Die Deutschen sind unterwegs - ins überzogene Konto
Sparkassen kennen das Thema inzwischen bestens: Mehr als jeder siebte Kunde ist bereits im Dispo-Kredit gelandet. Die Bundesbank misst eine sinkende Sparquote in Deutschland. Klar wird: Angesichts der Inflation müssen die Menschen an ihr Erspartes, oder sie rutschen in die Miesen. Was Betroffene jetzt tun müssen.
Sparkassen kennen das Thema inzwischen bestens: Mehr als jeder siebte Kunde ist bereits im Dispo-Kredit gelandet. Die Bundesbank misst eine sinkende Sparquote in Deutschland. Klar wird: Angesichts der Inflation müssen die Menschen an ihr Erspartes, oder sie rutschen in die Miesen. Was Betroffene jetzt tun müssen.
Die Deutschen, gefühlte Weltmeister darin, Erspartes zur Seite zu legen für schlechtere Zeiten oder das Alter oder beides, haben seit jüngstem den Rückwärtsgang eingelegt. Das Wort dafür heißt: entsparen. Normalerweise bezeichnet dies zum Beispiel den Vorgang, nach und nach Wertpapiere zu verkaufen, wenn der Bedarf an einer Zusatzrente näher rückt. Derlei gute Ordnung ist momentan aber eher nicht gemeint. Denn viele sind aufs Geld angewiesen, das sie auf der hohen Kante haben. Und holen es von der Bank – bei vielen ist der Marsch ins überzogene Konto nur eine Frage der Zeit - oder er ist schon geschehen. Denn den Dispokredit in Anspruch zu nehmen, scheint einfach und naheliegend. Klug ist das jedoch oft nicht.
Wenn einem, wie seit gut drei Jahren zu beobachten, die Inflation das Guthaben anknabbert, gleichzeitig aber keine ausgleichende Gerechtigkeit in Form höherer Einkünfte zu sehen ist, wird das Budget geringer – Monat für Monat. Die Deutschen als gefühlte Sparweltmeister haben immer noch viel auf der hohen Kante, gut 7,4 Billionen Euro sind es, ein Drittel davon kurzfristig auf Konten verfügbar, das heißt: Es bringt nichts ein. Gegenüber dem Vorjahr legte dieses Vermögen sogar noch um mehr als 140 Milliarden Euro zu, sagt die Bundesbank. Dies allerdings ist „nominal“, das heißt: Eine Geldentwertung durch Inflation ist nicht eingerechnet. In Wirklichkeit hat in den letzten Jahren die Inflation zehn, acht und zuletzt immer noch gut sechs Prozent erreicht und für durchschnittliche Güter den Preis entsprechend steigen lassen. Spitzenreiter waren und sind Energie, aber auch Lebensmittel. Und vor allem Dienstleistungen, vom Handwerker bis zum Pflegedienst. Deren Kosten steigen weiterhin stark an, während andere Preissteigerungen abzuflauen beginnen.
Wer sein Sparguthaben in diesen Zeiten lediglich auf einem gewöhnlichen Konto liegen hat, verliert also stetig an Kaufkraft und Vermögen. Und wer es in Wertpapieren fürs Alter oder sonst einen langfristigen Zweck spart, müsste bei dessen Wertzuwachs theoretisch jedes Jahr einige Prozentpunkte über dem Inflationssatz und den fälligen prozentualen Gebühren zulegen – fast nicht zu schaffen, jedenfalls nicht ohne waghalsiges Risikoverhalten. Solche Langfristanlagen ungeplant aufzulösen ist dennoch meist nicht ratsam und kostet extra. In vielen Fällen bleibt dem Anleger kaum etwas anderes übrig, als etwa den Sparplan laufen zu lassen und zu hoffen, dass langfristig der Zuwachs funktioniert. Immerhin gab es ja auch lange Perioden mit Niedrigzinsen, was bei Aktien oder Aktienfonds, darunter den beliebter werdenden ETF, für reale Gewinne gesorgt hat.
