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Künstliche Intelligenz: Die Karten im Technologiesektor werden neu gemischt

Die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) dominiert derzeit den Technologie-Sektor. Spätestens seit dem jüngsten Ausblick des US-amerikanischen Chipherstellers NVIDIA ist klar, dass KI inzwischen auch in den Geschäftszahlen der Unternehmen angekommen ist.

(Foto: Shutterstock)

Die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) dominiert derzeit den Technologie-Sektor. Spätestens seit dem jüngsten Ausblick des US-amerikanischen Chipherstellers NVIDIA ist klar, dass KI inzwischen auch in den Geschäftszahlen der Unternehmen angekommen ist.

Von Hagen Ernst, stellvertretender Leiter Research & Portfoliomanagement bei DJE und Analyst für die Sektoren Telekommunikation, Technologie, Medien sowie Immobilien und Versorger bei der DJE Kapital AG

Für das zweite Quartal hat NVIDIA, dessen Börsenwert derzeit bei weit über 1.100 Mrd. US-Dollar liegt, einen Umsatz von 11 Mrd. US-Dollar in Aussicht gestellt. Dies liegt deutlich über dem Vorquartal mit einem Umsatz von 7,19 Mrd. US-Dollar und ist mehr als 50 Prozent als von Analysten erwartet. Das zeigt, dass KI schon jetzt zu massiven Investitionen führt. Ungeachtet dessen dürfte es bei den meisten Technologie-Unternehmen allerdings noch ein paar Jahre dauern, bis signifikante Umsätze aus KI erzielt werden. Was Anlegerinnen und Anleger jetzt über den Sektor wissen sollten, erfahren Sie in diesem Branchenkommentar.

Ohne Halbleiter geht bei KI nichts

Am stärksten profitieren sollte der Halbleitersektor. Um die Fähigkeiten von KI gänzlich zu entfalten, sind enorme Investitionen in den Aufbau neuer und vor allem schneller Daten- und Rechenzentren erforderlich. Neue Hochleistungschips (GPU) sind die Voraussetzung für KI-Anwendungen. Hier ist NVIDIA mit einem Marktanteil von 84 Prozent führend. Produzenten herkömmlicher Chips wurden an der Börse schon lange von NVIDIA überholt. Denn erst mit den hohen Rechenleistungen der GPUs von NVIDIA und Co. ist es möglich, eine nahezu unbegrenzte Datenmenge schnell auszuwerten. Die jüngste Entwicklung von KI erfordert allerdings nicht nur GPUs, sondern sollte auch allgemein für eine Nachfragebelebung im Halbleitersektor führen. So werden etwa spezielle Speicherchips, sogenannte DDR5-DRAM-Chips, benötigt. Für Datenzentren in der Cloud sind zudem für KI-Workloads sogenannte High-Speed-Switching-Lösungen, wie solche von Broadcom, erforderlich.

Dennoch befindet sich der Halbleitersektor aktuell noch im Abschwung: So revidierte erst kürzlich der weltweit größte Auftragsfertiger für Halbleiterprodukte TSMC, der u. a. mit NVIDIA und Apple zwei sehr große Kunden im Portfolio hat, den Ausblick für das laufende Jahr mit Blick auf den Umsatz nach unten und erwartet nun einen Rückgang von rund zehn Prozent. Investitionen werden nun am unteren Ende der Planungen von 32 bis 36 Mrd. US-Dollar liegen. Laut TSMC sind die Kunden weiter vorsichtig und erwarten, dass sich die Lagerbestandskorrektur bis ins vierte Quartal des aktuellen Geschäftsjahrs hinzieht. Viele Experten rechnen aber bereits wieder mit einem KI-bedingten Aufschwung im nächsten Jahr.

Hyperscaler – die neuen Gatekeeper?

Während im Halbleitersektor die neuen Hochleistungschips von NVIDIA und Co. eine Schlüsselrolle bei KI einnehmen, ist zu erwarten, dass die großen US-Cloudanbieter ihre Marktmacht weiter ausbauen und eine entscheidende Rolle beim Aufbau schneller KI-Rechenzentren spielen werden. Es gibt in diesem Bereich kein einziges europäisches Unternehmen; der Markt wird von US-Unternehmen dominiert. Marktführer ist AWS von Amazon mit einem Marktanteil von 32 Prozent, gefolgt von Azure von Microsoft mit 23 Prozent Marktanteil sowie Google Cloud mit zehn Prozent Marktanteil.

