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Wo Anleger in die Röhre schauen

Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) macht die, die es an der Börse zu arg auf Kosten der Anleger getrieben haben, in ihrem „Schwarzbuch Börse“ jedes Jahr dingfest. Auf dem Weg zum Dauerbrenner ist Wirecard, wo in diesem Jahr der Prozess gehen die Wirtschaftsprüfer beginnt. Aber auch Siemens Energy und Leonie sind inzwischen Schwarze Schafe.

(Bild: Shutterstock)

Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) macht die, die es an der Börse zu arg auf Kosten der Anleger getrieben haben, in ihrem „Schwarzbuch Börse“ jedes Jahr dingfest. Auf dem Weg zum Dauerbrenner ist Wirecard, wo in diesem Jahr der Prozess gehen die Wirtschaftsprüfer beginnt. Aber auch Siemens Energy und Leonie sind inzwischen Schwarze Schafe.
 
Wenn der verstorbene Börsenspekulant André Kostolany ein vernichtendes Urteil abgeben wollte, dann bezeichnete er einen Wertpapiermarkt als „Kasino mit gezinkten Karten“. Das bekamen zahlreiche Unternehmen des ehemaligen „Neuen Markts“ der Frankfurter Börse zu spüren, die den Furor des Meisters zu ertragen hatten. Wer seither glaubte, Anleger seien klüger geworden, der erlebt zahlreiche Beispiele, dass dem nicht so ist. Die einschlägigen staatlichen Institutionen allerdings auch nicht. Wobei Anleger in vielen Fällen kaum Schuld trifft – ihnen stehen nach wie vor Trickser und Täuscher gegenüber, die ihr krummes Handwerk beherrschen.
 
Das Schwarzbuch Börse fasst die spektakulärsten Fälle zusammen. Wobei sich die sattsam bekannte Firma Wirecard aus Aschau bei München vermutlich einen Platz in den Negativ-Hitlisten auf Jahre hinaus gesichert hat. Schließlich wird die Aufklärung rund um den insolventen Zahlungsdienstleister noch Jahre brauchen. Die Zutaten sind kompliziert bis süffig: Betrug mit nicht-existenten Konten in Asien, Finanzströme zu zwielichtigen Geschäftspartnern, ein flüchtiger Vorstand mit Beziehungen ins Rotlicht- und Spionagemilieu und nach Russland, und ansonsten vorerst U-Haft für den Chef des Ganzen, der nichts gewusst haben will. Obendrauf ein weltweit agierender Beratungs- und Wirtschaftsprüfungskonzern, dessen Abgesandte wohl alles abhakten, was ihnen vorgelegt wurde – der Ruf von EY, ehemals Ernst & Young, in Deutschland jedenfalls ist angekratzt.
Zornige Anleger fordern Milliarden an Schadensersatz, gerade kürzlich wurde die Klageschrift von Insolvenzverwalter Michael Jaffe gegen die EY-Prüfer fertig – Streitwert: 1,5 Milliarden.
 
Derweil kritisiert die SdK den schleppenden Gang des Verfahrens, da die Justiz unzureichend ausgestattet sei. Der Prozess gegen die Führungskräfte von Wirecard wegen bandenmäßigen Betruges laufe auf ein Urteil wohl erst 2027 hinaus, sagt SdK-Vorstandsmitglied Marc Liebscher. Der Musterprozess für Aktionäre soll gar erst Mitte 2024 überhaupt beginnen. „Man könnte meinen, es ginge um einen Kioskbuden-Betrug in Hintertupfingen und nicht um den größten Wirtschaftsskandal der Bundesrepublik,“ so der SdK-Vorstand. Für die Anleger sei auch die Gesetzeslage absolut unbefriedigend. Wäre da nicht die Chance auf Zahlungen durch EY, die Aktionäre würden leer ausgehen. Sie sind die letzten in der Schlange.
 
Dabei hatten sie auf seriöse Quellen gebaut mit ihrer Kaufentscheidung: Neben den Wirtschaftsprüfern schien auch die damalige Bundeskanzlerin Merkel begeistert von Wirecard, deren Vertreter sie auf Reisen mit nach China nahm. Die Chance, das Zahlenwerk von Wirecard eigenständig zu durchschauen, gab es kaum. Einzig die britische „Financial Times“ und ihr Investigativjournalist Dan McCrum hefteten sich an die Fersen von Wirecard-Chef Braun und Kollegen, und folgte anonymen Hinweisen, dass dort nicht alles mit rechten Dingen zugehe. Nachdem sich dennoch die deutsche Finanzaufsicht auf die Seite von Wirecard schlug, Leerverkäufe zeitweise untersagte und die Financial Times öffentlich angriff, schien dem unbefangenen Beobachter die FT-Berichterstattung so gut wie widerlegt. Dabei machte sich nur gerade eine obrigkeitsstaatliche deutsche Institution lächerlich.
 
