Indiens Steuerreform soll Wachstum fördern
Man stelle sich vor: Ein bayerisches Unternehmen liefert Waren nach Baden-Württemberg – und der LKW wird an der Landesgrenze aufgehalten, weil Zoll und Steuern fällig werden. Damit verbunden: Wartezeiten und bürokratischer Aufwand. Unvorstellbar? In Deutschland schon – in Indien hingegen ist das aktuell noch Realität. Ulrich Stephan schaut sich die Sache mit der Zukunftsfähigkeit Indiens und den Chancen für Anleger etwas genauer an.
Man stelle sich vor: Ein bayerisches Unternehmen liefert Waren nach Baden-Württemberg – und der LKW wird an der Landesgrenze aufgehalten, weil Zoll und Steuern fällig werden. Damit verbunden: Wartezeiten und bürokratischer Aufwand. Unvorstellbar? In Deutschland schon – in Indien hingegen ist das aktuell noch Realität.
Von Ulrich Stephan
Bislang verfügen die 29 indischen Bundesstaaten über unterschiedliche Steuersysteme. Unter anderem deshalb gilt das Steuersystem des Subkontinents als eines der ineffizientesten der Welt. Seitens der Politik gab es dementsprechend schon seit rund zehn Jahren Bestrebungen, das Steuersystem zu reformieren und zu vereinheitlichen. Nun konnte die Regierung Modi einen ganz entscheidenden Schritt machen: Der Gesetzesentwurf für eine umfassende Steuerreform wurde vom Oberhaus verabschiedet. Stimmen nun noch das Unterhaus – in dem Modis Partei die Mehrheit besitzt – sowie mindestens 15 der 29 indischen Bundesstaaten zu, wird die Steuerreform umgesetzt.
Kernstück der Reform ist die Erleichterung des indischen Binnenhandels durch die Einführung von landesweit einheitlichen Steuern auf Waren und Dienstleistungen. Dies wäre ein wichtiger Schritt in Richtung eines indischen Binnenmarktes mit rund 1,3 Milliarden Konsumenten. Als Starttermin für die Einführung hat die indische Regierung den 1. April 2017 vorgesehen. Ob dieser Termin eingehalten werden kann, scheint aktuell jedoch fraglich – schließlich gilt es, noch zahlreiche offene Fragen zu klären.
Die wichtigste Imponderablilie dürfte sein, wie hoch der Steuersatz schließlich ausfallen wird. Außerdem profitieren die Bundesstaaten wohl unterschiedlich stark von der Reform – weshalb benachteiligte Länder auf Entschädigungen pochen könnten. Immerhin dürfte die Einführung manche Bundesstaaten auch technisch vor Herausforderungen stellen, da beispielsweise zunächst die erforderlichen IT-Systeme implementiert werden müssten.
Kurzfristig herausfordernd, langfristig positive Erwartung
Aus Sicht der Deutschen Bank ist die anstehende Steuerreform ein erster wichtiger Schritt hin zu einem einheitlichen indischen Wirtschaftsraum. Zwar ist davon auszugehen, dass die Steuerreform zunächst insbesondere bei kleineren Unternehmen zu Umsetzungsproblemen führen könnte, zumal sie nun schneller als allgemein erwartet auf den Weg gebracht wurde. Mittelfristig dürfte sich die Reform aber deutlich positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung Indiens auswirken – nicht nur aufgrund der erwarteten Vereinfachung des Binnenhandels, sondern auch, weil sich der Marktzugang für internationale Investoren weniger kompliziert als bisher gestalten könnte. Bislang galt das Steuersystem insbesondere für Ausländer als kaum durchschaubar.
Betrachtet man die verschiedenen Faktoren, könnte für langfristig orientierte Anleger mit entsprechender Risikoneigung, die ein Engagement in den Schwellenländern ins Auge gefasst haben, Indien eine interessante Anlagemöglichkeit darstellen.
Ulrich Stephan ist Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.