Viele neue, auf „Large Language Modelling“ (große generative Sprachmodelle mit künstlicher Intelligenz, am bekanntesten unter den generativen Sprachmodellen ist derzeit wohl ChatGPT) spezialisierte Start-ups nutzen diese Cloud-Dienste. Bislang wuchs Microsofts Azure deutlich schneller als vergleichbare Produkte am Markt und auch der aktuelle Marktführer AWS von Amazon. Zudem könnte Azure aufgrund der Integration von ChatGPT in das Cloudgeschäft, in Office-Programme von Microsoft und in die Suchmaschine Bing einen Vorsprung bei KI gewinnen.

Jenseits der USA gibt es zwar in China große Cloud-Anbieter, die Platzhirsche auf dem chinesischen Heimatmarkt sind, aber außerhalb Chinas kaum eine Rolle spielen. Derzeit haben die chinesischen Unternehmen auch nur bedingt Zugang zu wichtigen Technologien wie GPUs. Hier greifen aktuell die Handelsbeschränkungen der US-Regierung, die GPU-Exporte nach China unterbinden. Somit ist wahrscheinlich, dass einige wenige US-Unternehmen den Markt für schnelle KI-Rechenzentren dominieren werden. Außerdem ist zu erwarten, dass sich hier neue Gatekeeper herauskristallisieren werden, die entscheiden, wer Zugang zu KI bekommt und wer nicht.

Doch nicht nur Halbleiterhersteller und Cloudanbieter sollten von der jüngsten Entwicklung im Markt für KI profitieren, sondern auch Softwarefirmen. Hier ist aber wichtig, dass dies wohl nicht flächendeckend gilt: Eine spezielle KI-Lösung muss einen echten Mehrwert bieten, während gleichzeitig der Mehrwert größer sein muss, als der negative Effekt, bedingt durch eine geringer ausfallende Nutzung der Software aufgrund von weniger benötigten Mitarbeitenden. Die Softwarekosten richten sich in der Regel danach, wie viele Mitarbeitende die Lösung nutzen. Microsoft ist dank der Nutzung von ChatGPT gut positioniert. Das generative Sprachmodell hat mittlerweile über 100 Mio. Nutzer und ist somit die erste breit genutzte KI. Die Strategie von Microsoft besteht darin, ChatGPT im Clouddienst Azure, in der Suchmaschine Bing und in den Office-Programmen zu integrieren. Andere Anbieter arbeiten beispielsweise mit staatlichen Behörden, u. a. dem Militär, zusammen. Solche KI-Lösungen sollen etwa verdächtige Aktivitäten frühzeitig erkennen können.

Was soll ins Portfolio: Newcomer oder etablierte Technologie-Konzerne?

Generell ist Größe ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, da Investitionen in KI-Lösungen oftmals sehr langwierig sind und enorme Ressourcen für Forschung und Entwicklung erfordern. Jedoch steigt mit KI das Risiko, dass große etablierte Unternehmen verdrängt werden und ihre Marktmacht verlieren könnten. Das zeigt das jüngste Beispiel anhand von ChatGPT. Jahrelang galt Google-Mutter Alphabet im Bereich KI als führend und entwickelt sogar zusammen mit Broadcom eigene Hochleistungschips. Nun allerdings könnte das Unternehmen ihre Vorherrschaft in diesem Bereich verlieren. Erst durch ChatGPT und deren verblüffend gute Ergebnisse gelang der Durchbruch von KI auf breiter Front. Aktuell scheint es so, dass ChatGPT mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar besser ist als BARD von Google.  

Wo Licht ist, ist auch Schatten: Risiken von KI

Neben zahlreichen Chancen birgt KI aber auch viele Risiken. So lassen sich beispielsweise Bilder bereits jetzt so manipulieren, dass nicht mehr erkennbar ist, ob es sich hierbei um Fälschungen handelt oder nicht. Weiterhin kann KI auch zu zerstörerischen Zwecken wie zum Beispiel der Kriegsführung genutzt werden. Eine einheitliche Regulierung wäre hier nötig, die in der Ausgestaltung aber extrem schwierig umzusetzen sein dürfte.

Fazit

KI hat sich dank neuer Hochleistungsprozessoren und dem Durchbruch durch ChatGPT in den letzten Monaten rasant weiterentwickelt und ist aktuell das bestimmende Thema im Technologiesektor. Interessant wird sein, wer hiervon künftig profitieren kann. Vor allem der Halbleitersektor und hier vor allem die Chiphersteller von Hochleistungsprozessoren sollten durch KI einen Wachstumsschub erzielen. Doch auch Cloudanbieter, die massiv in KI-Rechenzentren investieren, dürften zu den Gewinnern zählen. Neue Gatekeeper könnten entstehen. Im Softwaresektor dürften hingegen Unternehmen mit Fokus auf Datenanalyse und Auswertung profitieren.