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Go west or stay home?

Die kräftige Korrektur im vierten Quartal 2018 ist auch an den US-Märkten nicht spurlos vorübergegangen. Auf Jahressicht zeigten sich die amerikanischen Börsen jedoch einmal mehr robuster als ihre europäischen Pendants. Für 2019 stehen weiterhin zahlreiche Sorgen für beide Seiten des Atlantiks auf der Agenda. Lohnt sich für rein europäisch orientierte Anleger in diesem Jahr ein Umdenken? Torsten Reidel, Geschäftsführer von Grüner Fisher Investments, analysiert.

BÖRSE am Sonntag

Die kräftige Korrektur im vierten Quartal 2018 ist auch an den US-Märkten nicht spurlos vorübergegangen. Auf Jahressicht zeigten sich die amerikanischen Börsen jedoch einmal mehr robuster als ihre europäischen Pendants. Für 2019 stehen weiterhin zahlreiche Sorgen für beide Seiten des Atlantiks auf der Agenda. Lohnt sich für rein europäisch orientierte Anleger in diesem Jahr ein Umdenken? Torsten Reidel, Geschäftsführer von Grüner Fisher Investments, analysiert.

Wer heute von Europa aus westwärts über den Atlantik blickt, tut dies überwiegend mit Sorge. Zu viele, lange sicher geglaubte Gewissheiten geraten mittlerweile ins Wanken. Zwar haben die Midterm-Wahlen politisch ein Gegengewicht zur Trump-Administration manifestiert, Sorgen vor neuer Unsicherheit wurden damit aber wortwörtlich durch Stillstand ersetzt: „Shutdown“ wurde für weite Teile der Administration zum Synonym für den   Januar.   Der   Regierungsstillstand   ist   nun   fürs   Erste   ausgestanden,   doch   ein tatsächlicher Fortschritt im Haushaltsstreit wurde bisher nicht erreicht. Als Ultima Ratio zieht Präsident Trump selbst einen nationalen Notstand in Erwägung, um sein einstiges Wahlversprechen, den Bau der über 3.100 Kilometer langen Mauer an der mexikanischen
Grenze, umsetzen zu können. Zum Vergleich: Die innerdeutsche Grenze maß knapp 1.400 Kilometer.

Kein Wunder also, dass gerade deutsche Investoren, tendenziell eher am nationalen Markt oder höchstens innerhalb Europas Grenzen aktiv, zurückhaltend bleiben. Die heftige Korrektur im Dezember 2018 hat ihnen verdeutlicht, dass auch die vielgelobten US-Märkte nicht immun gegen plötzlich auftretende Korrekturen sind. Auch wenn der marktbreite US-Aktienindex S&P 500 auf Jahressicht nur 6,2 Prozent verloren hat, in Euro gerechnet sogar nur 1,5 Prozent, fällt es deutschen Anlegern schwer, in der aktuellen Phase Vertrauen zu den Märkten zu fassen. Ihr Sentiment ist generell von Vorsicht geprägt und insbesondere der geliebte Heimatmarkt scheint von Problemen geradezu übersät zu sein. Wie sind Chancen und Risiken im Börsenjahr 2019 abzuwägen, sowohl für die USA als auch für Euroland?

Das Stimmungsbild ist unklarer als in den vergangenen Jahren. Auf der einen Seite gibt es in Europa zahlreiche positive Indikatoren, die für eine Entschärfung vieler bis dato ungeklärter Fragen sprechen. So konnten sich Brüssel und Rom nach zähem Ringen auf einen Haushaltsplan für Italien verständigen, der sowohl wirtschaftlich belastbar ist als auch beiden Administrationen erlaubt, ihr Gesicht zu wahren. Blickt man in die Bilanzen europäischer Unternehmen, so finden sich dort überwiegend solide bis ermutigende Zahlen, von einigen schwarzen Schafen wie Bayer (Stichwort: Monsanto) und der Deutschen Bank (Stichwort: Geldwäsche) einmal abgesehen. Das wirkt sich auch auf das BIP   vieler   Länder   aus.   Trotz   einiger   –   überwiegend   konjunkturell   bedingter   – Wachstumsdellen fiel die Entwicklung doch recht nachhaltig aus. Für Deutschland hat der IWF seine Wachstumsprognose von 1,9 Prozent auf 1,3 Prozent korrigiert – dennoch geht es weiter voran.

Auf der anderen Seite der europäischen Waagschale liegen aber einige politische Unsicherheiten, die es zu berücksichtigen gilt. Insbesondere rückt die Brexit-Deadline unweigerlich näher. Vor dem Hintergrund der weiter anhaltenden Verunsicherung wären viele Anleger bereits dankbar, wenn endlich, endlich eine Entscheidung fallen würde, selbst wenn sie auf den Titel „Hard Brexit“ hören würde. Alle bis auf die glühenden Brexiteers sind sich einig, dass diese Variante die am wenigsten beliebte sein dürfte, aber immerhin würde mit einer Entscheidung endlich die Ungewissheit aus den Märkten verschwinden können. Neben dem Brexit (oder Brexitus?) sollte für Investoren auch die Politik der EZB wieder mehr in den Fokus rücken. Diese dürfte das Ende der unbegrenzten Geldschöpfung,   mit   dem   Ziel,   durch   Anleihekäufe   taumelnde   Staatshaushalte   zu stabilisieren, einläuten und so Auswirkungen auf die Zinsstrukturkurven haben.

In den USA bestimmen ebenso politisch geprägte Sorgen das Bild. Man kann für das Jahr 2019   davon   ausgehen,   dass   rund   um   Donald   Trump   keine   Ruhe   einkehrt.   Der Handelskonflikt mit China hat die Bühne noch nicht verlassen, großes Unbehagen im Zusammenhang mit geldpolitischen Entscheidungen ist ebenso vorhanden. Doch die robusten Fundamentaldaten in den USA sorgen für eine gesunde Basis, die moderate Erwartungshaltung an Unternehmensgewinne schafft neuen Raum für Überraschungen.

Letztendlich ist die Situation für Europa und die USA also ähnlicher als man denkt: Es herrscht eine große Portion Skepsis auf beiden Seiten, doch die Vorzeichen für eine nachhaltige Erholung stehen gut. Fundamentale Stärke, politischer Stillstand und Luft nach oben bei der Marktstimmung. Ein global aufgestelltes Portfolio schafft es, beide Seiten einzufangen und wertvolle Diversifikationseffekte zu erzeugen. Einmal mehr sollte es nicht „USA oder Europa?“, sondern „USA und Europa“ heißen.