Inflation: eine Gefahr für die Kapitalmärkte?
Schon häufig hatten sie sich in den vergangenen Jahren angekündigt: Höhere Inflationserwartungen in den USA führten seit Mitte 2017 zunächst zu steigenden Renditen und entsprechenden Kursverlusten an den Anleihemärkten. Das ließ die Aktienmärkte zunächst weitgehend unberührt, aber nun kommt auch hier die Quittung, wie Ulrich Stephan feststellt.
Schon häufig hatten sie sich in den vergangenen Jahren angekündigt: Höhere Inflationserwartungen in den USA führten seit Mitte 2017 zunächst zu steigenden Renditen und entsprechenden Kursverlusten an den Anleihemärkten. Das ließ die Aktienmärkte zunächst weitgehend unberührt, aber nun kommt auch hier die Quittung.
Von Ulrich Stephan
Die Aktienmärkte blieben von dieser Entwicklung weitestgehend unberührt. Erst als sich Anfang Februar 2018 die Inflationserwartungen im Zuge von Meldungen über ein spürbar gestiegenes US-Lohnniveau quasi über Nacht beschleunigten, geriet auch der US-Aktienmarkt in Mitleidenschaft: Die plötzlich veränderte Informationslage sorgte für zusätzliche Verunsicherung hinsichtlich der zukünftigen Zinspolitik der US-Notenbank – kurzfristige Panik unter den Marktteilnehmern sowie technisch bedingte Abverkäufe durch vollautomatisierte Handelsprogramme und letztlich erhebliche Kursverluste waren die Folgen. Wenngleich sich die Lage aktuell wieder etwas beruhigt zu haben scheint, stellt sich die Frage, ob die Kursverluste von Anfang Februar nur eine kurzfristige Übertreibung oder Vorbote größerer Verwerfungen waren?
Betrachtet man die jüngste Entwicklung der Inflationserwartungen, fällt zunächst auf, dass sie sich historisch gesehen nach wie vor auf moderatem Niveau bewegen. Für die USA beispielsweise rechne ich für das Jahr 2018 mit einem Anstieg des Verbraucherpreisniveaus von 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das ist weit entfernt von den hohen Teuerungsraten insbesondere der 1970er-Jahre und auch recht deutlich unter den Raten direkt vor der Finanzkrise.
Volkswirtschaftlich betrachtet ist dieser Preisanstieg bei gleichzeitig steigenden Löhnen positiv zu bewerten. Denn ein gewisser Inflationspuffer schützt vor den möglichen Gefahren einer Deflation: Wenn die Preise sinken, könnten Verbraucher in der Hoffnung auf weiter sinkende Preise ihre Käufe in die Zukunft verschieben, was die Unternehmensgewinne belasten würde. Gleichzeitig könnten Unternehmen Investitionen zurückhalten und Mitarbeiter entlassen, wodurch der Konsum weiter sinken und die Konjunktur geschwächt werden würde.
Rückkehr der Inflation überrascht Marktteilnehmer
Entscheidend für die aktuelle Verunsicherung der Marktteilnehmer scheint demnach weniger die absolute Höhe der Inflationserwartungen zu sein als vielmehr die Tatsache, dass plötzlich überhaupt mit einem Anziehen der Teuerungsraten zu rechnen ist – die Investoren wurden davon schlichtweg überrascht. Denn nach der Finanzkrise hatten zunehmend die ökonomischen Stimmen an Gewicht gewonnen, die eine andauernde Wachstumsschwäche der entwickelten Volkswirtschaften und niedrige Inflationsraten prognostizierten.
Dazu gehörten auch die Vertreter der „Secular Stagnation“-Theorie, die davon ausgehen, dass die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen langfristig zu niedrig sein wird, um die vorhandenen Kapazitäten auszulasten. Begründet wird dies unter anderem mit dem abnehmenden Bevölkerungswachstum und der zunehmenden Bedeutung der Digitalisierung. Denn neue Techniken führten zu einer strukturellen Verschiebung der Investitionstätigkeit in weniger kapitalintensive Bereiche: Beispielsweise mache der Siegeszug des Onlinehandels den Neubau von Shoppingcentern weitestgehend überflüssig und die Sharing Economy, also die gemeinschaftliche zeitlich begrenzte Nutzung von Ressourcen, verstärke den Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage noch. Statt zu investieren beziehungsweise zu konsumieren werde gespart – und zwar sowohl von Unternehmen als auch von privaten Haushalten. Folgen seien ein langfristig schwaches Wirtschaftswachstum, kaum Lohnzuwächse sowie niedrige Zinsen und Inflationsraten.
Inflation: Risiken scheinen derzeit überschaubar
Wenngleich Inflationssorgen eines der größten Risiken für die Kapitalmärkte bleiben: Meiner Meinung nach werden sie sich nicht nachhaltig bestätigen. Zwar dürften die stabilen Konjunkturaussichten und steigende Löhne in den entwickelten Ländern, allen voran den USA, für zusätzlichen Preisdruck sorgen. Allerdings scheinen mir Inflationserwartungen auch leicht oberhalb von 2 Prozent in den Kursen an den US-Kapitalmärkten bereits berücksichtigt zu sein. Erst in einem Bereich jenseits von 2,5 Prozent könnte es seitens der Marktteilnehmer notwendig werden nachzujustieren, da sich die US-Notenbank dann gedrängt fühlen könnte, ihren Zinserhöhungszyklus zu beschleunigen, um den Preistrend zu dämpfen. Von einem solchen Szenario gehe ich derzeit jedoch nicht aus.
Insgesamt dürfte das leicht höher erwartete Zinsniveau in den kommenden Monaten zu weiteren Kursverlusten am Anleihemarkt führen, während die Aktienmärkte für entsprechend risikobereite Anleger interessant bleiben: Solange sich ein Anstieg der Inflationserwartungen beziehungsweise des Zinsniveaus auf der einen und das Gewinnwachstum der Unternehmen auf der anderen Seite die Waage halten, sehe ich an den Börsen weiteres Kurspotenzial. Bei einem erwarteten Gewinnwachstum für globale Aktienindizes wie den MSCI All Country World von mehr als 14 Prozent im Jahr 2018 ist das aktuell der Fall. Anleger sollten sich trotzdem auf größere Schwankungen einstellen: Je nach Nachrichtenlage könnte es an den Kapitalmärkten zu plötzlichen Kursbewegungen kommen. Es könnte sich daher anbieten, sein Portfolio aktiv managen zu lassen. Denn aus welcher Richtung die marktbewegenden Nachrichten kommen werden, ist immer schwieriger vorauszusehen – schnelles Reagieren wird damit umso wichtiger.
Dr. Ulrich Stephan ist Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.