerungen als Käufer im Kleinwagen- und Massensegment. Deshalb sei es möglich, dass die deutschen Autobauer einen großen Teil der Zölle auf ihre Kunden abwälzen könnten. Dennoch ergeben Berechnungen des ifo Instituts eine Senkung des deutschen Bruttoinlandsproduktes von fünf Milliarden Euro, sollten die USA wie derzeit diskutiert Zölle in Höhe von 25 Prozent erheben. Auch wenn diese Summe nur 0,16 Prozent des deutschen BIPs entspricht, herrscht hier insgesamt noch große Unsicherheit.
Aktien im Automobilsektor zuletzt unter Druck
Dies spiegelt sich auch in der jüngsten Aktienkursentwicklung wider: Der CDAX Automobile Index, welcher sämtliche an der Börse Frankfurt gehandelten Papiere der deutschen Autobauer sowie Zulieferer listet, verlor seit Jahresbeginn mehr als 10 Prozent an Wert, während der DAX – inklusive Autoaktien – nur circa 3 Prozent einbüßte. Mit Blick auf die vergangenen fünf Jahre überzeugten die Aktien des Autosektors ebenfalls nicht – insbesondere aufgrund der Konsequenzen der Dieselaffäre. In diesem Zeitraum konnten Anleger mit dem CDAX Automobile Index nur rund 36 Prozent, mit dem DAX hingegen knapp 54 Prozent Wertentwicklung verzeichnen. Langfristig betrachtet sieht es jedoch besser für die deutsche Automobilbranche aus: Auf Sicht der vergangenen zehn Jahre entwickelten sich ihre Aktienkurse inklusive Dividendenzahlungen mit einem Zuwachs von rund 166 Prozent über 60 Prozentpunkte besser als der Gesamtindex (plus 104 Prozent) – trotz der zeitweise starken Kursschwankungen in den letzten Jahren.
Derzeit reflektieren jedoch auch die Gewinnerwartungen die Herausforderungen des Automobilsektors: Für die kommenden zwölf Monate rechnet die Analystengemeinde für den CDAX Automobile Index im Durchschnitt lediglich mit einem Gewinnwachstum von 2,5 Prozent. Zum Vergleich: Für den DAX werden im Durchschnitt Gewinnsteigerungen von 7,3 Prozent erwartet. Die beschriebenen Unsicherheiten wirken sich auch auf die Bewertungen wie Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) und Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) aus. Dabei setzt man die Indexkurse ins Verhältnis zu den Gewinnen beziehungsweise den Buchwerten der Unternehmen. Auf Basis der Gewinnschätzungen für die kommenden zwölf Monate sind die Aktien der deutschen Autoindustrie mit einem KGV von 6,7 und auf Basis der erwarteten Buchwerte mit einem KBV von 0,85 derzeit sehr günstig bewertet. Im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre lagen ihr KGV bei 11,2 und ihr KBV bei 1,16.
Kurzfristige Unsicherheiten, Pessimismus aber übertrieben
Kurzfristig sollten sich Anleger mit Aktien des Autosektors aus Sicht der Deutschen Bank weiterhin auf Schwankungen einstellen. Deutliche Kursverluste werden jedoch nicht erwartet: Ein Großteil der Unsicherheiten scheint bereits in den Notierungen berücksichtigt und insbesondere ein Abschwächen des Handelskonflikts könnte für Erleichterung sorgen. Hier liegt aktuell sicherlich das größte Unsicherheitspotenzial, zumal US-Präsident Donald Trump zuletzt wenig versöhnliche Töne anschlug. Die weiterhin positive Konjunkturentwicklung hingegen unterstützt die Absätze in der zyklischen Autoindustrie, sodass die negativen Auswirkungen abgeschwächt werden.
Insgesamt befindet sich die deutsche Autobranche in einer richtungsweisenden Phase, insbesondere in Bezug auf das Automobil von morgen und die Marktstruktur der Zukunft. Aus Sicht der Deutschen Bank scheint der Pessimismus der Anleger allerdings übertrieben: Aufgrund der Stärke der Unternehmen und ihrer Marken verfügt die deutsche Automobilbranche grundsätzlich über gute Voraussetzungen, die kurzfristigen und langfristigen Herausforderungen anzugehen und ihre Stellung behaupten zu können. Optimistisch stimmt auch das Engagement deutscher Autoproduzenten und Zulieferer in China, einem der wichtigsten Absatzmärkte mit insgesamt 24,7 Millionen verkaufter Pkw im Jahr 2017. Für ausländische Hersteller war für die Produktion in China bisher ein Joint Venture nötig, an dem über 50 Prozent in chinesischer Hand liegen mussten. Jüngst ist es dem ersten deutschen Autobauer allerdings gelungen, eine Kooperation zur Herstellung von Autos in China mit einer Mehrheitsbeteiligung einzugehen. Damit öffnet sich der chinesische Markt weiter für ausländische Autobauer und könnte für die gesamte Branche interessante Wachstumsperspektiven bieten.
Dr. Ulrich Stephan ist Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.