Wie Chipfabrikanten Deutschland erpressen
Die Halbleiterindustrie gilt als Zukunftstechnologie überhaupt. Deswegen unternehmen Scholz, Lindner, Habeck und Co. alles, um diese Branche in Deutschland auszubauen. Die Unternehmen sehen das gern und kennen bei ihren Forderungen keine Grenzen: Eine Millionen Euro Zuschuss vom Staat pro Arbeitsplatz gilt schon fast als normal.
Die Halbleiterindustrie gilt als Zukunftstechnologie überhaupt. Deswegen unternehmen Scholz, Lindner, Habeck und Co. alles, um diese Branche in Deutschland auszubauen. Die Unternehmen sehen das gern und kennen bei ihren Forderungen keine Grenzen: Eine Millionen Euro Zuschuss vom Staat pro Arbeitsplatz gilt schon fast als normal.
Wie erpressbar sind die deutschen Wirtschaftspolitiker? Um die Antwort auf diese Frage ringen gerade die Bundesregierung mit dem Kanzler an der Spitze und dem Finanz-, sowie dem Wirtschaftsminister im Gefolge auf der einen Seite, und US-Konzerne wie Wolfsspeed und Intel auf der anderen Seite. Es geht, und das macht es so schwierig für die Politik, um ein Lieblingsprojekt der Regierenden: den Bau von Chipfabriken in Deutschland. Weil die als zukunftsträchtig gelten und unbedingt nach Deutschland sollen, versüßt die Bundesregierung bauwilligen Konzernen ihr Vorhaben mit Milliarden-Beihilfen. Das wiederum weckt die Gier der Unternehmen nach mehr: Wo ein paar Milliarden an Subventionen möglich sind, sind auch noch mehr drin, sagen sie sich und pokern hoch.
Im Saarland ließ es sich Kanzler Olaf Scholz im Februar nicht nehmen, persönlich vorbeizukommen. Dort, in Ensdorf auf dem Gelände eines ehemaligen Kohlekraftwerks, soll für mehr als zwei Milliarden Euro eine Halbleiterfabrik für Chips aus Siliziumkarbid entstehen – in Kooperation zwischen dem US-Konzern Wolfspeed und dem Unternehmen ZF. Warum die Amerikaner ins Saarland kommen: „Die Regierung ist hungrig auf uns“, erklärte Wolfspeed-Chef Gregg Lowe, als der Kanzler vorbeischaute. Wieviel Milliarden an Steuergeld von Bund und Land an den Investor fließen, damit der den Hunger stillen kann, dazu schweigen die Beteiligten derzeit.
Während im Saarland noch alles im Lot sein soll, ist ein noch größeres Projekt im sachsen-anhaltinischen Magdeburg bereits aus dem Ruder gelaufen. Dort wollte Wolfspeed-Konkurrent Intel bereits mit dem Bau einer Chip-Fabrik begonnen haben. Das entsprechende Grundstück sei gekauft und bezahlt, versicherte Intel-Vorstandsmitglied Keyvan Esfarjani kürzlich und kündigte den Baubeginn nun „vielleicht“ für das Jahr 2024 an. Sein Chef Pat Gelsinger allerdings warnte vergangene Woche die Magdeburger vor zu viel Optimismus. „Ohne klarere Zusagen von Kunden werde ich nicht mehrere Milliarden Dollar in die Ausrüstung für Chip-Fabriken stecken.“ Die finanzielle Unterstützung der Bundesregierung sei, so sagt auch Esfarjani, angesichts der unsicheren Nachfrage „ein Schlüsselfaktor" für Intel.
Klar wird damit, worum es in Sachsen-Anhalt geht und was dem Saarland hoffentlich nicht noch blühen wird: Hinter den Kulissen wird mit harten Bandagen um Milliarden-Subventionen gerungen. In Magdeburg verlangt Intel nach unbestätigten Berichten statt der ursprünglich vereinbarten 6,8 Milliarden Euro inzwischen zehn Milliarden als Unterstützung. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat daraufhin erklärt, dass der Bund das Anliegen prüfe. Der Minister nahm aber auch das hässliche „E-Wort“ in den Mund: Der Staat lasse sich nicht erpressen sagte er.
