Großbritannien steht vor einer Wirtschaftsflaute
Das geringere Lohnwachstum dürfte zusammen mit dem schwachen Pfund Sterling, den niedrigen Unternehmensmargen und dem Rückgang der Reallöhne im kommenden Jahr ein von sehr niedrigem Wachstum geprägtes Umfeld in Großbritannien zur Folge haben. Aber ist der Brexit wirklich an allem schuld?
Das geringere Lohnwachstum dürfte zusammen mit dem schwachen Pfund Sterling, den niedrigen Unternehmensmargen und dem Rückgang der Reallöhne im kommenden Jahr ein von sehr niedrigem Wachstum geprägtes Umfeld in Großbritannien zur Folge haben. Aber ist der Brexit wirklich an allem schuld?
Von James Butterfill
Infolge der angespannten Brexit-Verhandlungen sind in den letzten Monaten Zweifel über den Ausblick für das Wirtschaftswachstum in Großbritannien aufgekommen. Die Zinsdeckungsquoten britischer Unternehmen haben sich deutlich verschlechtert, und die rückläufigen Gewinne infolge einer schwächeren Wirtschaft dürften den bereits trüben Ausblick für das Wirtschaftswachstum noch weiter belasten. Zyklischere Sektoren wie Bergbau zeigen sich in der Regel deutlich anfälliger. Gleiches gilt für den Immobiliensektor, der in einem 6-Monats-Zeitraum tendentiell um vier Prozent nachgibt.
Mit Blick auf die Wirtschaft weist die derzeitige Erholungsphase, nachdem Großbritannien die Rezession im Februar 2010 hinter sich gelassen hat, die schwächste Entwicklung der fünf Erholungsphasen infolge von Rezessionen seit den 1950er-Jahren auf, aber bei Weitem nicht die längste. Es sind Anzeichen von Schwäche in der britischen Wirtschaft erkennbar, die sich allerdings nicht in den aktuellen BIP-Wachstumsdaten niederschlagen. Aufgrund der einzigartigen Natur des Brexit sowie seiner möglichen Folgen für die Konjunktur und Währungen ist unseres Erachtens ein genauerer Konjunkturindikator erforderlich. Daher haben wir unser eigenes Wirtschaftsbarometer entwickelt, das den Schwerpunkt auf Konjunkturzyklus, Unternehmensmargen, Kreditwachstum und Löhne legt, um Wendepunkte bei den Wirtschaftsdaten zu ermitteln.
Mittels einer Kombination aus dem bekannten Leading Economic Indicator (LEI) des Conference Board, der Verbraucherpreis- abzüglich der Erzeugerpreisinflation (CPI-PPI) zur Berücksichtigung der Unternehmensmargen, den Daten der British Bankers Association (BBA) zum Kreditwachstum und dem Wachstum der Reallöhne konnte unser Barometer den Konjunkturzyklus erfolgreich nachbilden. Unser Konjunkturindikator ist nicht vollständig mit dem BIP-Wachstum korreliert und braucht in der Regel länger für eine Erholung als das BIP-Wachstum. Unseres Erachtens trägt dies der Tatsache Rechnung, dass sich die lockerere Geldpolitik nur mit Verzögerungen bei der Kreditvergabe an Unternehmen bemerkbar macht. Beispielsweise verbesserte sich die Kreditvergabe in Großbritannien, und damit der Konjunkturzyklus, erst nach der zweiten und dritten quantitativen Lockerungsrunde 2011 und 2012.
Der Brexit ist schuld
Diese wirtschaftliche Erholung scheint allerdings ein jähes Ende zu finden – unser Konjunkturindikator gab im März 2016 unmittelbar infolge der Veröffentlichung der ersten Datensätze nach Ankündigung des EU-Referendums nach. Das Kreditwachstum schwächte sich laut BBA allmählich ab und der LEI verflachte sich. Darüber hinaus führte die schwache Währung infolge des Brexit-Votums zu einem Anstieg der Erzeugerpreise, was wiederum höhere Importkosten zur Folge hatte und damit die Unternehmensmargen belastete. Zudem haben weitere Rückgänge beim Kreditwachstum zu einer kontinuierlichen Verschlechterung des Wirtschaftsausblicks in Großbritannien geführt. Die höhere Inflation übt ebenfalls zusätzlichen Druck auf die Löhne aus, sodass das Wachstum der Reallöhne nunmehr den vierten Monat in Folge negativ ausfällt und damit die Kaufkraft der Verbraucher weiter einschränkt.
