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Was wir Deutschen von Österreich lernen können

Jedes Jahr verlasen knapp 150.000 Deutsche ihr Land, um anderswo das große Glück zu suchen. Geld spielt dabei überraschenderweise zwar eine wichtige, bei Weitem aber nicht die Hauptrolle.

BÖRSE am Sonntag

Jedes Jahr verlasen knapp 150.000 Deutsche ihr Land, um anderswo das große Glück zu suchen. Geld spielt dabei überrascherderweise zwar eine wichtige, bei Weitem aber nicht die Hauptrolle. Laut einer Studie vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) sind für etwa zwei von drei Befragten neue Berufs- und Lebenserfahrungen der wesentliche Grund, Deutschland den Rücken zuzukehren.

Neben der Schweiz und den USA steht bei Auswanderern vor allem Österreich ganz weit oben auf der Beliebtheitsskala. Jedes Jahr verschlägt es weit über 10.000 Deutsche in die Alpenrepublik. Trotz vieler kultureller, historischer und sprachlicher Gemeinsamkeiten finden sie in Österreich vieles Neues, Ungewohntes und Überraschendes vor. Sofort ins Auge sticht, dass viel mehr Altstädte als in Deutschland unzerstört geblieben sind. In Wien ist dann unübersehbar, dass die Kaffeehauskultur bis heute den geheimen Triumph symbolisiert, 1683 nicht von den Türken islamisiert worden zu sein wie 1453 Konstantinopel. Und die Bälle in der Wiener Hofburg verkörpern einen letzten Glanz des alten Europa, so, wie er sonst fast nur noch in den Opernhäusern von Paris oder Mailand spürbar ist.  

Trotz der enormen Kulturdichte und der vielen Gemiensamkeiten gestaltet sich der Integrationsprozess für manch einen der „Piefkes“ oftmals schwieriger als zunächst vermutet. Wer sich allerdings als lernfähig aus der Masse deutscher Wahlösterreicher herauskristallisiert, für den dürfte das Zusammenleben mit den „Ösis“ nicht nur erträglich, sondern richtig bereichernd sein. Zu lernen gibt es von unseren rot-weiß-roten Nachbarn jedenfalls eine ganze Menge. Um Österreich und die Mentalität seiner Einwohner besser zu begreifen, sollte man insbesondere folgendes wissen und beachten.

Felix Austria

Die Österreicher sind ein außergewöhnlich glückliches Völkchen. Das erkannte schon Herzog Rudolf IV, auf den diese Wendung zurückzuführen ist, anno 1364. Und seither hat sich offenbar nicht allzu viel daran geändert. Dies ist nicht nur durch die eindeutig-wenngleich subjektiv- wahrnehmbare Lebenslust unserer Nachbarn belegbar, sondern inzwischen sogar wissenschaftlich bewiesen. Stefan Höfer und sein Team von der Medizinischen Universität Innsbruck haben in ihrem Journal „Social Indicators Research“ den „International Well-being Index“ herangezogen und bemerkt, dass sich die Einwohner der Alpenrepublik in fast allen Bereichen wohler fühlen als ihre Nachbarn aus Deutschland. Gemessen wurden unter anderen der Lebensstandard, Sozialkontakte, Gesundheit, das nationale Wohlbefinden sowie der Zustand der Umwelt. Lediglich in den Segmenten Spiritualität und Religiosität können die Deutschen mit den Rot-Weiß-Roten mithalten.

Hoch lebe die Lockerheit

Besonders mit schwierigen Situationen gehen Österreicher im Vergleich zu Deutschen viel gelassener um. Wendungen wie „Schauen wir einmal“ oder „Das wird sich schon irgendwie lösen“ dokumentieren diese Haltung in eindrucksvollerweise. Was Regeln betrifft drücken unsere südlichen Nachbarn gern mal ein Auge zu. So gibt es ähnlich wie in Deutschland auch in Österreich zwar ein Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden und Gaststätten- nur eben kein generelles. Frei nach dem österreichischen Motto: „A bisserl was geht immer.“

Zudem neigen die Rot-Weiß-Roten gerne dazu, die Härten des Lebens zu relativieren, um stattdessen die angenehmen Seiten ganz und gar zu genießen. Diese Art der gelassenen, lockeren Lebensführung wird besonders schön vom Kabarettist Hugo Wiener auf den Punkt gebracht: „Das Leben ist eine Tragödie – zusammengestellt aus vielen Komödien.“ Mit letzterem identifizieren sich die Österreicher allzu gerne.

Humor macht das Leben leichter, Ironie sorgt für die Würze

Einst wurde der österreichische Oscar-Preisträger Christoph Waltz in einer von Conan O'Brien moderierten, landesweit beliebten amerikanischen Late-Night-Talkshow nach dem Unterschied zwischen Deutschen und Österreichern gefragt. Dabei wollte O'Brien von Waltz wissen, was er denn von dem Klischee hielte, die Deutschen hätten keinen Humor. Der berühmte Schauspieler antworte daraufhin kurz und bündig: „Das ist kein Klischee.“ Neben der humoristischen Überlegenheit der Österreicher gegenüber ihren nördlichen Nachbarn, zeichnet sie auch eine gesunde Portion an Selbstironie aus. Diese gipfelte in dem legendären Zitat eines Fußball-Nationaltrainers, der feststellte: „Wir haben heute unsere Stärken trainiert. Deshalb waren wir schon nach 15 Minuten fertig.“

Höflichkeit ist das A und O

Aus österreichischer Sicht gelten Deutsche oftmals als zu direkt, bisweilen sogar als hart im zwischenmenschlichen Umgang. In der Alpenrepublik wird hingegen mehr Wert auf Höflichkeit gelegt, was manchmal dazu führt, dass diese von einige Deutschen als störende Fassade wahrgenommen wird, die den Zugang zum Eigentlichen blockiert. Zudem wird in Österreich nach wie vor den akademischen Titeln viel mehr Bedeutung beigemessen als hierzulande.

Obwohl die Donaumonarchie seit fast 100 Jahren Geschichte ist und Adelstitel in Österreich nicht mehr üblich sind, ja, fast 80 Jahre lang formell verboten warn, ist eine gewisse Titelverliebtheit auch noch im 21. Jahrhundert festzustellen. Beachten sollte Deutsche darüberhinaus, keine Fehler bei der Begrüßung zu machen. Das in Deutschland übliche „Hallo“ wird in der Alpenrepublik zumeist ausschließlich im Gespräch mit Freunden oder der Familie gebraucht. Ein „Grüß Gott“ ist da viel angebrachter.

Ernst? Typisch Deutsch! 

„Es gibt ein altes Schlagwort, das den Unterschied zwischen Deutschland und Österreich beleuchtet: In Deutschland sei die Situation ernst, aber nicht hoffnungslos, in Österreich dagegen hoffnungslos, aber nicht ernst.“ Das sagt Milton Colvin, ein amerikanischer Soziologie-Professor. Und vielleicht trifft er mit einem Satz ziemlich genau das, was wir von Österreich lernen können. WIM