Damit ist die Euphorie in Ostdeutschland endgültig verflogen. Sie war ausgebrochen, als der zweitgrößte Chiphersteller der Welt im vergangenen Frühjahr angekündigt hatte, in der strukturschwachen Region 17 Milliarden Euro zu investieren, um ein Halbleiter-Werk zu errichten, das inklusive Zulieferern insgesamt 10.000 Arbeitsplätze entstehen lassen könnte. Inzwischen locken vor allem die USA selbst mit hohen Fördermitteln. Ein regelrechte Subventionswettlauf zwischen der EU und den USA ist ausgebrochen. Die USA drängen dabei an die Spitze der weltweiten Chipindustrie. Bis Mitte des Jahrzehnts werden die Chipkonzerne mehr als 122 Milliarden Dollar in neue Werke in Amerika stecken, zeigt eine Auswertung des Lieferkettenspezialisten Everstream.
Der Bauboom führt zu einer Kräfteverschiebung auf dem Chipmarkt. Amerika gewinnt an Gewicht, Europa hat Mühe hinterherzukommen: In der EU gehen Everstream zufolge bis 2025 lediglich Fabriken mit einem Investitionsvolumen von 32 Milliarden Dollar in Betrieb. Dabei hat sich die EU zum Ziel gesetzt, bis 2030 ihren Anteil an der weltweiten Chipproduktion auf zwanzig Prozent zu verdoppeln. Sowohl die USA als auch Europa wollen sich möglichst unabhängig von Importen machen. Die Bauelemente bewerten sie als die Basis für eine moderne Industrie, sie stecken in den Fliegern von Airbus und Boing, wie in den Elektro-SUVs von Mercedes und den iPhones vom Apple.
In Europa steht das Fördergeld allerdings noch nicht wirklich bereit. Projekte wie das im Saarland und das in Sachsen-Anhalt zählen in der EU zu den wichtigen Vorhaben von europäischem Interesse (Important Project of Common European Interest, kurz: IPCEI). Im Bundeshaushalt stehen dafür „mehrere Milliarden Euro zur Verfügung“, heißt es vom Wirtschaftsministerium. Das Unangenehme ist jedoch: Ob die nationalen Beihilfen wirklich erlaubt sind, prüft die EU noch. Die Unternehmen können deswegen derzeit nur auf eigenes Risiko mit den Projekten starten – und da hat zumindest Intel Vorbehalte. Seitens des Unternehmens wird auf die stark gestiegenen Energiekosten verwiesen, die das Projekt verteuerten. Aber auch diese Aussage dürfte Teil des Pokerspiels sein, da die maximale Förderhöhe von den Eckwerten des Projekts abhängt. Ein Bauherr hat deswegen den Anreiz im Vorfeld möglichst hoch zu kalkulieren, um mehr Förderung zu bekommen.
Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) kritisierte inzwischen die Forderung von Konzernen wie Intel nach mehr staatlicher Unterstützung beim Bau von Fabriken scharf. „Wir werfen das Geld zum Fenster raus“, warnte er und nannte eine weitere Ansiedlung: Die von Infineon in Dresden. Der deutsche Halbleiterhersteller will dort für fünf Milliarden Euro eine weitere Fabrik bauen und so den vorhandenen Standort erweitern. Auch Infineon hält die Hand auf. Subventionen von einer Million Euro für jeden Arbeitsplatz seien schlicht zu viel, rechnet Gropp nun mit Blick auf Infineon vor. „Warum sollte man so profitablen Unternehmen noch Geld geben? Es dürfen keine Geschenke verteilt werden", kritisierte der Wissenschaftler. Tatsächlich peilt der neue Infineon Vorstandschef Jochen Hanebeck eine Gewinnmarge von 25 Prozent an, was im Industrievergleich viel, im direkten Konkurrenzvergleich jedoch normal ist.
Oliver Stock
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