ThyssenKrupp und Tata – was Anleger jetzt wissen müssen
Nun ist es also passiert. ThyssenKrupp und Tata legen ihre Stahlgeschäfte zusammen und verschmelzen so zum zweitgrößten Produzenten Europas. Am vergangenen Mittwoch legten die beiden Unternehmen nach eineinhalbjährigen Verhandlungen dazu eine beiderseits unterzeichnete Absichtserklärung vor. Kann diese europäische Stahlschmelze zum Erfolgsmodell auch für Anleger werden?
Nun ist es also passiert. ThyssenKrupp und Tata legen ihre Stahlgeschäfte zusammen und verschmelzen so zum zweitgrößten Produzenten Europas. Am vergangenen Mittwoch legten die beiden Unternehmen nach eineinhalbjährigen Verhandlungen dazu eine beiderseits unterzeichnete Absichtserklärung vor. Kann diese europäische Stahlschmelze zum Erfolgsmodell auch für Anleger werden?
Megafusion im deutschen Stahlgeschäft! Der Aktienkurs des letztverbliebenen großen deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp schoss auf diese Nachricht um fast fünf Prozent in die Höhe. Betriebsrat und Gewerkschaft laufen seitdem Sturm und melden Bedenken an. Diese Bedenken schein inzwischen auch bei den Börsianern angekommen zu sein, denn die Thyssen-Aktie musste ihren Fusions-Bonus bald wieder abgeben und könnte sogar in leicht negatives Fahrwasser geraten. Doch Konzernchef Heinrich Hiesinger ist sich sicher: „Mit dem geplanten Joint Venture geben wir den europäischen Stahlaktivitäten von ThyssenKrupp und Tata eine nachhaltige Zukunftsperspektive.“ Mit Tata habe man zudem einen Partner gefunden, der strategisch und kulturell sehr gut zu ThyssenKrupp passe.
Durch das Zusammenlegen ihrer Stahlsparten steigen der deutsche und der indische Konzern unter dem neuen Namen „ThyssenKrupp Tata Steel“ mit einem prognostizierten Umsatz von 15 Milliarden Euro und 48.000 Mitarbeitern zum zweitgrößten Stahlproduzenten Europas hinter Weltmarktführer ArcelorMittal auf. Gemeinsam würde man so in Zukunft 34 Standorte in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden verwalten. Der Hauptsitz des neuen Gemeinschaftsunternehmens soll in Amsterdam sein Zuhause finden. Bis Ende 2018 will man alles in trockenen Tüchern haben. Sowohl Tata als auch ThyssenKrupp hielten dann 50 Prozent an dem Stahl-Joint-Venture. Gemeinsam erwarten sich die Konzerne in der Folge Synergieeffekte in Höhe von jährlich 400 bis 600 Millionen Euro.
An der Börse sorgte das zunächst für Begeisterung, hatten viele Anleger doch schon länger auf den Zusammenschluss der beiden Schwergewichte gesetzt. Innerhalb kürzester Zeit verteuerte sich eine ThyssenKrupp-Aktie um 4,9 Prozent von 25,24 auf 26,48 Euro. Doch dann verlor das Papier aber wieder an Wert, ging mit einem Kurs von 25,68 Euro ins Wochenende und bröckelte danach weiter. Nachdem der Kurs in den letzten zwölf Monaten um 23 Prozent in die Höhe klettern konnte, nutzten einige Investoren die Gelegenheit wohl für Gewinnmitnahmen, denn noch ist unklar, inwiefern die Fusion Deutschlands größtem Stahlunternehmen wirklich weiterhelfen kann.
Management optimistischer als die Anleger
Von Seiten des Managements erwartet man sich freilich Größenvorteile und sieht die nun erfolgende Branchenkonsolidierung als unvermeidlich an, um angesichts globaler Überkapazitäten, „Billigstahl“ aus China und einer wenig dynamischen Nachfrage konkurrenzfähig bleiben zu können. Doch ob das den europäischen Stahlsektor am Ende in eine erfolgreiche Zukunft mit wieder kräftig steigenden Gewinnen führen kann ist höchstfraglich. „Für eine weltweite Lösung sind die beiden zu klein“, sagt so beispielsweise Thomas Hechtfischer von der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz.
