Starke Unternehmen, schwaches Pfund – Anlegerdilemma in Großbritannien
Die Anspannung war groß im Juni des vergangenen Jahres. Sowohl in den Hauptstädten als auch an den Börsenplätzen Europas wurde am 23. Juni mit bangen Blicken nach Großbritannien geschaut: Würden sich die Briten wirklich mehrheitlich für den Brexit, also den Austritt aus der Europäischen Union entscheiden? Was dieser Tag langfristig für Anleger bedeutet, beleuchtet aus aktuellem Anlass Ulrich Stephan von der Deutschen Bank.
Die Anspannung war groß im Juni des vergangenen Jahres. Sowohl in den Hauptstädten als auch an den Börsenplätzen Europas wurde am 23. Juni mit bangen Blicken nach Großbritannien geschaut: Würden sich die Briten wirklich mehrheitlich für den Brexit, also den Austritt aus der Europäischen Union entscheiden? Was dieser Tag langfristig für Anleger bedeutet, beleuchtet aus aktuellem Anlass Ulrich Stephan von der Deutschen Bank.
Als das Brexit-Votum Gewissheit wurde, fielen die Reaktionen zum Teil heftig aus – in der Politik wie auch an den Kapitalmärkten. So wertete das Britische Pfund gegenüber vielen wichtigen Währungen weltweit ab und fiel zum US-Dollar sogar auf ein 31-Jahres-Tief. Der britische Aktienmarkt lag im Zuge des Referendums bis zu fast sechs Prozent im Minus.
Britischer Aktienmarkt zuletzt mit starker Kursentwicklung
Während die britische Politik bis heute schwer an den Nachwirkungen des Brexit-Referendums zu tragen hat, konnten sich die Börsen auf der Insel vergleichsweise schnell erholen. Denn trotz der mit dem Brexit verbundenen Unsicherheiten über die künftige Ausgestaltung der Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union gerieten die Aktien britischer Unternehmen weniger stark unter Druck als erwartet. Dies lässt sich unter anderem mit der aktuell hohen Dynamik der Weltwirtschaft sowie der Währungsschwäche des Britischen Pfund erklären, welche die Auswirkungen des beschlossenen EU-Austritts dämpften. Das ließ etwa den britischen Leitindex FTSE 100, der die 100 bedeutendsten börsennotierten Unternehmen Großbritanniens listet, deutlich anziehen: Seit dem Tag des Referendums bis zum 18. September 2017 legte er um rund 20 Prozent zu.
Währungsverluste für Euroanleger
Aus Sicht eines Euroanlegers zeigt sich beim FTSE 100 dagegen ein deutlich durchwachseneres Bild. Denn anders als die Unternehmen geriet die britische Währung nach dem Brexit-Votum massiv unter Druck und verlor gegenüber dem Euro bis heute rund 13 Prozent ihres Werts. Da aber ein Investment in den britischen Leitindex auch für Anleger aus der Eurozone grundsätzlich in Britischen Pfund erfolgt, blieben von den 20 Prozent Kursplus im FTSE 100 für Euroanleger gerade einmal vier Prozent übrig. Zum Vergleich: Der breite Eurozonenindex Euro Stoxx legte im selben Zeitraum um 22 Prozent zu.
Pfund könnte weiter unter Druck bleiben
Dass sich der Abwärtstrend des Pfund in absehbarer Zeit umkehren könnte, scheint aktuell eher unwahrscheinlich: Die Deutsche Bank rechnet trotz einer temporären Stärkephase vielmehr damit, dass die britische Währung bis zum Ende des kommenden Jahres gegenüber der europäischen Gemeinschaftswährung wieder nachgeben könnte. Doch nicht nur der Währungsaspekt scheint aktuell gegen ein Investment in Großbritannien zu sprechen – auch die laufenden Brexit-Verhandlungen dürften zunehmend auf die Stimmung der Marktteilnehmer drücken. So ist beispielsweise nach wie vor vollkommen unklar, ob das Vereinigte Königreich weiterhin einen Zugang zum EU-Binnenmarkt haben wird. Für wachsendes Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Großbritannien sorgen solche Unsicherheiten natürlich nicht.
Eurozone scheint aktuell interessanteres Investmentziel
Insgesamt dürfte es für Euroanleger daher aktuell interessantere Investmentziele als Großbritannien geben – etwa innerhalb der Eurozone selbst. Denn ähnlich wie auf der Insel liegen die Erwartungen an das Gewinnwachstum der Unternehmen im Euro Stoxx für die kommenden zwölf Monate hier im hohen einstelligen Prozentbereich. Das könnte auf Kurspotenzial hindeuten – zumal der konjunkturelle Ausblick für die Eurozone derzeit positiver ausfällt als für Großbritannien und die politischen Unsicherheiten eher abnehmen als steigen, was sich unter anderem in einem starken Euro niederschlägt.
Dr. Ulrich Stephan ist Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.