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Joe Biden und der Kongress: Ein fast perfektes Börsenszenario bahnt sich an

Der neu gewählte Präsident Joe Biden könnte es mit unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen im Kongress zu tun bekommen. Dementsprechend kann er seine Vorhaben möglicherweise nur zum Teil umsetzen. Konjunkturprogramme und Infrastrukturinvestitionen könnten realisiert werden, Steuererhöhungen hingegen eher nicht. Anleger dürften dies begrüßen.

Wird Joe Biden am Ende noch zum Liebling der Märkte? (Foto: Evan El-Amin / Shutterstock)

Der neu gewählte Präsident Joe Biden könnte es mit unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen im Kongress zu tun bekommen. Dementsprechend kann er seine Vorhaben möglicherweise nur zum Teil umsetzen. Konjunkturprogramme und Infrastrukturinvestitionen könnten realisiert werden, Steuererhöhungen hingegen eher nicht. Anleger dürften dies begrüßen.

Von Mona Mahajan, Director, US Investment Strategist, Allianz Global Investors

In der Woche, in der die US-Präsidentschaftswahlen stattfanden, kam es an den Märkten zu einer beträchtlichen Erleichterungsrally. Statt einer „blauen Welle“ für die Demokraten zeichnete sich zunehmend ein knapperer Wahlsieg Joe Bidens ab. Gleichzeitig schien die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten insgesamt zuzunehmen.

Die Regierung Biden dürfte vorerst folgende Schwerpunkte setzen: Einrichtung eines Expertengremiums für den Umgang mit der Pandemie, Verabschiedung eines Fiskalpakets, Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen und Klimaschutzmaßnahmen in Form von Präsidentenerlassen.

Dass die Regierung Biden sich wieder verstärkt auf Infrastrukturausgaben und Initiativen zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Förderung neuer Energien konzentrieren will, könnte (nicht zuletzt an den privaten Märkten) neue Anlagechancen eröffnen.

Wenn Biden seine Vorhaben nur zum Teil umsetzen kann („Biden-light“-Agenda), dürften die wirtschaftlichen Fundamentaldaten, insbesondere die Aussicht auf einen wirksamen Impfstoff gegen Covid-19, wieder in den Vordergrund rücken.

Bei einem kräftigen Potenzialwachstum in den USA, niedrigen Zinsen und weiteren Stimulusmaßnahmen könnte das globale Umfeld für chancenreiche Vermögenswerte im Jahr 2021 günstig sein.

Joe Biden ist zum Sieger der US-Präsidentschaftswahlen erklärt worden, so dass die monatelange Unsicherheit und die entsprechenden Turbulenzen jetzt zu Ende gehen. Allerdings stehen weder Bidens Wahlsieg noch das Ergebnis der Senatswahlen bis jetzt offiziell fest; zwei Sitze im Senat für Georgia werden erst in Stichwahlen im Januar 2021 vergeben. Die Märkte gehen jedoch von einem Präsidenten Biden und unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen in den beiden Kammern des Kongresses aus. Daher kann Biden sein Programm möglicherweise nur in verwässerter Form umsetzen.

An den Märkten schlug die Stimmung in den letzten Tagen vor den Wahlen um: An die Stelle von Hoffnungen auf eine „blaue Welle“ für die Demokraten trat Enthusiasmus über ein „Biden-light“-Programm, die Treasury-Renditen sanken und Aktienanleger schichteten ihr Kapital aus zyklischen Value-Titeln in aussichtsreiche Wachstums- und Technologieaktien um.

Insgesamt schienen die Finanzmärkte erleichtert, dass diese wichtige politische Entscheidung nun endlich getroffen war. Die Risikobereitschaft erhöhte sich sowohl in den USA als auch weltweit deutlich. Wenn der Politikwechsel unter einem Präsidenten Biden langsamer und in kleineren Schritten vollzogen wird, könnte dies für die Märkte günstig sein. Sowohl in den USA als auch in anderen Ländern sollten die Märkte von stabileren Handelsbeziehungen und besseren Wachstumsaussichten zum Jahresbeginn 2021 profitieren. Eine Rückkehr zu einem multilateralen Ansatz in der Außenpolitik sollte die Unsicherheit verringern, was wiederum die Kurse an den Märkten stützen dürfte.

