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Trotz Unsicherheiten zählt der Blick aufs Ganze

Der Hochsommer hat Einzug gehalten, Mittsommernacht ist längst gefeiert, die Tage werden bereits kürzer und die Fußballweltmeisterschaft ist Geschichte. Grund zum Feiern? Natürlich. Aber bei aller Feierlaune ist der Abschluss der ersten Jahreshälfte auch ein guter Augenblick, um innezuhalten, das bisherige Jahr zu reflektieren und vorauszublicken. Torsten Reidel tut das.

BÖRSE am Sonntag

Der Hochsommer hat Einzug gehalten, Mittsommernacht ist längst gefeiert, die Tage werden bereits kürzer und die Fußballweltmeisterschaft ist Geschichte. Grund zum Feiern? Natürlich. Aber bei aller Feierlaune ist der Abschluss der ersten Jahreshälfte auch ein guter Augenblick, um innezuhalten und das bisherige Jahr zu reflektieren.

Von Torsten Reidel

Wie die erste Hälfte des Börsenjahres 2018 verlaufen ist, wissen wir. Wer Fußball-Weltmeister ist, wissen wir auch. Doch was wird der Rest des Jahres mit sich bringen? Welche Achterbahnfahrt werden die kommenden sechs Monate für Börsen mit sich bringen? Der Ausgang ist nach wie vor so ungewiss wie ein WM-Spiel – indes: Eine gewisse Tendenz an den Finanzmärkten ist doch absehbar, ganz anders als auf dem grünen Rasen, wo die Favoriten reihenweise Federn lassen mussten und Länder wie Uruguay, Belgien und Kroatien echte Chancen hatten.

Werfen wir also einen Blick auf die Indizes. Schauen wir, wo wir herkommen: Optimistisch startete das neunte Jahr des Bullen mit einem stabilen DAX-Kurs von über 13.000 Punkten. Doch während 2017 überwiegend gelassen auf die zahlreichen Turbulenzen aus Welt und Umwelt reagierte und so weitestgehend befreit von größeren Kurschwankungen zu Ende ging, zeigte sich 2018 schnell empfindlicher gegenüber Einflüssen aus Politik und Wirtschaft. Bereits im Februar wurden die Märkte nervös und der DAX näherte sich erstmalig der gefürchteten 12.000-Punkte-Marke an, die in März und April insgesamt drei Mal unterschritten wurde. Der Wonnemonat Mai erlaubte kurzfristige Entspannung, bevor im Juni der unruhige Tanz fortgeführt wurde. Angesichts dieser von uns bereits zu Jahresanfang prognostizierten gestiegenen Volatilität machten sich Angst und Missmut unter Anlegern breit, die bis heute anhalten. Viele Investoren sind verunsichert, wittern Unheil und erhöhte Risiken, für die sie sich von den auf kurze Frist eingestrichenen Renditen nicht ausreichend entschädigt fühlen. Doch ist der Markt tatsächlich so instabil, wie zunehmend befürchtet?

Außer Frage steht: War 2017 auf der politischen Ebene noch eher von entspannenden Signalen geprägt, hat das Jahr 2018 einen bunten Strauß an politischen Störfaktoren zu bieten. Global ein drohender Handelskrieg, den die Trump-Administration nicht müde wird anzudrohen. Mal konzentriert sich die irrationale Wut im Weißen Haus auf Europa und hier besonders Deutschland, dann wieder ist China der Feind. Doch nicht nur jenseits des Atlantiks lauern Störfeuer. Auf europäischer Ebene sorgt die neue italienische Regierung für EU-Skepsis und verschließt sich einer gesamteuropäischen Herangehensweise zum nach wie vor drängenden Thema „Flüchtlinge“. Die Einmann-Doppelspitze in der nun präsidial geführten Türkei wird bei den Nationalisten für neues Selbstbewusstsein sorgen und den Konflikt mit den Kurden an der syrischen Grenze sicher nicht so rasch abkühlen lassen.

Blicken wir nach Deutschland: Der schwelende Asylstreit zwischen CDU und CSU und weitere innerparteiliche sowie parteiübergreifende Kleinkriege drohen die Bundesregierung zusehends zu lähmen. Die Fronten verhärten sich weiter und aktuell ist nicht davon auszugehen, dass dieses politische Minenfeld sich im zweiten Halbjahr in Luft auflösen wird. Euphorie ist aktuell weit entfernt - eine maßgebliche Voraussetzung dafür, dass der Bulle am Ende unweigerlich zu Fall gebracht wird. Jedoch verhalten sich die Anleger seit geraumer Zeit eher träge bis ängstlich, von Begeisterungstaumel und Übermut kann aktuell nicht die Rede sein. Ein Ende der Hausse im zweiten Halbjahr 2018 ist unter aktuellen Vorzeichen somit eher unwahrscheinlich.

Wir befinden uns momentan in einer typischen Situation des reifen Bullenmarktes: der Phase, in der es trotz steigender Volatilität gilt, den Kopf kühl und die Füße still zu halten. Nur wer Geduld zeigt und der Robustheit der Märkte vertraut, wird am Ende belohnt. Doch obwohl Kurschwankungen verschiedenste Ursachen haben, vernebeln vor allem politische Unsicherheiten den Blick auf die fundamentale Stärke der globalen Wirtschaft – Anlegern fällt es zunehmend schwer, nicht das Wesentliche aus den Augen zu verlieren. Wenn schlechte Nachrichten in den Vordergrund rücken, entsteht positives Überraschungspotenzial. Gewinnen hingegen positive Nachrichten die Oberhand, die eine grundlegende Schwächephase der Märkte verschleiern, droht der Absturz. Gemäß dieser Betrachtung muss man für die zweite Jahreshälfte festhalten, dass die aktuelle Marktphase auch nach neun Jahren im intakten Bullenmarkt immer noch vielfältiges Überraschungspotential bietet, um die Erwartungshaltung der Anleger zu übertreffen.

Die sachliche Betrachtung der vergangenen sechs Monate verrät: Anleger müssen auch in der zweiten Jahreshälfte mit dem unveränderlichen Fakt umgehen, dass von politischer Seite immer wieder neue Unsicherheiten an die Märkte gelangen, vorhandene Krisen sich wandeln oder plötzlich von Bildfläche und Börsenparkett verschwinden. Gewissheit wird es, wie in den vergangenen Jahren, auch in diesem keine geben. Trotz aller Turbulenzen und damit einhergehender Sorgen zählt also weiterhin der übergeordnete Blick aufs Ganze. Ebenso wie die Tatsache, dass sich viele Industrieländer in einer politischen Pattsituation befinden, die das legislative Risiko reduziert und positive Rahmenbedingungen für den laufenden Bullenmarkt schafft. Auch, wenn dies im aktuellen „Medienlärm“ schwer zu erkennen ist. Das positive Überraschungspotential ist aufgrund von positiven Fundamentaldaten bei gleichzeitig schlechter Stimmung am Markt sicherlich gegeben. Freuen Sie sich, so lange die anderen sich sorgen!

Torsten Reidel ist Geschäftsführer von Grüner Fisher Investments.