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Vorsicht vor dem Umschwung

Die Hoffnung auf eine sanfte Landung der Konjunktur ist verflogen. Die Rezession kommt, die Frage ist nur wann. Aktuell schwanken die Märkte Europas und der USA zwischen Resilienz und Fragilität, während sich in Asien weiterhin Lichtblicke auftun.

(Foto: Poring Studio / Shutterstock)

Die Hoffnung auf eine sanfte Landung der Konjunktur ist verflogen. Die Rezession kommt, die Frage ist nur wann. Aktuell schwanken die Märkte Europas und der USA zwischen Resilienz und Fragilität, während sich in Asien weiterhin Lichtblicke auftun.

Von Andrew McCaffery, Global CIO, Asset Management Fidelity 

Das erste Halbjahr 2023 ist vorüber – Zeit für eine Zwischenbilanz und einen Blick nach vorn. Wir bewegen uns noch immer durch eine Polykrise, also durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Belastungen, die langfristig zu einer schweren Rezession führen können. Sowohl in den USA als auch in Europa haben die Notenbanken weitere Leitzinserhöhungen angekündigt, da die Inflation nur langsam sinkt. Das birgt Risiken: Obwohl die Märkte sich aktuell von außen widerstandsfähig zeigen, werden die Auswirkungen der restriktiven Geldpolitik früher oder später voll durchschlagen.

1. Wann kommt die Rezession?

Obwohl viele Wirtschaftsindikatoren frühzeitig auf eine bevorstehende Rezession hindeuteten, lässt der Abschwung sowohl in Europa als auch in den USA bislang auf sich warten. Nach dem schnellsten Zinserhöhungszyklus der Geschichte zeigen die Märkte noch immer eine außerordentliche Resilienz, die jedoch nur vorübergehend sein dürfte. Auf der einen Seite ist reichlich Liquidität vorhanden – unter anderem, weil viele Verbraucher und Unternehmen während der Pandemie ein finanzielles Polster aufgebaut haben. Auch die Arbeitsmärkte sind nach wie vor robust.

Auf der anderen Seite treffen die tatsächlichen Effekte der Notenbankpolitik die globale Wirtschaft erst mit Verzögerung, während sich die Kreditvergabestandards aufgrund des gestiegenen Zinsniveaus bereits zunehmend verschärft haben. Gleichzeitig nimmt auch die Nachfrage nach Krediten kontinuierlich ab. Eine zyklische Rezession in Industrieländern bleibt daher unser Basisszenario. Wir erwarten, dass die Arbeitslosigkeit in den USA in den nächsten zwölf Monaten auf 4,4 bis 6,5 Prozent steigt.

2. Lichtblicke in Asien

Nach dem Wegfall der Corona-Beschränkungen startete China stark ins neue Jahr. Die Erholung läuft jedoch langsamer als angenommen. Die Gewinnerwartungen vieler Unternehmen enttäuschen, die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch und die Kauflust weiterhin gedämpft. Grund zur Hoffnung gibt die wachstumsfördernde Geld- und Steuerpolitik, die Chinas Regierung erneut bekräftigt hat. Es ist wahrscheinlich, dass weitere Konjunkturmaßnahmen folgen, zumal die niedrige Inflation Peking finanziellen Handlungsspielraum bietet. Wir gehen davon aus, dass China sein BIP-Wachstumsziel von fünf Prozent für das Gesamtjahr 2023 erreichen wird.

Anlegern eröffnet die Diskrepanz zwischen Markterwartungen und der Realität des Aufschwungs selektive Chancen. Chinesische Aktien werden mit einem Abschlag von etwa einem Fünftel gegenüber den Schwellenländern gehandelt – darunter auch Titel von qualitativ hochwertigen Wachstumsunternehmen aus dem Konsum- und Internetsektor. Diese sind gut aufgestellt, um eine Konjunkturschwäche zu überstehen.

Die Regionen in Südostasien profitieren vom Bestreben vieler westlicher Unternehmen, die ihre Abhängigkeiten von China reduzieren und Lieferketten umgestalten. Indonesien macht sich in der globalen Lieferkette für Elektrofahrzeuge einen Namen, Malaysia und Vietnam in der Elektronikbranche. Auch in Nordostasien eröffnen sich Chancen. Lange Zeit war Japan von Wachstumsschwäche und Deflation geprägt. Aufgrund des jüngsten Aufschwungs bei Einzelhandelsumsätzen und umfassenden Corporate-Governance-Reformen erlebte der von globalen Anlegern noch immer unterallokierte japanische Aktienmarkt im Mai eine echte Rally.