Bleibt für den Übergang erst einmal der Überziehungskredit auf dem Girokonto, den man tunlichst in Absprache mit der Bank nutzen sollte, denn ungenehmigte Überziehungen sind empfindlich teurer als ein abgesprochenes und eingeräumtes Limit. Die Konditionen müssen Banken und Sparkassen stets veröffentlichen, so dass eine Berechnung eigentlich leichtfallen müsste; dennoch sind Kunden immer wieder überrascht, was da vierteljährlich dann an Gebühren auf dem Kontoauszug steht. Denn diese Form des Kredits ist nicht billig – acht bis neun Prozent Jahreszins sind derzeit schon fast ein günstiges Angebot. Wer die Überziehung nur für einige wenige Monate nutzen muss, für den mag sich kein Aufwand einer Ratenkreditaufnahme lohnen. Denn Vorteil beim Dispo: Mit jedem Geldeingang auf dem Konto verringert sich die Inanspruchnahme und damit der täglich berechnete Zinsbetrag. Für längere Zeiträume empfiehlt sich allerdings in jedem Fall, ein Darlehen in Anspruch zu nehmen, das in monatlich gleichbleibenden Beträgen abgezahlt wird, denn dank gut vergleichbarer Angebote via Internet macht der Vertragsabschluss keine großen Probleme mehr und man ist nicht regional gebunden. Die Konkurrenzsituation unter den Banken begrenzt die Zinshöhe ohnehin, so dass man mit entsprechender Bonität gute Offerten finden kann. Mit Angeboten teils unter drei Prozent Nominalzins pro Jahr kostet dies weit weniger als die Hälfte im Vergleich zum Überziehungskredit.
Die Statistik legt nahe, dass die Zahl der Interessenten für ein wie immer geartetes Darlehen stetig zunehmen dürfte. Die deutschen Sparkassen verzeichnen eine Überziehung bei bis zu 15 Prozent ihrer Kontoinhaber. Gleichzeitig deuten Projektionen des Münchener Ifo-Instituts darauf hin, dass die während der Corona-Zeit gebildeten Sparguthaben inzwischen mehr als abgeschmolzen sind. Legten bis 2021 noch viele Bürger das Geld, das nicht für Urlaub oder Anschaffungen ausgegeben wurde oder werden konnte, auf ihren Bankkonten ab, so folgt seitdem nun kontinuierlich der Verbrauch dieser Mittel. Die Forscher weisen darauf hin, dass dieser Umstand wohl verantwortlich dafür ist, dass der deutsche Binnenkonsum trotz Inflation bis zuletzt nicht zurückging. Das dicke Ende, salopp gesagt, kommt aber noch – sollte die Geldentwertung so fortschreiten wie bisher. Auch an der Sparquote wird sich ablesen lassen, wohin die Reise geht. Naturgemäß dauert die statistische Ermittlung jeweils einige Zeit; die zuletzt veröffentlichte Zahl einer Sparquote von 10,7 Prozent klingt, obwohl sie schon einen Rückgang darstellt, zwar keineswegs beunruhigend. Aber das war 2022. Noch 2020 lag diese Zahl bei mehr als 16 Prozent. Von jeden netto eingenommenen hundert Euro sparten die Haushalte damals durchschnittlich 16 Euro – eine Rekordzahl.
Etwas aktueller lässt sich dagegen der Geldbestand auf den bei den Deutschen beliebten Tagesgeldkonten beobachten. Dort lagen im Frühsommer 2023 noch 1,78 Billionen Euro – viel, sehr viel Geld, aber doch 50 Milliarden weniger als im Jahr zuvor um diese Zeit, so die Bundesbank. Das ist auch viel Geld. Die für den Durchschnitt geltenden Zahlen sind weniger beruhigend, wenn man bedenkt, dass solche Vermögen sehr ungleich verteilt sind. Eine große Zahl von Arbeitnehmern hat nur geringe oder keine Ersparnisse zusätzlich zur Altersvorsorge.
