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Droht mit der zweiten Welle eine Währungsreform?

Ein erneuter Corona-Ausbruch in Peking schürt die Angst vor der zweiten Welle. Die OECD beschreibt, was dann kommt. Die Auswirkungen könnten bis zu einer Währungsreform reichen.

Der Virus ist zurück: Nachdem wochenlang kaum Ansteckungen gemeldet wurden, hat China plötzlich wieder Dutzende neue Corona-Fälle.

Ein erneuter Corona-Ausbruch in Peking schürt die Angst vor der zweiten Welle. Die OECD beschreibt, was dann kommt. Die Auswirkungen könnten bis zu einer Währungsreform reichen.

Als Chu Junwei, städtischer Beamter des Bezirks Fengtai im südwestlichen Teil der Millionenmetropole Peking am Wochenende vor die Vertreter der örtlichen Fernsehsender, Onlinemedien und Zeitungen trat, wurde es still im Raum. „Der Bezirk“, sagte Junwei, „befinde sich im Kriegszustand.“ Eine neue Welle von Corona-Infektionen habe offenbar ihren Ursprung auf dem Großhandelsmarkt von Peking. Zumindest die westlichen Journalisten unter den Zuhörern mussten unmittelbar daran denken, was zwei Tage zuvor die OECD in Paris veröffentlicht hatte: eine Prognose bis 2021, die ein dunkles Worst-Case-Szenario enthält, falls sich das Virus erneut seinen Weg bahnt.

Der Corvid-Erreger auf dem Lebensmittelgroßmarkt sei auf Schneidebrettern für Lachs entdeckt worden, fügte Chu Junwei hinzu. In der Hauptstadt seien 36 Neuinfektionen nachgewiesen worden – eine hohe Zahl angesichts der Tatsache, dass in den vergangenen zwei Monaten in China die Zahl der Neuinfektionen stets im einstelligen Bereich gelegen hatte. Reisen zwischen den Provinzen sollen umgehend eingeschränkt werden. Die Lebensmittelmärkte der Stadt wurden geschlossen, eine Wiedereröffnung der Grundschulen auf unbestimmte Zeit verschoben. Patrouillen kontrollierten auch Haushalte im weiten Umkreis des Großhandelsmarkts.

Der Ausbruch nährt die Sorgen derjenigen, die seit Wochen vor einer zweiten Welle von Infektionen warnen. Die Börse in Frankfurt reagierte am Montagmorgen ängstlich, die Kurse gaben erneut nach und auch unter den Händlern macht das Szenario die Runde, das die OECD in der vergangenen Woche unter dem Titel „Drahtseilakt für die Weltwirtschaft“ veröffentlicht hatte. Darin entwickelt die Industrieländerorganisation eine Prognose, wie sich die Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte 2020 und im Jahr 2021 darstellen wird. Ihr Ergebnis: Der Niedergang der Wirtschaft übertrifft alle Erfahrungen, die die Welt in Friedenszeiten seit der Großen Depression gemacht hat. Eine Erholung auf Vorkrisenniveau sei in Europa im nächsten Jahr nicht zu erreichen. Allein China, Indien und Südkorea haben laut OECD-Prognose Chancen, sich im Lauf des Jahres 2021 auf den Vorkrisenstand zu steigern. All das gilt aber nur, wenn nicht die zweite Welle kommt. In dem Fall spricht die OECD von einem „Nackenschlag“.

Was das heißt, haben die Ökonomen der Welthandelsorganisation in einem Worst-Case-Szenario errechnet: Großbritannien, Frankreich und Italien erlebten eine Rezession, in der das Bruttosozialprodukt rund zehn Prozent unter Vorkrisenniveau läge, in Deutschland wären es sieben Prozent.

Hinter den Zahlen verbergen sich Schicksale: Ein Viertel aller Menschen im erwerbsfähigen Alter stünden allein in Spanien auf der Straße. Zweistellige Arbeitslosenquoten wären in allen westlichen Volkswirtschaften zu befürchten. Auf der anderen Seite treibt eine solche Entwicklung die Schulden in astronomische Höhen, denen aber sinkende Steuereinnahmen gegenüberstehen schon allein, weil Arbeitssuchende kaum Steuern bezahlen können.

Laurence Boone, Chefökonomin der OECD, mahnte: „Eine höhere Staatsverschuldung kann nicht vermieden werden. Aber sie sollte gezielt eingesetzt werden, um die am stärksten gefährdeten Personen zu unterstützen und die für den Übergang zu einer widerstandsfähigeren und nachhaltigeren Wirtschaft erforderlichen Investitionen bereitzustellen.“ Auf Dauer, das weiß aber auch Boone und ihr Team, sind die Schulden eine schwere Belastung für die Zukunft. Derart exzessive Schuldenhöhen haben in der Vergangenheit nicht selten zu Schuldenschnitten geführt, Argentinien ist dafür ein Beispiel. Auch Währungsreformen kämen damit in Sichtweite. Dieses Mal ist die Situation nur deshalb noch nicht so gravierend, weil das Zinsniveau niedrig ist. Die Gelder, die die Regierungen für den Schuldendienst aufwenden müssen, bleiben noch moderat. Die OECD-Experten haben ausgerechnet, dass die Vereinigten Staaten ihre öffentlichen Verbindlichkeiten nur rund vier Prozent des BIP kosten. In der historischen Betrachtung sind das noch keine unhaltbaren Belastungen. In Europa kommt nur Italien in die Nähe unhaltbarer Belastungsquoten.

Sorgen bereitet den Ökonomen aber nicht nur die Verschuldung der Staaten, sondern auch die Verschuldung der Unternehmen. Niedrige Zinsen und eine lockere Geldpolitik der Zentralbanken haben Firmen die Aufnahme von Fremdkapital leicht gemacht.  Der private Sektor ist deswegen besonders anfällig für eine langanhaltende Rezession, die seine Umsätze wegbrechen lässt. Überdurchschnittlich hoch ist die Unternehmensverschuldung laut OECD in Frankreich, Belgien und Russland. Sollte es zu einer zweiten Welle kommen, könnte dieser „Fremdkapital-Hebel“ in den Firmenbilanzen ein Krisenverstärker werden.

Boone, die ihre Prognose zwei Tage vor dem neuerlichen Ausbruch des Virus in Peking vorgestellt hatte, schloss ihre Äußerungen mit den Worten des englischen Kriegspremiers Winston Churchill: „Die ist nicht das Ende. Es ist nicht einmal der Anfang vom Ende. Aber es ist vielleicht das Ende vom Anfang.“

Oliver Stock

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