Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Rohstoffe >

Warum Gold jetzt auf 1.800 Dollar steigen könnte

Gold ist so teuer wie seit sechs Jahren nicht mehr. In unruhigen Zeiten gilt das Edelmetall als sicherer Hafen für Anleger. Wie lange hält die Rally?

BÖRSE am Sonntag

Gold ist so teuer wie seit sechs Jahren nicht mehr. In unruhigen Zeiten gilt das Edelmetall als sicherer Hafen für Anleger. Wie lange hält die Rally?

Von Nitesh Shah, Director - Research, WisdomTree

Der Goldpreis hat in den vergangenen zwei Monaten um 14 Prozent zugelegt. Der Zuwachs geht mit einem plötzlichen Renditerückgang bei US-Staatsanleihen und einer verstärkten Nachfrage nach sicheren Anlagen einher. Wie wir in unserer Analyse „Goldmarkt als Maß aller Dinge“ ausführten, haben die steigenden Spannungen zwischen den USA und China in Form von Handels- und Währungskonflikten auf dem Markt für Nervosität gesorgt, wodurch sich wiederum die Nachfrage nach sicheren Anlagen erhöht hat. Sowohl der Markt als auch die Trump-Regierung scheinen die US-Notenbank (Fed) zum Handeln gezwungen zu haben. Die Zornanfälle auf dem Markt haben die Entscheidungen der Fed klar beeinflusst: Die Zentralbank passte ihren geldpolitischen Kurs an, nachdem die Aktienmärkte zu Beginn dieses Jahres ins Wanken geraten waren. Die unentschlossene Vorgehensweise der Trump-Regierung beim Krisenthema Handel hat ebenso dazu geführt, dass die Fed eine Zinssenkung, quasi als „Versicherung“, durchgeführt hat. Die Fed Fund Futures zeigen, dass die Marktteilnehmer weitere Zinssenkungen im Laufe des Jahres erwarten, und dies wird die Renditen von US-Staatsanleihen voraussichtlich auf einem niedrigen Niveau halten.

Der Ausblick auf die Wirtschaft, die Zinsen und die Währungskurse hat sich seit der Veröffentlichung unseres Goldausblicks im vergangenen Monat ganz offensichtlich verändert. Im Folgenden bieten wir einen aktualisierten Ausblick für das Edelmetall und fokussieren uns auf ein Szenario, in dem die Unsicherheit im geopolitischen Bereich und auf den Finanzmärkten auf einem erhöhten Niveau verbleibt.

Prognose des Basisszenarios

Unserer neuen Prognose für das Basisszenario zufolge steigt der Goldpreis im zweiten Quartal 2020 auf 1550 US Dollar pro Unze – ein Plus gegenüber einem Wert von 1500 US Dollar Mitte August 2019. Diese Prognose basiert darauf, dass die Renditen für 10-jährige US-Staatsanleihen und der US-Dollar-Korb sich auf ihren aktuellen Ständen von 1,65 Prozent bzw. 97 halten. Unseren Erwartungen nach wird die Inflation bei rund 1,8 Prozent liegen. Obwohl ein negativer Preisdruck unseres Erachtens nicht unmittelbar bevorsteht, wäre eine über diesem Stand liegende Inflation nicht mit den Zinssenkungen der Fed vereinbar. Den Daten der Commodity Futures Trading Commission (CFTC) zufolge befindet sich die spekulative Positionierung auf dem Markt für Goldtermingeschäfte mit 346.000 Kontrakten netto long auf einem stark erhöhten Niveau. Dieser Stand liegt nur knapp unter dem Allzeithoch von 348.000 Kontrakten netto-long vom Juli 2016. Die Marktstimmung hat sich bei Gold innerhalb kurzer Zeit sehr schnell geändert. Im November 2018 war die Stimmung bei dem Metall so schwach, dass die spekulative Positionierung netto short ausfiel. Da sich die Positionierung nie lange auf einem so hohen Stand wie dem heutigen gehalten hat, fahren wir die Positionierung in unserem Basisszenario auf bescheidenere 120.000 Kontrakte netto long zurück.

