Wohnimmobilien: Licht am Ende des Tunnels?
Angesichts einer nachlassenden Inflation ist eine Erholung bei deutschen Wohnimmobilienaktien möglich. Sicherlich wird die Zinswende bei der EZB noch dauern, aber die Leitzinserhöhungen fangen an zu wirken, und auch die Entspannung bei den Energiekosten wirkt unterstützend. Eine vom Markt antizipierte Korrektur bei den Immobilienpreisen von 30 Prozent erscheint vor diesem Hintergrund übertrieben, zumal die Wohnungsknappheit sich weiter verschärft.
Angesichts einer nachlassenden Inflation ist eine Erholung bei deutschen Wohnimmobilienaktien möglich. Sicherlich wird die Zinswende bei der EZB noch dauern, aber die Leitzinserhöhungen fangen an zu wirken, und auch die Entspannung bei den Energiekosten wirkt unterstützend. Eine vom Markt antizipierte Korrektur bei den Immobilienpreisen von 30 Prozent erscheint vor diesem Hintergrund übertrieben, zumal die Wohnungsknappheit sich weiter verschärft.
Von Hagen Ernst, stellv. Leiter Research DJE Kapital AG
Der Neubau sollte in den kommenden Jahren auf sehr niedrigem Niveau verharren, während der Zuzug auch aufgrund des Flüchtlingsstroms aus der Ukraine auf Rekordniveau anhält.
Deutsche Wohnimmobilienaktien unter Druck
Deutsche Wohnimmobilienaktien sind im letzten Jahr stark unter Druck geraten. Hauptbelastungsfaktor waren die gestiegenen Zinsen. Die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen – am Jahresanfang noch negativ – stiegen auf 2,5 Prozent und notieren aktuell bei 2,2 Prozent. Die Zinskosten für ein zehnjähriges Hypothekendarlehen liegen demnach aktuell zwischen 3,5 und vier Prozent. Ebenfalls belastend wirkte sich aus, dass jahrelang die Immobilienpreise stärker als die Mieten gestiegen sind. Dementsprechend sind die Nettoportfoliorenditen der gelisteten Wohnimmobilienbestandshalter auf drei bis vier Prozent abgeschmolzen. Die Finanzierungskosten liegen zwar noch bei deutlich unter zwei Prozent (LEG 1,26 Prozent; TAG 1,62 Prozent; Vonovia 1,3 Prozent) und haben zudem eine relativ lange Duration (LEG 6,8 Jahre, TAG 5 Jahre, Vonovia 7,5 Jahre). Sollten aber die Zinssätze auf dem hohen Niveau verharren oder gar noch steigen, wären diese ähnlich hoch wie die Portfoliorenditen.
Fallende Immobilienpreise scheinen unausweichlich zu sein. Aktuell sind die Verschuldungsquoten zwar noch moderat (Portfoliobeleihungswert bei 42 Prozent für LEG, 45 Prozent für TAG, 43 Prozent für Vonovia), mit Portfolioabwertungen werden jedoch auch diese steigen.
Bereits im letzten Jahr kippte der Immobilienmarkt. Das Angebot an Immobilien ist deutlich höher als die Nachfrage: Das führende Immobilienportal Immoscout24 verzeichnete einen Anstieg um 49 Prozent bei Verkaufsinseraten im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr. Zudem weitet sich die Schere zwischen Kaufpreisvorstellung von Verkäufern und Käufern deutlich aus.
Anzeichen für eine Trendwende bei Immobilienaktien mehren sich
Bereits in der zweiten Jahreshälfte 2022 gab es zudem erstmals wieder Preisrückgänge in einigen Regionen. Für dieses Jahr erwarten Experten einen Preisrückgang von fünf bis zehn Prozent. Dennoch mehren sich die Anzeichen einer Trendwende bei Immobilienaktien. Die Inflation verharrt zwar in den USA sowie in Europa auf hohem Niveau, jedoch ist sie besonders in den USA bereits seit einigen Monaten rückläufig. So sank die Kerninflation – ohne Nahrungsmittel und Energie – in den USA auf 5,7 Prozent im Dezember. In Deutschland ist die Kerninflation seit Oktober bei fünf Prozent stabil geblieben (leichter Anstieg im Dezember auf 5,2 Prozent). Sicherlich wird es noch dauern, bis in den USA und später bei der EZB die Zinswende eingeleitet wird, jedoch wirken die Zinserhöhungen, und die Inflation lässt nach. Eine Zinswende im Laufe der zweiten Jahreshälfte scheint daher möglich. Dementsprechend kam es jüngst weltweit zu einer Erholung bei Immobilienaktien. Vor allem die stark gefallenen deutschen Wohnimmobilienwerte konnten von der nachlassenden Inflation und der Hoffnung einer baldigen Zinswende profitieren.
