„Europa könnte 2026 stärker wachsen als die USA“

André Munkelt sieht Europa für das kommende Jahr auf Wachstumskurs. Das internationale Interesse an der Region sei groß, sagt der Chef von Morgan Stanley Europe.
Von Oliver Götz
Europa überholt die USA. Andrè Munkelt, Vorstandsvorsitzender von Morgan Stanley Europe, jedenfalls spricht auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel von einer „Wachstumsumkehr“ zwischen den beiden wirtschaftlichen Blöcken. „2026 könnte Europa stärker wachsen“, sagte Munkelt auf dem Treffen der Wirtschaftslenker und Politiker am Tegernsee. Er diskutiert auf einem Panel gemeinsam mit Ulrich von Auer, Investmentchef der J.P. Morgan Private Bank, Bundesbank-Vorstand Burkhard Balz, ING-Deutschland-Finanzchefin Nurten Erdogan, M.M.-Warburg-Chefvolkswirt Carsten Klude und Börse-Stuttgart-CEO Matthias Voelkel über Herausforderungen an den globalen Finanzmärkten.
Auch die deutsche Bundesbank blickt derzeit skeptisch über den Atlantik. Die Experten sähen eine „relativ hohe Wahrscheinlichkeit, dass die USA dieses Jahr in ein rezessives Umfeld rutschen“, sagt Balz. Das internationale Interesse an Europa und Deutschland sei hingegen so groß, wie seit fünf, sechs Jahren nicht mehr, untermauert Munkelt seine positive Sicht auf den europäischen Markt im Gespräch mit ntv-Moderatorin Isabelle Körner. Aus EU-Sicht gehe es nun darum, diese Stimmung mitzunehmen. Das aktuelle Interesse verschwinde auch schnell wieder, wenn Investoren langfristig nicht mitgenommen würden, sagt der Finanzexperte.
M.M.-Warburg-Chefvolkswirt Carsten Klude will den pessimistischen Blick in Richtung USA nicht teilen. „Ich glaube nicht, dass eine Rezession in den USA ein wahrscheinliches Szenario ist“, sagt der Banker. Die USA seien in den vergangenen Jahren schon häufig abgeschrieben worden, während es für Europa immer wieder optimistische Einschätzungen gegeben habe. Am Ende jedoch seien die USA dann doch wieder stärker als erwartet gewachsen und Europa weniger stark, sagt Klude. Die entscheidende Frage sei ja, was Trump mit seiner Zollpolitik eigentlich erreichen wolle. „Meine Meinung ist, er versucht Deals zu schmieden, nicht die globale Wirtschaft auf den Kopf zu stellen“, sagt Klude. „Und in diesem Fall werden wir in den USA weiter Wachstum sehen.“
Sollte Europa dennoch stärker wachsen, würde das ohnehin wenig bedeuten, erklärt Börse-Stuttgart-CEO Matthias Voelkel. „Das BIP pro Kopf in den USA liegt bei über 80.000 Dollar, in Deutschland sind wir umgerechnet bei 55.000 Dollar.“ Die Lücke also ist entsprechend groß.
Dennoch: Es gibt Chancen für Europa. Welche Strategien jetzt notwendig sind, um zu profitieren? „Unsere Strategie muss erst einmal sein, unser Wachstum zu steigern, egal wie“, meint Volkswirt Klude daraufhin. Das Potenzialwachstum liege aktuell bei maximal 0,5 Prozent, dieses gelte es zu erhöhen. Es ließe sich dazu auch über einen Strategiewechsel nachdenken, nämlich die Abhängigkeit vom Export zu verringern und die Binnennachfrage, den privaten Konsum innerhalb der EU, zu steigern.
Für Börsenchef Voelkel ist zentral, dass alle das Finanzsystem weniger als Problem sehen, sondern als Wachstums-Ermöglicher. „Der Kapitalmarkt in Europa ist halb so groß wie der in den USA“, sagt Voelkel. Selbst das große Schuldenpaket aus Berlin reiche nicht, um die Transformation im Land gelingen zu lassen. „Es braucht privates Kapital.“ Davon, was zu diesem Thema im Koalitionsvertrag der neuen, schwarz-roten Bundesregierung steht, ist Klude nicht begeistert. „Das ist viel zu wenig Kapitalmarkt.“
Zudem müsse endlich eine europäische Kapitalmarktunion geschaffen werden, fordert Voelkel.
Vom Schuldenpaket der Bundesregierung zeigt sich der Investmentchef der J.P. Morgan Private Bank ohnehin wenig begeistert. Das Paket sei Ergebnis keynesianischer Konjunkturpolitik. Diese passe jedoch nicht zu einem aktuell „bombenstarken Arbeitsmarkt“, sagt von Auer. Es müsse in Deutschland vielmehr um Angebotspolitik gehen. Statt auf Staatswegen künstliche Nachfrage zu erzeugen, müsse das Land attraktiver für Unternehmer werden.
ING-Deutschland-Finanzchefin Erdogan prangert vor allem die Überregulierung in der EU an. Diese hemme Ideen und Investitionen. Es sei unendlich komplex geworden, etwas am Markt durchzusetzen. „Die Amerikaner haben einen Wettbewerbsvorteil dadurch, dass sie weniger Regulierung haben.“ Ein möglicher Grund, warum Deutschland und Europa in immer mehr Abhängigkeiten gegenüber den USA gerät. Zur Sprache kommt unter den Finanzexperten beispielsweise die Marktmacht der US-Zahlungsanbieter. „13 von 20 Staaten der Euro-Zone haben kein eigenes Zahlungssystem“, beklagte Bundesbank-Vorstandsmitglied Balz. Was viele Menschen hierzulande darüber hinaus nicht wüssten. Wenn sie ihre deutsche Girocard im Ausland nutzten, übernähmen die Zahlung hinter dem Kauf auch US-Zahlungsdienstleister.