Was, wenn sich die spekulative Positionierung auf einem hohen Niveau hält?

In unserem Basisszenario sind wir konservativ und senken die spekulative Positionierung auf einen Stand, der sich am langfristigen Durchschnitt orientiert. Doch was, wenn die spekulative Positionierung bis ins zweite Quartal 2020 so hoch bleibt wie heute (also bei 346.000 Kontrakten netto long)? Unser Modell zeigt, dass dies die Goldpreise auf fast 1815 US Dollar pro Unze. treiben würde.

Mehrere geopolitische und finanzielle Risiken haben die Positionierung in Gold auf ein erhöhtes Niveau getrieben:

•    Die Handelsgespräche zwischen den USA und China sind zum Stillstand gekommen, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit eines größeren Protektionismus zwischen den beiden wirtschaftlichen Supermächten erhöht.

•    Die Befürchtungen des Markts, dass die Fed bei angespannten Arbeitsmärkten und einer nicht nachgebenden Inflation mit einer Lockerung der Geldpolitik einen Fehler begeht.

•    Die steigende Wahrscheinlichkeit eines harten Brexits unter dem neuen britischen Premierminister.

•    Zunehmende Kontroversen im Nahen Osten, da der Iran die Anreicherung von Uran über den im Rahmen des Nuklearabkommens erlaubten Mengen fortsetzt. Angriffe auf Frachtschiffe um die Straße von Hormus – die von einem Drittel des weltweit auf dem Seeweg transportierten Öls passiert wird – haben die Spannungen in der Region nach der Verhängung von Strafsanktionen gegen Teheran durch die Trump-Regierung zusätzlich verschärft.

•    Die argentinische Wirtschaft und die Aktien-/Anleihenmärkte befinden sich erneut in der Krise, was Ängste über einen größeren Ausverkauf im Bereich Emerging Markets verbreitet.

•    Erneut aufflammende politische Unsicherheit in Italien aufgrund eines Misstrauensantrags gegen den amtierenden Premier.
Politische Unruhen in Hongkong, wo der Widerstand gegen ein Auslieferungsgesetz, nach dem das Gerichtsverfahren gegen mutmaßliche Straftäter in Festlandchina vollzogen werden könnte, Forderungen nach breiteren demokratischen Reformen ausgelöst hat.

Obwohl viele dieser Probleme theoretisch schnell gelöst werden könnten, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dies in der Praxis nicht der Fall sein wird. Die Handelsgespräche zwischen den USA und China laufen beispielsweise bereits seit mehr als zwei Jahren ohne klare Lösung, da die Erwartungen beider Seiten offenbar viel zu weit voneinander entfernt liegen. Es ist nicht klar, was für eine Annäherung der beiden Seiten sorgen könnte. Auch beim Brexit scheint es sich um ein unlösbares Problem zu handeln – die Einzelheiten des von der vorherigen britischen Premierministerin May verhandelten Abkommens sind für die derzeitige Regierung unter Johnson unannehmbar und die Europäische Union ist nicht willens, die wichtigsten Stolpersteine zu verhandeln. Da der Iran sich offensichtlich in der politischen Isolation befindet, scheinen die Chancen höher, dass das Land sein Säbelrasseln fortsetzen wird, als sich den Forderungen der USA zu beugen.

Falls sich die geopolitische Lage weiter verschlechtert, könnte die spekulative Positionierung sogar noch weiter steigen. Sollte die Positionierung auf 400.000 Kontrakte netto long ansteigen, könnte der Goldpreis unserem Modell zufolge auf 1875 US Dollar/Unze zulegen – nur einen Hauch unter dem Goldpreis-Allzeithoch von 1900 US Dollar/Unze vom 5. September 2011.