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„Weniger vom selben: Anleger sollten sich 2022 auf positive, aber unterdurchschnittliche Renditen einstellen“,

Aktien verzeichnen Rekordstände und sind seit ihrem Pandemietief um nahezu 100% und damit viel schneller als erwartet gestiegen. Im Jahr 2022 allerdings dürften bestimmte Faktoren den Renditen von Aktien und Anleihen Grenzen setzen.

(Foto: Peshkova / Shutterstock)

Aktien verzeichnen Rekordstände und sind seit ihrem Pandemietief um nahezu 100% und damit viel schneller als erwartet gestiegen. Im Jahr 2022 allerdings dürften bestimmte Faktoren den Renditen von Aktien und Anleihen Grenzen setzen.

Von Luca  Paolini, Chefstratege bei Pictet Asset Management

 
Die  rekordhohen  Bewertungen,  eine  straffere  Geld-/Fiskalpolitik und der Inflationsanstieg bedeuten, dass der Druck anhält, was zu Aktienrenditen im einstelligen Bereich führt. Bei Anleihen dürften wir es mit einem dauerhaften Bärenmarkt zu tun haben, auch wenn ein Ausbruch der Renditen unwahrscheinlich erscheint.
 
Das nächste Jahr wird somit keine Wende bringen, sondern vielmehr „weniger vom selben“. Wir befinden uns im letzten Drittel der Aufschwungphase im rasantesten Markt- und Konjunkturzyklus aller Zeiten.  
 
Die Wirtschaftsaktivität wird auf das Vorpandemieniveau zurückkehren.  Wir  rechnen  mit  einem  synchronen  Wachstum  mit weniger sektoralen und regionalen Divergenzen. Die Weltwirtschaft ist ein «Supertanker», bei dem ein Kurswechsel nur langsam vonstattengeht. Der Konsum von Dienstleistungen dürfte zum Warenkonsum aufschließen, und die Lockerung von Mobilitätsbeschränkungen  dürfte  die  Produktion  ankurbeln  und Lieferkettenprobleme mildern.

Die USA werden 2022 mit einer Wachstumsrate von voraussichtlich 5,6% zum ersten Mal seit langer Zeit stärker wachsen als China und eine  positive  Produktionslücke  verzeichnen,  wahrscheinlich  die
größte in drei Jahrzehnten. Die nachfragegetriebene Inflation wird anhalten und die Arbeitslosenquote sinken.  
 
In Europa, Großbritannien  und Japan  wird sich die Erholung ebenfalls  fortsetzen,  wenn  auch  moderater  als  in  den  USA.  Dabei könnten  der  Brexit  und eine  möglicherweise  frühzeitige  Straffung der Geldpolitik in Großbritannien für Unsicherheit sorgen.
 
In China verläuft die Entwicklung zweigeteilt – auf einen schwachen Jahresauftakt folgt eine rasante konsumgetriebene Erholung, wobei das Wachstum jedoch durch einen inflationsbedingten Nachfrageeinbruch ernsthaft gefährdet werden könnte.  Hinzu  kommt,  dass  regulatorische  Einschränkungen  und Schwachstellen in Chinas wichtigem Immobiliensektor nicht
ausgeschlossen werden können.
 
Obwohl wir insgesamt der Ansicht sind, dass eine Konjunkturüberhitzung  wahrscheinlicher  ist  als  eine  Stagflation, sehen wir drei Risiken für das globale Wachstum.
 
Steigende  Inflation –  und  ein  möglicher  Ölpreis  von  USD 100  je Barrel – könnten die Nachfrage einbrechen lassen. Weitere regulatorische Einschränkungen in China können nicht ausgeschlossen werden. Ausserdem ist die Coronakrise noch nicht überstanden – es besteht das Risiko, dass eine tödlichere  neue Virusvariante auftaucht, bei der bestehende Impfstoffe nicht wirken.
 
Selbst wenn die geldpolitische Kehrtwende ausbleibt, steht 2022 ein Kurswechsel in der Geldpolitik an. Schwellenländer haben mit der Straffung bereits begonnen. Wir gehen davon aus, dass die
Bilanzsumme der wichtigsten Zentralbanken nächstes Jahr insgesamt um rund USD 1 Billion zunehmen wird, also weniger als die gesamtwirtschaftliche Aktivität. Damit ist die Überschussliquidität  zum  ersten  Mal  seit  der  grossen  Finanzkrise rückläufig.  
 
Die realen Zinsen werden trotz Rücknahme der quantitativen Lockerung  durch  die  Fed  und  voraussichtlicher  Zinsanhebungen im späteren Jahresverlauf niedrig bleiben.

In der Vergangenheit sank die Performance von Aktien zu Beginn eines monetären Straffungszyklus in den USA unter den langjährigen Durchschnitt, verharrte aber tendenziell im positiven Bereich. Plötzliche Kurseinbrüche oder Anstiege der Marktvolatilität  waren  eher  von  kurzer  Dauer,  selbst  wenn  sie bisweilen stark ausfallen können.  
 
Doch die Warnung gilt: Nach zehn Jahren der quantitativen Lockerung und des «billigen Geldes» sowie einer steigenden Nachfrage alternder Gesellschaften nach finanziellen Vermögenswerten sind die Vermögenspreise insgesamt hoch.
 
