Wann kommt die Inflation?
In diesem Jahr erwarten Ökonomen einen Preisanstieg wie lange nicht mehr. Damit werden überlieferte Erinnerungen an das Gespenst der Inflation wach. Und tatsächlich ist die rasende Geldentwertung nicht ausgerottet, sondern sie wird nur mit allerhand Medikamenten in Schach gehalten.
In diesem Jahr erwarten Ökonomen einen Preisanstieg wie lange nicht mehr. Damit werden überlieferte Erinnerungen an das Gespenst der Inflation wach. Und tatsächlich ist die rasende Geldentwertung nicht ausgerottet, sondern sie wird nur mit allerhand Medikamenten in Schach gehalten.
Die erste Zigarette, die Sebastian Haffner heimlich hinter einer Mauer geraucht hat, kostete 50 Pfennig. Das war im Jahr 1920 und es war ein happiger Preis - mehr als das Zehnfache des Vorkriegsniveaus. Aber es war eben eine Zeit, wie der Publizist später in seinen Erinnerungen „Geschichte eines Deutschen“ schildert, in der Pfennig und Mark verrückt spielten. Das Geld entwertete mit Überschallgeschwindigkeit; Naturalien wurden zu Zahlungsmitteln und entsprechend teuer. „Halbwüchsige, die eine Kiste Seife gefunden hatten, lebten wie Fürsten, während ihre Eltern, einstmals reiche Leute, als Bettler herumschlichen“, berichtet der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig später. Und Thomas Mann, erzählerische Eminenz des vergangenen Jahrhunderts, sieht durch die Inflation eine Wertewelt auf den Kopf gestellt. „Das Negative wird zum Ehrbaren“, weil es unmöglich war, vom gesetzlich Zulässigen zu leben.
Eingeprägt ins kollektive Gedächtnis
Haffner, Zweig, Mann – die Erzähler des 20. Jahrhunderts prägen das kollektive Gedächtnis der Deutschen. Ihre Geschichten mischen sich mit dem Erzählten der eigenen Großeltern von einem Leben, in dem sie mittendrin wieder bei null angefangen haben. Vom Absturz des Geldes, der wie ein „Wettersturz der Werte“ über sie gefegt ist, wie Stefan Zweig es beschreibt; ein Trauma der Deutschen. „Diese Erfahrungen sind tief verankert in der deutschen Perzeption“, sagt Lars Feld, Vorsitzender der Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung ökonomisch beraten, im Gespräch mit dem WirtschaftsKurier. Diese Aussage deckt sich mit den tatsächlichen Ängsten der Bundesbürger. Laut einer Umfrage der Bundesbank erwarten die Deutschen in diesem Jahr eine durchschnittliche Inflationsrate von 3,1 Prozent. Das wäre beachtlich. Zum Vergleich: Im abgelaufenen Jahr betrug der Anstieg des Preisniveaus in Deutschland gerade einmal 0,5 Prozent.
Lars Feld fügt hinzu: Die Inflationsangst sei ein Grund, warum sich Deutschland in der Europäischen Währungsunion so restriktiv verhalte und darauf poche, dass „monetäre Staatsfinanzierung“ verboten sei. Bei dieser Vorgehensweise unterstützt die Notenbank mit frischem Geld aus der Druckerpresse direkt den hochverschuldeten Staat. Die derart erhöhte Geldmenge führt tendenziell zu einem Anstieg des Preisniveaus. Solche Episoden enden in der Regel in einer Hyperinflation. Haffners Schilderungen lassen grüßen. Sind wir auf dem weg dahin?
