Globale Schuldenlast: Haben wir die Kontrolle verloren?
Die Corona-Pandemie treibt die Verbindlichkeiten von Staaten in absurde Höhen. Vier Faktoren bestimmen, ob und wie die Schuldenquote in den Griff zu bekommen ist.
Die Corona-Pandemie treibt die Verbindlichkeiten von Staaten in absurde Höhen. Vier Faktoren bestimmen, ob und wie die Schuldenquote in den Griff zu bekommen ist.
Wachstum auf Pump. Diesem Mittel zum Zweck bedienen sich viele Volkswirtschaften nicht erst seit heute. Seit Jahren explodieren weltweit die Staatsschulden. Die Corona-Pandemie hebt die globalen Verbindlichkeiten nun jedoch auf ein völlig neues Level. Vielerorts scheint sich so etwas wie ein endgültiger Kontrollverlust anzubahnen. Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) legen nahe, dass die Verschuldung einiger Länder in absurde Höhen klettern könnte. Die Kombination aus Konjunktureinbruch und steigenden Haushaltsdefiziten lässt grüßen. Im Schnitt rechnet der IWF für die entwickelnden Volkswirtschaften mit einem Anstieg der Verbindlichkeiten um 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – bis 2021. In den Vereinigten Staaten bahnt sich noch ein weit höheres Plus an. Beim IWF rechnet man dort bis zum kommenden Jahr mit einem Anstieg der Schuldenquote auf fast 132 Prozent des BIP. Damit läge jene um 23 Prozent höher als noch vor Ausbruch des Coronavirus.
Ende März – unter anderem das 500 Milliarden-Dollar-Rettungspaket der Regierung aus dem April also nicht mit eingerechnet – lagen die Staatsschulden der USA laut Federal Reserve (Fed) bei 23,2 Billionen Dollar. Inzwischen könnten es in etwa 26 Billionen Dollar sein, schätzen Experten. Gemeinsam mit den Rekordverbindlichkeiten auf Unternehmensseite und der privaten Haushalte dürften sich die Schulden aktuell auf 76,8 Billionen Dollar belaufen. Das entspräche – bricht das BIP wie von der Fed prognostiziert in diesem Jahr um 6,5 Prozent ein – 375 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung und damit einer Schuldenblase gigantischen Ausmaßes.
Dagegen klingen die elf Prozent, um die die Neuverschuldung auf Staatsseite in der Eurozone durchschnittlich ansteigen soll, fast schon moderat. Insgesamt summierte sich so aber immer noch eine Schuldenquote von 96 Prozent. Und natürlich stechen einzelne Länder wie Italien oder Griechenland mit weit höheren Quoten hervor.
Um die Tilgung geht es schon lange nicht mehr
Fakt ist: Die globale Schuldenlast wird immer erdrückender. Und ein Ende des Anstiegs ist nicht in Sicht. Dass die Verbindlichkeiten irgendwann einmal wieder zurückgezahlt werden können oder nennenswert schrumpfen, gilt dazu als ein einigermaßen aussichtsloses Unterfangen. Wie Volkswirte aber gerne betonen, reicht es ja, sie bedienen zu können. Am Beispiel Japan zeigt sich, dass hohe Schulden allein eine Volkswirtschaft nicht in aussichtslose Schwierigkeiten bringen. Schließlich lag die Schuldenquote in Japan bereits 2019 bei 237 Prozent und könnte in diesem Jahr auf 251 Prozent steigen. Zum Vergleich: Die von Italien könnte 2020 zirka 155 Prozent erreichen.