Analyst Carsten Riek von der Schweizer UBS warnt in seiner Studie zudem davor, dass die erwarteten Synergien mit 400 bis 600 Millionen Euro ziemlich ambitioniert seien. Die Aktie des deutschen Konzerns hält er im historischen Vergleich für hoch bewertet. Sein Kursziel setzt er bei 20,50 Euro und empfiehlt den Verkauf des Papiers. Die Mehrheit der Analysten ist dagegen positiv gestimmt, sieht ThyssenKrupp auf dem richtigen Weg. Für den Umbau des Konzerns sei die Fusion ein wichtiger Schritt, schreibt DZ-Bank-Analyst Dirk Schlamp. Auch das Analysehaus Jefferies beließ das ThyssenKrupp-Papier nach den Ankündigungen mit einem Kursziel in Höhe von 40 Euro auf „Kaufen“. Die Fusion sei ein positiver Kurstreiber und stütze seine These, dass das Investitionsgütergeschäft der Essener eine deutliche Aufwertung in Richtung 40 Euro pro Aktie verdiene, erklärte Analyst Seth Rosenfeld.
Der große Schritt – weg vom Stahl: wann?
Viele Experten sehen vor allem die von Konzernchef Hiesinger vorangetriebene Loslösung ThyssenKrupps vom Stahlgeschäft mit der Fusion weiter voranschreiten. Der Deal wäre der „letzte große Schritt weg vom Stahl- hin zu einem Industriegüterkonzern“, meint Analyst Sven Diermeier von Independent Research. ThyssenKrupp erzielt inzwischen bereits zirka 75 Prozent seines Gesamtumsatzes mit Industriegütern und Dienstleistungen, beispielsweise durch seine Aufzug- und Automobilsparte. Letztere trägt aktuell schon 25 Prozent des Konzernumsatzes, was jährlich zehn Milliarden Euro entspricht.
Während der Unternehmenswandel zukunftsorientiert erscheint und Anleger wie Aktionäre zufriedenstellen dürfte, haben die derzeit 27.000 Beschäftigten in Thyssen Krupps Stahl-Sparte genau vor solch einem Umbruch Angst, sehen so auch die geplante Fusion mehr als kritisch. Aller Voraussicht nach fallen durch den Zusammenschluss 2.000 Stellen in der Produktion und Verwaltung weg. So zumindest kündigte es CEO Hiesinger an. Betriebsräte und die IG Metall fordern nun Garantien für die Sicherung von Arbeitsplätzen und Standorten. Er sei überzeugt davon, dass es im Zuge der Fusion zu deutlich mehr Arbeitsplatzverlusten käme, sagte Betriebsrat Günter Back. Am Freitag fand deshalb in Bochum eine Protestkundgebung mit mehreren tausend Beschäftigten statt. Der Vorstand habe entgegen aller Warnungen alles auf eine Karte gesetzt, so Back. Nun müsse es das Ziel sein, das Schlimmste zu verhindern.
Mal wieder also erhitzt eine Fusion die Gemüter, zieht einen tiefen Graben zwischen Aktionären und Arbeitern. Mittendrin steht Chef Heinrich Hiesinger. Er muss beide Seiten überzeugen, darf dabei aber vor allem den Stahlkochern nicht zu viele Zugeständnisse machen. Schnell verschwinden sonst die mit der Vergemeinschaftung einhergehenden Kostenvorteile. Und vielleicht noch schneller ist sonst sein ganzes Zukunftsmodell für ThyssenKrupp gescheitert bevor es richtig begonnen hat. Anlegern bleibt so derzeit wenig anderes übrig als abzuwarten. Bei ThyssenKrupp scheint alles möglich. Vom Wow-Effekt bis hin zum Schmelzen des Firmenkerns. Oliver Götz