Wie Politik und Notenbank die Inflation kleinreden
Entgegen aller Voraussagen zum Jahresbeginn steigt die Inflation weiter und weiter. Sie bedroht damit das Vermögen von Sparern und das Einkommen der Rentner. Doch weder die EZB noch die Politik steuert um. Dabei gibt es Möglichkeiten, sich vor der Inflation zu schützen.
Entgegen aller Voraussagen zum Jahresbeginn steigt die Inflation weiter und weiter. Sie bedroht damit das Vermögen von Sparern und das Einkommen der Rentner. Doch weder die EZB noch die Politik steuert um. Dabei gibt es Möglichkeiten, sich vor der Inflation zu schützen.
Es ist nur wenige Monate her, es war im Mai, da wurde Isabel Schnabel gefragt, wie sie die Inflation in Deutschland und Europa einschätzt. Die Antwort der Direktorin der Europäischen Zentralbank (EZB) lautete: „In Deutschland rechnen wir damit, dass es durchaus zu einer Inflation kommen kann, die größer ist als drei Prozent.“ Das sei kein Grund gegenzusteuern. „Unsere geldpolitische Strategie ist mittelfristig ausgerichtet und das bedeutet, dass wir durch all diese kurzfristigen Schwankungen hindurchschauen.“
Ob es mit dem „Hindurchschauen“ getan ist, wird allerdings von Tag zu Tag ungewisser. Inzwischen nämlich sind die geschätzten mehr als drei Prozent Inflation Schnee von gestern. Die Ökonomen des Münchner ifo-Instituts legten Ende vergangener Woche eine Prognose vor, in der von mehr als vier Prozent die Rede ist. Offenbar hatte die EZB-Direktorin im Mai etwas zu tiefgestapelt.
Die EZB hat tiefgestapelt
Wer jetzt glaubt, die entgegen jeder Prognose stärken anziehende Inflation, löse Nachdenklichkeit aus, irrt. Rezepte gegen die sich beschleunigende Geldentwertung sind derzeit Mangelware. Das gilt bei den Hütern des Geldwerts selbst, die so wie Bundesbank-Präsident Jens Weidmann Beruhigungspillen verteilen und von „vorübergehenden Effekten“ reden. Das gilt aber auch für die Politiker aller Parteien, deren Aufgabe es wäre, Sparer und Rentner vor den Folgen der Geldentwertung zu schützen. Mit Rücksicht auf die Unabhängigkeit der Zentralbank adressieren sie das Thema lieber nicht. Nur die AfD malt ein Horrorszenario an die Wand, spricht in ihrem Wahlprogramm von „wirtschaftlicher Depression und massiver Teuerung“ und schlägt als Lösung einen Ausstieg aus dem EZB-System vor. Was das helfen soll, angesichts einer Teuerung, die in den meisten Industriestaaten derzeit zu den gleichen Sorgen führt, weiß wahrscheinlich nicht einmal die Partei selbst.
Wie „vorübergehend“ sind die Gründe wirklich, die zu der steigenden Inflation führen? Es gibt vier Treiber, die die Inflation derzeit in solch lichte Höhen führen, wie sie die Deutschen letztmals 1993 erlebt haben, als die Kosten der Wiedervereinigung die Preise in die Höhe trieben. Der erste Treiber geht tatsächlich vorüber. Er besteht nämlich schlicht aus einem statistischen Effekt: Die Bundesregierung hatte im zweiten Halbjahr 2020 die Mehrwertsteuer befristet gesenkt, um den Konsum in der Pandemie anzukurbeln. Die Anhebung auf das vorherige Niveau zu Beginn des Jahres schlägt sich in steigenden Preisen und damit in höherer Inflation nieder, was ein einmaliger Effekt ist, der nach Einschätzung von Ökonomen wie Holger Schmieding vom Bankhaus Berenberg für einen Prozentpunkt Inflation verantwortlich ist.