Trotz Erholung sind die Bewertungen der Aktien immer noch sehr niedrig
Die Abschläge der Aktien zum inneren Nettovermögenswert NTA (Net Tangible Asset) sind weiter sehr hoch (bei LEG 55 Prozent vom NTA, bei TAG 64 Prozent, bei Vonovia 57 Prozent). Oder anders ausgedrückt: Der Markt antizipiert immer noch Bewertungskorrekturen von 25 bis 30 Prozent auf die entsprechenden Wohnportfolios der gelisteten Gesellschaften. Dies könnte sich jedoch als übertrieben herausstellen. Vieles spricht dafür, dass die Expertenschätzungen eines Preisverfalls von fünf bis zehn Prozent eher zutreffen. Dr. Gesa Crockford, Geschäftsführerin von Immoscout24, erwartet sogar keinen nachhaltigen Preisrückgang und glaubt, dass es sich eher um eine Preiskorrektur von kurzer Dauer handelt. Sie rechnet mittelfristig wieder mit einer Verknappung des Angebots. Saisonbereinigt scheint die Nachfrage für Kaufimmobilien im 3. Quartal 2022 die Talsohle erreicht zu haben. Im 4. Quartal 2022 stieg die Nachfrage bereits wieder in vier der fünf größten Städte (einzige Ausnahme: Köln). Es ist aber auch gut möglich, dass Experten den Zinseffekt unterschätzen beziehungsweise dass der Markt ihn überschätzt und die Wahrheit irgendwo dazwischen (zum Beispiel 20 Prozent) liegt. Letztendlich dürfte eine Stabilisierung beim Zinsumfeld der entscheidende Faktor für eine Stabilisierung des Immobilienmarkts sein.
Deutsche Neubauaktivität deutlich rückläufig
Hauptargument für einen nur moderaten Rückgang der Nachfrage ist eine nie dagewesene Wohnungsknappheit. Es fehlen derzeit mehr als 700.000 Wohnungen. Vor allem in gefragten Ballungszentren ist die Wohnungssuche schwierig, und es werden immer weniger Wohnungen gebaut. Steigende Zinsen und Baukosten (aktuell plus 17 Prozent) haben zu einem Einbruch bei Neubauprojekten geführt. Im Jahr 2022 wurde das Neubauziel der Bundesregierung von 400.000 Wohnungen klar verfehlt. Das Ifo-Institut geht von 290.000 aus. Für 2023 und in den kommenden Jahren sei demnach der Neubau von 200.000 bis 250.000 Wohnungen eine realistische Zahl. Der Tiefpunkt könnte 2024 erreicht sein. Erschwerend kommt hinzu, dass zwischen Projektbeginn bis Fertigstellung etwa 18 bis 24 Monate vergehen. Dies bedeutet: Selbst wenn jetzt mehr Neubauprojekte begonnen werden, ist frühestens im Jahr 2025 mit einer Entspannung beim Wohnungsmangel zu rechnen. Zudem ist infolge des Ukrainekriegs der Zuzug rasant gestiegen. Mit einer Nettozuwanderung laut Statistischem Bundesamt von mehr als 1,3 Millionen Menschen bis Oktober 2022, davon allein 860.000 aus der Ukraine, ist diese schon höher als in der Flüchtlingskrise 2015. Zwar ist der Mietmarkt in Deutschland stark reguliert, jedoch steigt auch der Druck auf die Mieten. So beschleunigte sich das Mietwachstum bei Neuvermietungen im 3. Quartal nach einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) auf 5,8 Prozent bzw. laut Immoscout auf 4,1 Prozent im 4. Quartal. Da der Mietspiegel auf einem Betrachtungszeitraum von sechs Jahren basiert, wird es allerdings dauern, bis Wohnungsgesellschaften vom höheren Mietwachstum profitieren können. Neben der Wohnungsknappheit wirken die gestiegenen Baukosten (aktuell plus 17 Prozent, Tendenz fallend) stabilisierend auf die Immobilienpreise. Weniger Neubauten und eine größere Preisdifferenz zwischen Neubau- und Bestandsimmobilien spielen in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle. Hauptargument für fallende Immobilienpreise sind die niedrigen Nettorenditen der Portfolios der Bestandshalter (zwischen drei und vier Prozent) im Vergleich zum jetzigen gestiegenen Zinsniveau (zwischen 3,5 und vier Prozent bei einer Refinanzierung auf zehn Jahre). Es muss allerdings auch berücksichtigt werden, dass sich die Bestandsmieten nur sehr langsam an die Marktmieten anpassen. Aktuell liegen die Nettokaltmieten der gelisteten Wohnungsgesellschaften 20 bis 30 Prozent unter den Marktmieten (LEG mit Fokus auf Nordrhein-Westfalen bei 6,3 Euro/qm, TAG mit B-Städten und Ostdeutschland bei 5,7 Euro/qm sowie Vonovia mit Ballungsräumen und bedingt durch die Deutsche Wohnen-Übernahme Berlin bei 7,5 Euro/qm). Bezogen auf das Marktmietniveau lägen die Mietrenditen schon eher bei fünf Prozent. Auch waren extreme Preisrückgänge in der Vergangenheit selten zu beobachten. Nur in der US-Subprimekrise 2008 sowie in der japanischen Häuserblase 1990 waren Preisrückgänge von mehr als 20 Prozent zu verzeichnen.