Die vorgeschlagenen Steuererhöhungen von 4 Billionen US-Dollar dürften den Märkten vor Bidens Wahl die größten Kopfschmerzen bereitet haben; Biden hatte die Unternehmenssteuern, die Kapitalertragssteuern und die Einkommenssteuern für die oberen Einkommensschichten anheben wollen. Bei unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen in den Kammern des Kongresses dürften die meisten (oder sogar alle) dieser Vorhaben in der Steuerpolitik jedoch nur schwer umzusetzen sein. Zudem wird sich Bidens Team im ersten Amtsjahr eventuell nicht so sehr auf die Steuerpolitik als vielmehr auf die Bekämpfung der Pandemie und eine Ankurbelung der Konjunktur konzentrieren.

Schwerpunkte einer Regierung Biden/Harris

Der gewählte Präsident Biden und die gewählte Vizepräsidentin Kamala Harris dürften in den kommenden Wochen ihre wichtigsten Prioritäten festlegen, auch wenn der amtierende Präsident seine Niederlage entgegen der Tradition bisher nicht eingesteht. Die Schwerpunkte dürften zunächst auf folgenden Themen liegen:

Einsetzung einer neuen Expertengruppe zur Bekämpfung der Pandemie

Das Coronavirus verbreitet sich sowohl in den USA und als auch weltweit weiter. Der Kampf gegen das Virus dürfte daher zu den wichtigsten Prioritäten von Bidens Team gehören. Dabei will Biden auf die Unterstützung durch eine neue Pandemie-Expertengruppe aus Wissenschaftlern und Medizinern zurückgreifen. Insbesondere sollen Leitlinien festgelegt werden, um Ausbrüche zu stoppen, es soll verstärkt getestet und Kontakte nachverfolgt werden, und es sollen hohe Summen in die Bereitstellung des Impfstoffs fließen. Kurz, Biden will die Pandemie hauptsächlich anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse bekämpfen.

Fiskalpolitische Impulse

In einem Punkt sind sich Demokraten und Republikaner einig: Um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzupuffern, sind zusätzliche fiskalpolitische Impulse erforderlich. Uneins sind sie sich allerdings über den Umfang dieser Impulse. Bisher hat der Kongress Stimulusmaßnahmen im Wert von knapp 3 Billionen US-Dollar beschlossen, und Demokraten und Republikaner haben konkurrierende Vorschläge für ein neues Konjunkturpaket im Umfang von 2,2 Billionen bzw. 500 Milliarden US-Dollar vorgelegt. Beide Pakete sehen zusätzliche Arbeitslosenunterstützung, Erleichterungen für kleine Unternehmen und Barauszahlungen an die privaten Haushalte vor. Mitch McConnell, der Mehrheitsführer im Senat, hat Kompromissbereitschaft angedeutet, wobei eine Einigung eventuell sogar noch während des „Interregnums“ bis zum Amtsantritt Joe Bidens erfolgen könnte. In jedem Fall ist zu Beginn der neuen Amtszeit mit eiem Fiskalpaket zu rechnen, was positiv für chancenreiche Vermögenswerte sein sollte.

Präsidentenerlasse zum Klimaschutz und für saubere Energien

Joe Biden plant Investitionen in Höhe von 2 Billionen US-Dollar in saubere Energien, z.B. Wind-, Solar- und erneuerbare Energien. Diese Vorhaben dürften in einem Kongress mit unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen auf Widerstand treffen. Präsident Biden könnte allerdings versuchen, seine Klimaschutz- und Nachhaltigkeitspolitik durch Präsidentenerlasse umzusetzen und eher „umweltbewusste“ Persönlichkeiten in sein Kabinett berufen. Wenn die Regierung den Klimawandel tatsächlich ernst nimmt, könnten sich daraus neue Chancen für nachhaltige Investitionen ergeben. Der neue Präsident könnte ohne Unterstützung des Kongresses z.B. folgende Maßnahmen ergreifen:

- Erneuter Beitritt zum Pariser Klimaabkommen, das den globalen Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert auf weniger als zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen will

- Rücknahme einiger energiepolitischer Erlasse Präsident Trumps, u.a. die vom März 2017 datierende Anweisung an die Bundesbehörden, ihre Klimaschutzmaßnahmen aufzugeben

- Erlasse zur Senkung von Emissionen, u.a. Anweisung an die Behörden, Obergrenzen für Methan festzulegen und die Effizienzstandards für Gebäude und Geräte zu verschärfen.

