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Kryptowährung Libra: Das sind die makroökonomischen Risiken

Gemeinsam mit einem Partnernetzwerk aus 21 weiteren Unternehmen beabsichtigt Facebook, die Kryptowährung Libra im ersten Halbjahr 2020 auf den Markt zu bringen. Wie groß die Erfolgschancen sind und woran das Projekt scheitern könnte.

BÖRSE am Sonntag

Gemeinsam mit einem Partnernetzwerk aus 21 weiteren Unternehmen beabsichtigt Facebook, die Kryptowährung Libra im ersten Halbjahr 2020 auf den Markt zu bringen. Wie groß die Erfolgschancen sind und woran das Projekt scheitern könnte. 

Von Dr. Jörn Quitzau, Senior Economist Berenberg

Gemäß der Website Coinmarketcap.com gibt es aktuell insgesamt 2.369 Kryptowährungen mit einer gesamten Marktkapitalisierung von rund 242 Milliarden US-Dollar. Der „Marktführer“ Bitcoin hat daran einen Anteil von knapp 158 Milliarden US-Dollar. Damit hat sich der Krypto-Markt innerhalb von nur rund zehn Jahren zwar beeindruckend entwickelt, aber eine Gefahr für die Finanzstabilität und für die Gesamtwirtschaft geht von ihm bei dieser Marktkapitalisierung noch nicht aus.
Dies könnte sich ändern, wenn die Kryptowährung Libra auf den Markt kommt. Mit seinen derzeit rund 2,5 Milliarden Nutzern hat Facebook gute Chancen, das Projekt quasi aus dem Stand zu einem großen Erfolg als Zahlungsmittel mit einer hohen Marktkapitalisierung werden zu lassen. Welche gesamtwirtschaftlichen Risiken könnten daraus entstehen?

Geldschöpfung, Zinsen und Inflation

Wer die neue Währung nach ihrem Start nutzen möchte, müsste zunächst Libra Coins kaufen und diese mit einer der etablierten nationalen Währungen wie US-Dollar, Euro, Schweizer Franken, Norwegischer Krone und Co. bezahlen. Die Libra Association würde den Verkaufserlös vollständig in liquide und sichere Vermögenswerte wie Staatsanleihen investieren, wodurch die Währung gedeckt wäre. Die so geschaffene Libra-Reserve soll in US-Dollar, Euro, Yen, Pfund und Singapur-Dollar investiert werden. Dies wäre ein Akt der Geldschöpfung.

Wenn beispielsweise Facebook-Nutzer in Europa Libra Coins für 100 Milliarden Euro kaufen würden, entspräche das einer Geldschöpfung in eben dieser Höhe. Denn der 100-Milliarden-Euro-Erlös würde von der Libra Association in Wertpapiere beziehungsweise Bankguthaben investiert und gleichzeitig könnten die Libra-Käufer ihre Coins im Gegenwert von 100 Milliarden Euro für den Konsum nutzen. Die ursprünglichen 100 Milliarden Euro würden also einmal am Wertpapiermarkt investiert und gleichzeitig noch einmal am Gütermarkt ausgegeben. Zudem haben diejenigen, von denen die Libra Association Anleihen für ihre Reserve kauft, einen Verkaufserlös in Euro, der für weitere Konsum- oder Anlagezwecke zur Verfügung steht. Die Folge wäre ein Inflationseffekt bei den Verbraucher- und bei den Vermögenspreisen (die Zinsen würden wegen des Mittelzuflusses also sinken).
Ob ein solcher Inflationseffekt spürbar und potentiell gefährlich ist, lässt sich a priori nicht sagen.

Wenn Libra von den Nutzern eher als Spielerei oder Ergänzung zu den bestehenden Zahlungssystemen wahrgenommen wird und pro Nutzer nur geringe Libra-Beträge gehalten werden, dürften die Effekte vernachlässigbar sein. Sollte Libra aber den Durchbruch schaffen und sich als gleichwertiges oder gar führendes globales Zahlungssystem etablieren, könnte es gravierende Folgen haben. Vor allem dürften die Renditen dauerhaft auf ihrem niedrigen Niveau bleiben, wenn die Libra-Zuflüsse sehr hoch sind und entsprechend viel De-ckungskapital in die Anleihemärkte und in den Bankensektor fließt. Gegebenenfalls müsste die Libra Association die Anlagen sogar stärker diversifizieren, und auch auf weniger liquide und risikoreichere Assets ausweichen oder sie könnte das Prinzip der Volldeckung aufgeben, um keine zu hohen Anlagevolumina investieren zu müssen.

Rückzahlungsansprüche und Finanzstabilität

Die Libra Association behauptet, ein Vorteil von Libra sei, dass es – im Gegensatz zu ungedeckten (Krypto-)Währungen – zu keinem „Bankenansturm“ kommen würde. Durch die Deckung sei gewährleistet, dass Rückzahlungswünsche in Papiergeldwährungen jederzeit erfüllt werden können. Weil jeder auf die Werthaltigkeit der Währung vertrauen könne, seien die Voraussetzungen für einen destabilisierenden „Bankenansturm“ nicht gegeben. Diese optimistische Sichtweise ist nicht zwingend gerechtfertigt. Auch bei vollständiger Deckung durch Wertpapiere kann es zu Kursverlusten kommen. Die Kurse der in der Libra-Reserve enthaltenen Wertpapiere können unter Druck geraten, wenn die Marktzinsen steigen. Auch wenn die Wechselkurse der Währungen unter Druck geraten, in denen die Libra-Reserve angelegt ist, drohen Kursverluste. Um diesen Kursverlusten zu entgehen, könnten sich die Besitzer der Libra-Coins eilig von ihren Libra-Beständen trennen und in Papiergeldwährung zurücktauschen wollen. Sofern solche Rückzahlungswünsche erfüllt werden sollen, wäre die Libra Association gezwungen, einen Teil ihrer Reserven zu verkaufen und würde durch den Verkaufsdruck gegebenenfalls die Zinsen an den Anleihemärkten nach oben treiben.

Ausblick

Das Projekt bringt eine Reihe von Fragen hinsichtlich Finanzstabilität und makroökonomischer Effekte mit sich, die bisher nicht mit zufriedenstellender Sicherheit beantwortet werden können. Regierungen, Notenbanken und Regulierungsbehörden haben das Libra-Projekt deshalb ins Visier genommen. Dass zunächst als Gründungsmitglieder eingeplante Unternehmen sich inzwischen aus dem Projekt zurückgezogen haben, mag ein Indiz dafür sein, dass die regulatorischen Hürden für Libra hoch sein werden. Genauigkeit dürfte hier vor Schnelligkeit gehen – und das ist angesichts der potentiellen Tragweite auch gut so.