„Neben der Entwicklung der Schuldenquote ist das Währungsregime entscheidend für die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung. Anders als Italien verfügt Japan über eine eigene Währung und eine eigene Notenbank, die derzeit sogar Obergrenzen für die Marktrenditen festlegt.“, erklärt Christian Kopf, Leiter Portfoliomanagement Renten bei Union Investment. „Dadurch sind japanische Staatsanleihen die sicherste Anlage in Landeswährung und bleiben dies auch bei steigender Staatsverschuldung. In der Coronakrise sind die Renditen italienischer Staatsanleihen markant gestiegen, bei Japan war dies nicht der Fall.“
Kontrolle der Schuldenquote: Diese vier Faktoren sind entscheidend
Dennoch gilt es die Schuldenquoten auf Dauer unter Kontrolle zu halten. Auf die Eurozone ließe sich das japanische Beispiel ja ohnehin schwer anwenden. Und so sind es am Ende vier Faktoren, deren Entwicklung darüber entscheidet, ob da gerade etwas vollends aus dem Ruder läuft oder sich die Schuldenlast noch bändigen lässt: Die Wachstumsrate des BIP, die Inflation, die Zinsen und die Haushaltsführung der Staaten.
Von letzterer seien „die meisten Staaten weit entfernt“, stellt Kopf von der Union Investment fest. „Wenn der IWF mit seinen Prognosen recht behält, wird es auch in zwei Jahren kaum ein Land geben, dessen Staatshaushalt vor Zinszahlungen einen Überschuss ausweist.“ Auch für Deutschland zeichne sich ein leichtes Defizit ab.
Ein hohes Wirtschaftswachstum dürfte in den Industriestaaten ohnehin einer Utopie gleichkommen. „Dafür fehlen wegen der alternden Bevölkerung und des bereits sehr hohen Produktivitätsniveaus die Voraussetzungen“, weiß Kopf.
Die Inflationsrate ist ebenfalls im Keller. In der Eurozone lag sie im Mai bei 0,1 Prozent. Das angestrebte Ziel der Währungshüter liegt bei zwei Prozent. Immerhin erwarten einige Experten mittelfristig steigende Inflationsraten. Das wäre gut für die Staatskasse, käme jedoch – sollte die Rate über das Zwei-Prozent-Ziel hinausschießen – dem Sparer teuer. Schließlich stiege so bei weiter niedrigen Zinsen die Geldentwertung sprunghaft an.
Lage in Europa zwiespältig
Was bedeutet das nun? Steuern wir geradewegs auf das Platzen einer gigantischen Schuldenblase inklusive flächendeckender Geldentwertung zu? „Die gute Nachricht ist, anders als noch vor zwanzig Jahren brauchen wir keine hohen Wachstumsraten mehr, um das Monster steigender Staatsverschuldung zu bändigen“, sagt Kopf. Im Durchschnitt lägen die Zinsen, die Industrieländer auf ihre Staatsschulden leisten müssten, derzeit bei zwei Prozent oder weniger. „Der deutsche Staat zahlt im Schnitt sogar nur 0,6 Prozent Zinsen auf den Gesamtbestand der umlaufenden Bundesanleihen.“
Entsprechend braucht es keine exorbitanten Sparmaßnahmen um eine Schuldenexplosion zu verhindern. Fast alle entwickelten Volkswirtschaften hätten zwar eine „Tragfähigkeitslücke“ in ihrer Staatsverschuldung, weshalb diese Länder ihr Steueraufkommen erhöhen oder ihre Staatsausgaben senken müssten, um einen weiteren Anstieg ihrer Verschuldung zu verhindern, erklärt der Experte der Union Investment. Doch aufgrund der niedrigen Zinsen liege die notwendige Sparanstrengung zur Schuldenstabilisierung für die meisten Länder nur bei zwei Prozent des BIP, bei Italien sogar nur bei einem Prozent. Kopf hält das für machbar, sieht die größeren Herausforderungen in den USA, aber auch in Frankreich oder Spanien. „Diese Länder bräuchten eine Verbesserung des Staatshaushalts um drei bis fünf Prozent des BIP.“
Noch scheint die Kontrolle also nicht verloren. Doch die Corona-Pandemie hat eine ohnehin schon große Aufgabe zu einem Herkules-Manöver gemacht. Die Schuldenlast wird die politischen Entscheidungen fast aller Länder über Jahre hinaus dirigieren.
OG
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