Infrastrukturinvestitionen

Beim Thema Infrastrukturinvestitionen könnten sich Demokraten und Republikaner letztendlich einigen. Sowohl Biden als auch Trump haben Investitionen in traditionelle Infrastruktur (z.B. Neubau von Straßen, Brücken und Flughäfen) und Technologieinfrastruktur (z.B. 5G und künstliche Intelligenz) angekündigt. Bidens Team hat ein Infrastrukturpaket im Umfang von 1,3 Billionen US-Dollar vorgeschlagen. Letztendlich könnten sich die beiden Parteien auf ein kleineres Paket einigen, das einen Umfang von vielleicht rund 750 Milliarden US-Dollar haben könnte. Auch das wäre eine beträchtliche Investition in das Wachstum der US-Wirtschaft und eventuell in Arbeitsplätze. Das Vorhaben könnte auch Chancen an den privaten Märkten zur Finanzierung dieser wichtigen Projekte eröffnen.

Rückkehr der USA auf die Weltbühne

Neben dem erneuten Beitritt zum Pariser Klimaabkommen hat Biden angekündigt, dass er die USA in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurückführen und per Präsidentenerlass die Reisebeschränkungen für mehrheitlich muslimische Länder zurücknehmen wolle. Insgesamt würden die USA unter einer Regierung Biden wieder als Verbündeter und Führungsnation auf die Weltbühne zurückkehren, sich wieder an die Seite ihrer historischen Verbündeten stellen und gegebenenfalls weltweite Kooperationen in der Klimapolitik mittragen.

Biden will zwar gegenüber China ebenfalls hart auftreten, aber auch angedeutet, dass er im Vergleich zu seinem Vorgänger nicht so unilateral vorgehen, sondern die Verbündeten der USA, Arbeitnehmerorganisationen und Umweltorganisationen mit an den Verhandlungstisch holen wolle. Biden könnte einige Zölle per Präsidentenerlass zurücknehmen, könnte sie aber auch als Verhandlungsmasse nutzen.

Überparteiliches Agieren

Im Sinne der Versöhnung könnte Biden auch Republikaner in sein Kabinett oder auf wichtige Posten berufen. Es wurde bereits darüber spekuliert, dass Biden an Jerome Powell (der von Trump berufen wurde) als Fed-Vorsitzendem festhalten und den republikanischen Senator Mitt Romney als US-Finanzminister in Betracht ziehen könne. Die Märkte dürften einen solchen ausgewogenen Ansatz – vor allem in finanzpolitischen Schlüsselpositionen – begrüßen.

Die Märkte wünschen sich Evolution, keine Revolution

Insgesamt scheinen der Wahlsieg Bidens und die unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse im Kongress unter der Überschrift „Evolution statt Revolution“ zu stehen. Das ist wohl das, was Wähler und Anleger am meisten begrüßen. Damit sinkt wohl auch die Wahrscheinlichkeit nicht beabsichtigter Konsequenzen, die bei einer „blauen Welle“ hätten entstehen können, z.B. eines raschen Zinsanstiegs, der möglicherweise für Turbulenzen an den Märkten gesorgt hätte. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Markterträge in der Vergangenheit vom Wahltag bis zum Jahresende in der Regel saisonal höher ausgefallen sind.

Implikationen für Anleger

Vor diesem Hintergrund dürften die Kurse künftig auf breiterer Basis ansteigen. Neben Wachstumstechnologien könnten zyklische Marktsegmente gut abschneiden, und Aktien aus anderen Ländern könnten gegenüber US-Aktien zumal dann aufholen, wenn sich die internationalen Beziehungen entspannen und der US-Dollar möglicherweise noch länger schwach notiert. Insbesondere China und Nordasien könnten von einem Abbau der Spannungen profitieren. Daneben ist in dieser Region ein günstigerer Verlauf der Pandemie zu verzeichnen.

An den Märkten für Unternehmensanleihen dürften die Anleger bei voraussichtlich stabilen und niedrigen Renditen ihre Jagd nach Erträgen fortsetzen. Wir setzen nach wie vor auf ausgewählte Hochzinsanleihen (u.a. „gefallene Engel“), Wandelanleihen (die auch an einer Aufwärtsbewegung der Aktienkurse teilhaben können) und Kurvenversteilerungsstrategien, die von einem besseren Wachstums- und Inflationspotenzial profitieren.

Zuletzt sehen wir außerhalb der traditionellen Value-/Wachstumsstrategien Chancen, z.B. bei den Themen Infrastruktur, saubere Energie, US-Wohnungsbau und Technologieinfrastruktur wie 5G. Dort könnte nach den Wahlen ein Aufschwung stattfinden.