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Gaskrise: Die Industrie hat geliefert

Die Versorgungslage beim Gas hat binnen kurzer Zeit seit Beginn des Ukraine-Krieges Krisenstatus erreicht. Die Lage ist mehr als angespannt, auch wenn die Gasspeicher noch gefüllt sind. Doch die Industrie gibt nun Anlass zur Hoffnung: Sie hat den Verbrauch drastisch gesenkt, ohne dass die Produktion darunter nennenswert leiden musste.

(Foto: Sven Simon_Frank Hoermann / Picture Alliance)

Die Versorgungslage beim Gas hat binnen kurzer Zeit seit Beginn des Ukraine-Krieges Krisenstatus erreicht. Die Lage ist mehr als angespannt, auch wenn die Gasspeicher noch gefüllt sind. Doch die Industrie gibt nun Anlass zur Hoffnung: Sie hat den Verbrauch drastisch gesenkt, ohne dass die Produktion darunter nennenswert leiden musste.

Von Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege Fidelity International

Die Gaskrise hat Europa fest im Griff, der Winter steht vor der Tür. Auswirkungen auf die Volkswirtschaft sind bereits deutlich spürbar. Ausnahmslos alle sind aufgerufen, den Verbrauch, wo es eben geht, zu senken – Unternehmen wie private Haushalte. Bei den Unternehmen sehen sich vor allem kleinere Betriebe teilweise nicht mehr imstande, die hohen Energiekosten über Preiserhöhungen auszugleichen. Bäckereien, die wegen drohender hoher Verluste aufgeben, füllten in den vergangenen Wochen die Schlagzeilen.

Was bislang noch weit weniger in der breiten Öffentlichkeit angekommen ist: Die Industrie hat in den vergangenen zwei Monaten vorgemacht, wie sie mit dem teuren Gas umgehen kann – und den Verbrauch um über 20 Prozent gesenkt. Die Einsparungen haben sich bislang kaum negativ ausgewirkt, berichtet das ifo-Institut1, das sich in einer neuen wissenschaftlichen Analyse mit möglichen Lieferengpässen, der Preisentwicklung beim Erdgas und dem Einspar- und Substitutionspotenzial bei Industrie und Haushalten befasst.

Die Analyse liefert einen kompakten Überblick über verschiedene neue Studien, die sich jüngst mit den Auswirkungen eines vollständigen Lieferstopps von russischem Gas befasst haben. Der Recherche des ifo-Instituts zufolge ist klar: Schöpfen Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen, der öffentliche Bereich sowie Privathaushalte ihr Einsparpotenzial aus, wäre ein dauerhafter Stopp von russischen Gaslieferungen zu verkraften. Die Industrie ist schon auf dem Weg, hier ihre Hausaufgaben zu machen. Nun sind auch die anderen am Zug.

Senkung der Nachfrage über den Preis

Weitere Erkenntnis: Der Preismechanismus wirkt. Hohe Gas-Kosten senken die Gas-Nachfrage offenbar signifikant. Bei der Frage, wie stark sich der Gasverbrauch nach unten anpassen lässt, wenn der Preis steigt, kommt die Preiselastizität ins Spiel. Diese Kennziffer stellt dar, um wie viel Prozent sich die Nachfrage senkt, wenn der Preis um ein Prozent steigt. Beim privaten Gasverbrauch liegt diese Elastizität stets bei etwa 0,2. Mit anderen Worten: Bei einer Preissteigerung von 30 Prozent im vergangenen halben Jahr ist die Nachfrage bei Verbrauchern um sechs Prozent zurückgegangen.

Die Industrie hat ihren Verbrauch und damit ihre Nachfrage schon viel drastischer reduziert. Sie hat laut Bundesnetzagentur2 innerhalb der vergangenen sechs Monate 13 Prozent weniger Gas eingesetzt, in den Sommermonaten Juli und August gar mehr als 20 Prozent. Womöglich haben die Unternehmen für Engpässe vorgesorgt, indem sie alternative Energiequellen nutzen. Womöglich wurde für die Produktion zuvor aber auch billiges Gas verschwendet und es kam zur Überproduktion. Im letzten Falle würde ein Auktionsmodell, wie es aktuell vorbereitet wird, der Industrie in die Hände spielen. Denn Unternehmen könnten dann künftig überschüssiges Gas gewinnbringend versteigern.

Substitution russischer Erdgaslieferungen

Bei allen Sparbemühungen: Die Preiselastizität der Nachfrage lässt irgendwann nach, denn auch Sparsamkeit hat Grenzen. Ist der Kühlschrank erst mal abgetaut, sind die Thermostate runtergeregelt und bleibt die Dusche kalt, wird weiterer Verzicht schwer.

Europa wird daher in den kommenden Jahren auch nicht gleich komplett vom Gas unabhängig werden, sondern erst mal nur von solchem russischen Ursprungs. Vorrangig geht es an den Ausbau der Netz- und Flüssiggasinfrastruktur, um LNG-Terminals und Fracking, sowie um den Bau neuer Pipelines, um andere Lieferanten zu erschließen.

Die komplette Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern liegt jedenfalls noch in weiter Ferne, vorerst gilt „Sicherheit vor Klimaschutz“ wie ich schon im Mai hier3 schrieb. Aber: Der Energiesparwinter könnte unsere Klimabilanz etwas aufhellen. Das wäre immerhin ein positiver Nebeneffekt in einer durchaus komplizierten Lage.

Fazit

Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen, der öffentliche Bereich sowie Haushalte sind gleichermaßen gebeten, ihren Gasverbrauch so stark wie möglich zu senken, denn Einsparungen könnten eine tragende Rolle spielen, um über den Winter zu kommen. Wie viel hier geht, hat die Industrie in den vergangenen beiden Monaten vorgemacht. Nun sind im Herbst auch die anderen in der Pflicht.