In vielen Fällen greifen auch die Deutschen inzwischen, wie schon lange in den USA gang und gäbe, auf die eingeräumten Limits bei Kreditkarten zurück. Zahlreiche Emittenten von Visa- oder Mastercard verzichten auf den monatlichen Einzug der Belastungen und offerieren stattdessen ein Abstottern des Betrages in prozentual wählbaren monatlichen Raten. Wer hier nicht mindestens 50 Prozent wählt, mithin in kurzer Zeit alles getilgt hat, wird kräftig zur Kasse gebeten. Die Zinsforderung aufs Jahr gerechnet ist jedenfalls zweistellig und dieser „revolvierende“ Kredit kann angesichts der monatlich berechneten Zinsen, die naturgemäß gar nicht einmal so hoch erscheinen, auch noch sorglos machen. Bis das individuell eingeräumte Limit erreicht ist. Dann hat auch das Bezahlen an der Ladenkasse per Kreditkarte ein Ende – bis zur nächsten monatlichen Abbuchung. Für Debitkarten (etwa: Girocard, Maestro) gilt diese Kreditmöglichkeit natürlich nicht. Wer das Limit auf seiner Kreditkarte ausgeschöpft hat und nicht absehbar kurzfristig alles tilgen kann, sollte unbedingt nach günstigeren Möglichkeiten suchen.
Besser dran sind Sparer, die auf die Einmal-Anschaffung oder per Sparplan gekaufte Aktien oder gemischte Fonds gesetzt haben. Am beliebtesten sind ETF, also passive Fonds (im Gegensatz zu den gemanagten Fonds, klassischerweise von einer Investmentgesellschaft angeboten). Es gibt inzwischen eine Unmenge an ETF einer Vielzahl von Anbietern im In- und Ausland mit völlig unterschiedlichen Anlagepräferenzen und Themenschwerpunkten. In der Regel wird damit fürs Alter gespart, denn je nach Finanzverfassung an den Börsen ist ein kurzfristiger oder gar erzwungener Verkauf mitunter verlustreich. Die Banken und Fondsgesellschaften, oder auch Versicherungen, bieten Pläne für das Entsparen an. Für diesen Vorgang des Desinvestments über einen längeren Zeitraum gibt es zahlreiche Optionen – man kann Vermögenserhalt wählen, indem man sich nur die regelmäßigen Ausschüttungen auszahlen lässt, statt sie regelmäßig wieder anzulegen (Thesaurierung heißt der Fachbegriff). Man kann aber auch planen, über welchen Zeitraum das Vermögen abgeschmolzen werden soll, bis es dann aufgebraucht sein wird eines Tages. Je nach Anlageform gibt es auch Möglichkeiten der Beleihung wie etwa bei Lebensversicherungen. Das ist oft nicht sehr günstig, aber für überschaubare Notfallsituationen besser als eine teure Verschuldung.
In jedem Fall empfiehlt sich eine frühzeitige Analyse möglicher künftiger Gefahren fürs monatliche Familienbudget. Die berühmte Faustregel, für Notfälle drei bis sechs Monatseinkommen als Reserve auf dem Konto zu haben, dürfte für sehr viele Arbeitnehmer seit jeher gar nicht zu realisieren sein. Um so wichtiger, so sagen es Verbraucherschützer, die eigenen Ausgaben zu überprüfen und wenn möglich anzupassen. Klar, dass dies angesichts steigender Kosten – von der Miete bis zur Supermarktkasse – ohnehin und notgedrungen gelebte Praxis in vielen Familien sein dürfte. Und wer jetzt an der Altersvorsorge sparen muss, sollte immerhin versuchen, die gestrichenen Sparbeiträge in besseren Zeiten wieder hochzufahren. Der Henry Ford zugeschriebene Satz, reich werde man nicht durch das, was man verdient, sondern durch das, was man nicht ausgibt, ist zwar für die unteren Einkommensklassen nicht wirklich realistisch, hilft aber vielleicht als Denkanregung im Einzelfall, wenn mal wieder eine nicht unbedingt nötige Ausgabe ansteht. Zahllose Verbrauchertipseiten im Internet können da nützlich sein, denn keine Situation ist eines: Noch nie dagewesen.
Reinhard Schlieker