Die Inflation ist nicht tot
Noch einmal kommt Lars Feld zu Wort: Wenn die Notenbanken viel Geld ins System pumpten, entstehe nicht automatisch Inflation. Falls die Banken das viele Geld nämlich wie geplant nutzen, um Kredite zu vergeben und die Kapitalnachfrage auf Seiten von Investoren und Konsumenten hoch ist, entsteht Wachstum und nicht Inflation. Das ist die Hoffnung, die die Wirtschaftsweisen, Regierungen und Notenbanken derzeit umtreibt. Allerdings gibt es wie immer, wenn Hoffnung da ist, auch eine andere Seite. Und die beschreibt Isabel Schnabel, deutsches Mitglied im EZB-Rat und Vertraute von Präsidentin Christine Lagarde: „Die Inflation“, mahnte sie jüngst, „ist nicht tot.“ In den vergangenen Jahren sei die Wirtschaft einer Serie von Schocks ausgesetzt gewesen, was die Inflation gedämpft habe. „Wir erwarten jedoch, dass sich das ändern, und es 2021 zu einem Anstieg der Inflation kommen wird.“
Bert Rürup, Vorgänger von Lars Feld als offizieller Wirtschaftsweiser erklärt in einem Beitrag fürs „Handelsblatt“ was damit gemeint ist: Der Ölpreis ist im vergangenen Jahr wegen der weltweiten Rezession eingebrochen. Langsam erholt er sich von seinen Tiefstständen im vergangenen März. Die Umsatzsteuersenkung, die die Bundesregierung im zweiten Halbjahr 2020 befristet auf den Weg gebracht hatte, ist ausgelaufen und die Steuersätze wieder auf dem ursprünglichen Niveau. Außerdem gilt seit diesem Jahr eine neue CO2-Abgabe, die Heizöl, Benzin und Erdgas erheblich verteuert. Sollte nach erfolgreichen Impfungen außerdem die Angst vor der Pandemie schwinden und die Kauf- und Investitionslust zurückkehren, kann es im Sommer zu steigenden Preisen angesichts steigender Nachfrage kommen. Es sei gut möglich, dass angesichts dieser Effekte, so berechnet Rürup, am Jahressende bei der Inflation der höchste Durchschnittswert seit 2008 steht, als die Preise um 2,6 Prozent angezogen waren.
Eine aggressive Lohnpolitik ist nicht in Sicht
Um eine echte Inflation zu erzeugen, gibt es aber noch einen, der mitspielen muss: Es sind die Gewerkschafen und die von ihnen wesentlich mitbestimmte Lohnpolitik. Die DGB-Gewerkschaften handeln, so rechnet Rürup vor, dieses Jahr für mehr als zwölf Millionen Beschäftigte neue Vergütungstarifverträge aus. Allerdings liefen die meisten Tarifverträge bereits im ersten Halbjahr aus, das noch von den Folgen der Pandemie geprägt sein wird. Sollten die Gewerkschaften es dennoch schaffen, den derzeitigen Preisschub in kräftige Lohnerhöhungen umzumünzen, käme es zu sogenannten Zweitrundeneffekten: Unternehmen würden versuchen, ihre gestiegenen Kosten über höhere Preise weiterzugeben, und die Inflation könnte sich hochschaukeln.
Dass so etwas passiert, ist aber unwahrscheinlich. Das liegt zum einen daran, dass Arbeitgeber in einer arbeitsteiligen Welt sehr glaubhaft damit drohen können, Aufgaben in Länder zu verlagern, in denen die Löhne niedriger sind. Osteuropa und Teile Asiens bieten sich noch immer an. Zum anderen führt die Digitalisierung dazu, dass Produkte und Dienstleistungen eher billiger werden, was höhere Löhne unbezahlbar macht. Schließlich werden Corona und der beschleunigte Strukturwandel in einige Branchen zu zahlreichen Pleiten führen, was die Zahl der Arbeitslosen erhöht. Je mehr Arbeitssuchende auf den Markt drängen, desto schwieriger wird es für die Gewerkschaften höhere Löhne durchzusetzen. Unterm Strich spricht also nicht viel in der Lohnpolitik für einen kräftigen Schluck aus der Pulle.
Auch das kann sich natürlich ändern. Wenn die Generation der Babyboomer in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts in den Ruhestand geht und weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, wenn nach dem Corona-Schock in Gesundheitsberufen dauerhaft mehr Personal gebraucht wird, und wenn die Digitalisierung neue Jobs schafft, sind auch Arbeitnehmer wieder in einer besseren Position, um ihren Lohn zu verhandeln.
Die Inflation, so viel ist damit klar und soweit hat auch Lagarde-Beraterin Schnabel recht, ist nicht tot. Sie wird allerdings durch allerlei Mittel in Schach gehalten. Die Literaten es 20. Jahrhunderts und die eigenen Großeltern haben ein Bild entworfen, das derzeit zwar verblasst, aber nicht gelöscht ist.
oli