3. Verfrühter Optimismus bei Unternehmen

Unsere Analysten haben im vergangenen Quartal über weite Strecken eine Stimmungsflaute bei den Unternehmen festgestellt. Der Aufschwung im Juni deutet jedoch darauf hin, dass sich die Stimmung nicht dauerhaft verschlechtert, sondern sich lediglich von einem temporären Tief erholt hat. Denn der Einbruch erfolgte nach den Erschütterungen im Bankensektor und den damit verbundenen Befürchtungen einer Kettenreaktion. Als sich diese als unbegründet erwies, kehrte der Optimismus in die Unternehmen zurück. Das gilt vor allem im Sektor für Basiskonsumgüter, auch wenn die Aufbruchsstimmung von Anlegern und Verbrauchern bislang nicht geteilt wird.

Unserer Meinung nach ist dieser Stimmungsumschwung ein Zeichen von Selbstüberschätzung. Denn unter der ruhigen Oberfläche brodelt es. Im Hinblick auf die verzögerten Auswirkungen der Geldpolitik, den zunehmenden Liquiditätsrückzug und der verschärften Kreditvergabestandards ist Vorsicht geboten. Und auch der anhaltend hohe Lohnkostendruck in den Industriestaaten sendet ein klares Signal: Die Inflation ist noch nicht unter Kontrolle und die Zentralbanken noch lange nicht am Ende ihres Zyklus angelangt.

Ausblick auf einzelne Anlageklassen

Aktien

Die Rally am US-Aktienmarkt wurde durch wenige große Technologie-Unternehmen getrieben. Hier drohen Konzentrationsrisiken, sollte der Hype um Künstliche Intelligenz abebben oder die US-Notenbank das Zinsniveau länger hochhalten. Die Volatilität an den Aktienmärkten ist gering – ein Hinweis, dass Rezessionsrisiken unterschätzt werden. In Europa reagieren die Bewertungen, insbesondere von zyklischen Werten, nur langsam auf das schlechtere makroökonomische Umfeld. Wir gehen davon aus, dass das globale Gewinnwachstum im Jahr 2023 leicht negativ sein, sich aber im nächsten Jahr wieder auf eine mittlere bis hohe einstellige Rate erholen wird.

Anleihen

Die Märkte für Investment-Grade-Anleihen haben eine Rezession relativ gut eingepreist, insbesondere in Europa. Doch bei Hochzinsanleihen ist dies aktuell noch nicht der Fall. Nach dem Ende der Verhandlungen über die US-Schuldenobergrenze werden wir ein hohes Emissionsvolumen bei Staatsanleihen erleben, gepaart mit einer quantitativen Straffung, da das US-Finanzministerium in den kommenden Monaten seine Geldreserven aufstocken wird. Dies könnte zur Abnahme der Dollar-Liquidität führen, da Marktteilnehmer ihr Kapital in Geldmarktfonds umschichten, um von diesen zusätzlichen Emissionen zu profitieren.  

Private Markets

Angesichts der derzeitigen Fragilität des wirtschaftlichen Umfelds sind planbare Renditen von Vorteil, und eben solche bietet die Anlageklasse der privaten Schuldtitel. Der Rückgang der Zinsdeckungsquoten dürfte zwar zu einem begrenzten Anstieg der Zahlungsausfälle führen – etwaige Schwächen sind aber eher unternehmensspezifischer als branchenübergreifender Natur. Nichtsdestotrotz ist eine umsichtige Kreditprüfung und hohe Selektivität bei der Kreditvergabe von großer Bedeutung.

Immobilien

Am europäischen Immobilienmarkt herrscht ein angespanntes Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, das kurzfristig für Resilienz sorgt. Dieses Gleichgewicht könnte ins Wanken geraten, wenn die kommenden Zinsschritte höher als erwartet ausfallen, was sich sowohl auf den Investitions- als auch auf den Mietmarkt negativ auswirken dürfte. Im Vorjahr kam es bei Immobilien zu einem beispiellos hohen Preisabfall um 15 bis 25 Prozent. Kurzfristige Indikatoren deuten darauf hin, dass sich die Werte nun stabilisieren, ein längerfristig höheres Zinsniveau könnte die Renditen jedoch weiter unter Druck setzen.

Fazit

Die Mehrheit unserer Analysten geht davon aus, dass die Rezession in den nächsten zwölf Monaten in Europa und den USA Einzug halten wird. Die derzeitige Resilienz ist für Unternehmen kein Grund zum Aufatmen. Denn die geldpolitische Straffung wird nicht spurlos an den Märkten vorbeigehen, die Auswirkungen werden im weiteren Jahresverlauf an die Oberfläche treten. Anleger sollten ihre Portfolios in diesem Umfeld defensiv ausrichten und auf Qualitätstitel setzen. Obwohl Chinas Erholung hinter den Markterwartungen zurückbleibt, ist das größte Wachstum weiterhin in Fernost zu verzeichnen.