Die Inflationstreiber sind langfristig
Die anderen drei Gründe allerdings sind mitnichten einmalig. Vor allem höhere Energiepreise verteuern das Leben. Sie sind allerdings politisch gewollt, um eine Wende in Richtung nachhaltiger Energieversorgung zu erreichen. Politiker fast aller Parteien wollen an dieser Schraube weiterdrehen. Dritter Grund für die steigende Inflation ist die Nullzinspolitik der EZB. Sie verleitet die Menschen, das Geld, das sie sonst zinsbringend angelegt hätten, in den Konsum zustecken, was wiederum die Teuerungsrate anheizt. Um die Schulden der Länder in der EU beherrschbar zu machen, kann die EZB allerdings keinen großen Zinssprünge machen. Sie wird aller Voraussicht nach, bei einem Zinssatz nahe null bleiben. Der Zins als Instrument gegen steigende Preise ist damit unbrauchbar geworden.
Der vierte Grund für die Preissteigerung hängt damit eng zusammen: Wenn die Nachfrage steigt, wird das Angebot teurer. Wer derzeit einen Mietwagen bucht, wer versucht in der Großstadt eine Mietwohnung für die Familie zu finden oder wer ins gerade wiedereröffnete Restaurant essen gehen möchte, erlebt Preissteigerungen live und zum Zuschauen. Engpässe bei Rohstoffen verteuern die Angebotspreise zusätzlich.
Es steht damit drei zu eins dafür, dass die Inflation weiter ein Niveau erreicht, das alles andere als verträglich ist. Dazu kommt: Die „gefühlte“ Inflation fällt für manch einen deutlich höher aus, als die statistisch gemessene Teuerungsrate. Während sich die Statistiker an einen so genannten Warenkorb halten, in dem von Fleisch bis Benzin, von Mieten bis Friseurbesuche und Autokäufe alles einfließt, erlebt jeder einzelne die Teuerungsrate so, wie es seinen Lebensgewohnheiten entspricht: Wer viel tankt, merkt höhere Benzinpreise stärker im eigenen Geldbeutel, als derjenige, der viel Bahn fährt.
Wer sich gegen die Teuerung schützen möchte, dem bleibt nur, sein Geld so anzulegen, dass es mit der Inflation zunimmt: Immobilien, bestimmte Rohstoffe und Aktien sind Anlageformen, in denen die Inflation einkalkuliert ist. Die Politik müsste also einen Schwerpunkt ihrer Arbeit darauflegen, diese Instrumente zu fördern. In den Wahlprogrammen finden sich dazu jedoch bei den meisten Parteien nur zarte Ansätze, bei der SPD und den Linken ist gar keine Rede davon.
Den Parteien fehlen die Rezepte
Union und Grüne denken vor allem im Zusammenhang mit der Altersvorsorge über Kapitalmarkt basierte Sparmodelle nach. „Wir werden prüfen, wie man die Generationenrente mit einem staatlichen Monatsbeitrag zur Anlage in einem Pensionsfonds ausgestalten kann“, verspricht die Union vage in ihrem Wahlprogramm. „Gerade in Zeiten niedriger Zinsen sind unterschiedliche Anlageformen gefragt, um attraktive Renditen zu erzielen“, hat sie erkannt.
Die Grünen sprechen von einem „öffentlich verwalteten Bürgerfonds“, der nachhaltig investieren soll und aus dem Renten gespeist werden könnten.
Forscher zur Sache geht die FDP: Sie will, dass Gewinne aus Aktienverkäufen nur bei einer Haltedauer von weniger als drei Jahren besteuert werden und nicht darüber hinaus. „Die langfristige Kapitalanlage in Unternehmen soll attraktiver gestaltet werden, damit mehr Menschen beim Sparen und bei der Altersvorsorge an den Wachstumsgewinnen teilhaben können“, heißt es im Wahlprogramm. Dazu schlägt die FDP eine „gesetzliche Aktienrente“ vor. Zwei Prozent des Bruttoeinkommens könnten in eine langfristige, chancenorientierte und kapitalgedeckte Altersvorsorge angelegt wird, die als Fonds unabhängig verwaltet wird.
Oliver Stock