Besorgniserregend dabei ist, dass die britische Wirtschaft laut unserem Konjunkturindikator im kommenden Jahr eine Phase sehr niedrigen Wachstums verzeichnen könnte. Unserer Ansicht nach würde nur eine starke Erholung beim Pfund Sterling sowie beim Kredit- und Lohnwachstum zu einem besseren Ausblick für Großbritannien führen. Da nach wie vor unklar ist, wie sich die Brexit-Verhandlungen entwickeln werden, ist eine Rezession zu diesem Zeitpunkt nicht auszuschließen.
Die Auswirkungen auf den Markt
Aus unserem Bericht Vulnerabilities exposed by rising interest rates geht hervor, dass Europa und die USA, als Gesamthaushalte betrachtet, im regionalen Vergleich die höchsten Zinsdeckungsquoten aufweisen, wohingegen sie bei britischen Unternehmen deutlich von neun Prozent im Jahre 2012 auf nunmehr nur 3,4 gefallen sind. Der FTSE ist daher deutlich anfälliger für Zinsanstiege und rückläufige Gewinne infolge einer schwächeren Wirtschaft, was den Ausblick für das Wirtschaftswachstum potenziell belastet. Die anfälligsten Sektoren in Großbritannien sind jene mit Bezug zu Ressourcen und Immobilien. Historisch betrachtet hat sich der FTSE 350 in verschiedenen Phasen des Konjunkturzyklus unterschiedlich entwickelt.
Teilt man den Zyklus in vier Phasen auf, lassen sich klare Unterschiede in der Sektorperformance erkennen. Der FTSE 350 entwickelt sich in der Regel am besten, wenn der Zyklus negativ ausfällt, sich aber allmählich eine Erholung abzeichnet, und am schlechtesten, wenn der Zyklus nach einer Phase starker wirtschaftlicher Performance allmählich eine Wende verzeichnet. Die antizyklische Natur der Wertentwicklung an den Aktienmärkten ist der Tatsache geschuldet, dass sich der Optimismus in der Regel umkehrt, wenn Aktien überzogene Bewertungen aufweisen. Anfang 2017 erreichten die Bewertungen den höchsten Wert seit der Kreditkrise, doch die jüngste Schwäche des Pfund Sterling hat die Bewertungen aufgrund der steigenden Gewinne aus Übersee noch weiter in die Höhe getrieben.
Unseres Erachtens sind die positiven Währungseffekte auf die Aktienbewertungen vorübergehender Natur. Unser Konjunkturindikator deutet darauf hin, dass sich der Wachstumsausblick in Großbritannien verschlechtert und ins Negative drehen dürfte. In einem solchen Umfeld ist der FTSE 350 in der Vergangenheit über einen Sechs-Monats-Zeitraum um 2,2 Prozent gestiegen. Am besten entwickeln sich in dieser Phase defensive Sektoren, wie zum Beispiel Versorger und Verteidigungsunternehmen, und solche, die Unternehmen Kosteneinsparungen bieten können, wie Software und Computer-Dienstleistungen.
Zyklischere Sektoren wie Bergbau zeigen sich in der Regel deutlich anfälliger. Gleiches gilt für den Immobiliensektor, der in einem Sechs-Monats-Zeitraum tendenziell um vier Prozent nachgibt. Diese sind im Hinblick auf die Zinsdeckungsquoten zudem die am höchsten überschuldeten Sektoren. Unseres Erachtens hängt der Ausblick für das britische Wirtschaftswachstum stark von einem konjunkturell günstigen Ausgang der Verhandlungen mit der EU und einem äußerst vorsichtigen Ansatz der Bank of England ab, da Großbritannien infolge eines politischen Fehlers oder eines nachteiligen Abkommens in eine Rezession abrutschen könnte.
James Butterfill ist Head of Research & Investment Strategy bei etfSecurities.