Echtes  Wertpotenzial  findet  sich  in  Bereichen,  die  für  zahlreiche Anleger unattraktiv sind – Energie, Bergbau, Chinas Immobiliensektor, brasilianische und türkische Aktien – doch grundsätzlich bieten Aktien viel relatives Wertpotenzial.  
 
Value-Titel aus zyklischen Märkten und Sektoren dürften sich 2022 überdurchschnittlich entwickeln, weil sich die Wiedereröffnung der Wirtschaft  fortsetzt  und  die  Anleihezinsen  steigen.  Dies  gilt  für
Japan, Finanzwerte, Immobilien und US-amerikanische Small Caps. Wenn  die  Welle  regulatorischer  Eingriffe  in  China  abebbt,  bieten chinesische Technologiewerte erhebliches Aufholpotenzial.  
 
In Europa bevorzugen wir Großbritannien wegen seines Angebots an  substanzorientierten  und  sehr  günstig  bewerteten  Titeln  und seiner  schwächelnden  Währung.  Auch  Italien  und  Spanien  sind
attraktiv.  
 
In  den  USA  ist  die  Lage  differenzierter.  US-Aktien  können  sehr teuer  aussehen.  Doch  wahrscheinlich  werden  die  Gewinne,  die dank gestiegener Gewinnmargen nochmals höher als erwartet ausfallen dürften, die Erträge retten. Angesichts des voraussichtlichen Anstiegs der Steuern, Zins- und Lohnkosten bewerten die Analysten die Gewinnentwicklung allerdings zu optimistisch.  
 
Bei Aktien (und überhaupt bei Vermögenswerten) aus Schwellenländern sind wir zwar weiterhin vorsichtig, ein erneutes Interesse  an  diesen  Märkten  ist  im  zweiten  Halbjahr  2022  aber wahrscheinlich. Insgesamt halten wir an unserem vorsichtig optimistischen Ausblick für Aktien fest.

Anleiheanleger sollten sich auf ein weiteres herausforderndes Jahr einstellen.  US Treasuries dürften  im Jahresvergleich ein Minus verzeichnen,  auch  wenn  die  Renditen  10-jähriger  Papiere  kaum
über 2% steigen werden. Weil die realen Renditen inflationgeschützter Anleihen auf einem historischen Tiefstand liegen,  können  sich  Anleger  auch  nicht  auf  dieses  Marktsegment
verlassen.
 
Die Möglichkeit, dass die Zentralbanken in den USA, im Euroraum und in Großbritannien bis Ende 2022 mindestens eine Zinsanhebung vornehmen werden,  wird  von  den  Märkten bereits eingepreist. Dies mag übertrieben sein, doch die Bedingungen für Anleiheanleger sind die ungünstigsten seit zehn  Jahren – nicht zuletzt  wegen  der  hohen  Bewertungen  in  allen  festverzinslichen Anlageklassen.  
 
Um  Gewinne  zu  erzielen,  müssen  die  Anleger  intensiver  suchen. Wir setzen auf japanische inflationsgeschützte Anleihen. Die realen Zinsen sind in Japan höher als in den USA und Großbritannien. Die Inflation  des  Landes  steigt,  denn  der  schwache  Yen  treibt  die Importkosten nach oben. Wir favorisieren auch in den USA begebene  gehebelte  Kredite  (so  genannte  Leveraged  Loans),  die dieses Jahr dank niedriger Duration und variabler Zinsen erhebliche Zuflüsse verzeichnet haben.
 
Unternehmensanleihen  dürften  es  im  kommenden  Jahr  schwer haben, denn die Spreads von Unternehmensanleihen aus den Industrieländern  sind  sowohl  im  Investment-Grade-  als  auch  im
Hochzinssegment nicht weit von ihren Tiefständen entfernt.
 
Relatives Wertpotenzial erkennen wir hingegen bei kurz laufenden Unternehmensanleihen, vor allem aus den Schwellenländern.
 
Gemessen  an  den  aktuellen  Renditen  und  der  Duration  dürften kurzfristige Anleihen den Anlegern die Möglichkeit bieten, sich vor Volatilität  im  Zusammenhang  mit  Zinsfluktuationen  zu  schützen,
ohne auf viel Rendite zu verzichten.
 
Bei Staatsanleihen aus dem Euroraum und anderen Industrieländern sehen wir wenig Renditepotenzial. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass überkaufte inflationsgeschützte Anleihen attraktive Gewinne bieten und ihre bisherige Jahresperformance von 6–7% ein weiteres Mal erzielen.

Bei  den  Schwellenländern  sehen  wir  Wertpotenzial  bei  russischen Anleihen, die hohe reale Renditen bieten. Außerdem ist die russische Zentralbank im Straffungszyklus bereits weiter
fortgeschritten.  Unternehmensanleihen  aus  den  Schwellenländern halten wir für besonders attraktiv. Für diese in US-Dollar denominierten Anleihen sprechen eine kurze Duration und
Ausfallraten,  die  dank  steigender  Rohstoffpreise  niedrig  bleiben dürften.  
 
Im Währungsbereich gehen wir davon aus, dass der US-Dollar stark bleibt,  während  sich  das  Pfund  Sterling  abschwächen  wird,  denn die britische Wirtschaft könnte Schwierigkeiten haben, die
Zinsanhebungen und die Straffung der Fiskalpolitik zu bewältigen. Andere  Währungen  wie  der  Euro  und  der  Schweizer  Franken sollten sich in einer Spanne gegenüber dem Dollar entwickeln.