Gleichzeitig wurde im abgelaufenen Jahr deutlich, dass vielleicht gut gemeinte Gesetzesänderungen allem möglichen dienen, nur nicht den Aktionären (und meist auch nicht Kunden und Beschäftigten). Berüchtigt inzwischen: Das „StaRUG“. Jenes Gesetz, das Unternehmen die Restrukturierung und damit das Überleben ohne Insolvenz ermöglichen soll, bietet gewieften Kapitalanlegern viel Raum für Bereicherung. Ein Paradebeispiel war das Kabel- und Technologieunternehmen Leoni, vormals „Leonische Drahtwerke“. Der österreichische Investor Stefan Pierer nutzte die Notlage, um zunächst eine Kapitalherabsetzung auf null durchzusetzen. Bei der anschließenden Kapitalerhöhung besaßen die Altaktionäre kein Bezugsrecht und gingen leer aus. Und waren aus ihrem Unternehmen erfolgreich herausgedrängt worden, ohne Hauptversammlungsbeschluss. Die Schlacht um die Tücken des Gesetzes tobt weiterhin und wohl noch sehr lange vor Gericht. Für vorsichtige Aktionäre eines Unternehmens im Abstiegskampf kann das wohl nur heißen: Aussteigen, ehe es andere für einen tun. Das StaRUG bezeichnet die SdK denn auch als „Vermögensvernichter par excellence“.
 
Dieses Attribut könnte man auch einigen Firmen der Erneuerbare-Energienbranche verleihen. Im Jahresrückblick häufen sich Merkwürdigkeiten, etwa eine reichlich unnötige Umwandlung der ABO Wind AG in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA). Das Konstrukt sichert den Einfluss der Gründerfamilien bei börsennotierten Firmen. Kommt aber um den Preis einer geringeren Attraktivität für Kapitalanleger. Dieser Vorgang brachte der ABO Wind eine Kurshalbierung ein und wurde dort dennoch als zukunftsweisende Maßnahme verkauft.
 
Vernichtend fällt auch das Urteil über den Anbieter von Ladetechnik für Elektroautos aus, „Compleo Charging Solutions“. 110 Euro bezahlte man im Sommer 2021 für die Aktie. Am 20. Dezember 2022 war das Unternehmen pleite. Die Übernahme des operativen Geschäfts durch die KOSTAL-Gruppe, ein Familienunternehmen der Autoelektronik, war im August 2023 der Abpfiff für Aktionäre. Siemens Energy ist ein weiterer der Kandidaten für Negativpreise aller Art. Als einziges Unternehmen im Dax-Index schaffte es die Firma, zweimal jeweils ein Drittel des Kurswertes an einem Tag zu verlieren.
 
Ähnlich bergab ging es mit Gigaset, auch ehemals ein Siemens-Unternehmen und zuletzt zu 70 Prozent in Besitz eines chinesischen Investors, der im Frühjahr 2023 Insolvenz anmeldete. Gigaset folgte mit seiner Pleite, der Niedergang dauerte hier allerdings schon seit Jahren an. Schnurlose Festnetztelefone haben weitestgehend ausgedient, und nennenswerte andere Produktlinien entwickelte man bei Gigaset nicht. Die unschöpferische Zerstörung war die Quittung. Ähnliche Schicksale bietet das Schwarzbuch zu Hauf, es wimmelt von Anlagebetrügern, seltsamen Geschäftsmodellen und durchtriebenen Halunken. Dazu ein gerütteltes Maß an amtlicher Inkompetenz, etwa des Finanzamtes Frankfurt, das sich wortreich und dabei ahnungslos weigert, Steuerschulden bei einem Unternehmen einzutreiben: Das habe keine deutsche Webseite, sei also mithin gar nicht vorhanden. Man lese und staune. Oder die Firma Pantaflix, die als Streaminganbieter mit dem heimischen Filmgeschäft und Prominenten wie Matthias Schweighöfer auftrumpfen wollte – von rund 20 ging es auf einen Euro bergab, die Zukunft ist ungewiss.
 
Auch wenn das Büchlein mitunter spannende Unterhaltung und Kuriositäten mancher Art bietet (jedenfalls besser genießbar, wenn man nicht in eines der genannten Unternehmen investiert hat), eine Schlussfolgerung aus den Irrungen und Wirrungen ist auch für direkt Nichtbetroffene kein Pappenstiel: Noch immer scheint Deutschland in Sachen Rechtsschutz der Privatanleger und Minderheitsaktionäre um Welten hinter anderen Ländern herzuhinken. In diesem Bereich liegt die Bundesrepublik klar unter dem OECD-Durchschnitt. Die Aktionärsquote ist niedrig wie eh und je, und in Sachen Altersvorsorge am Kapitalmarkt und mit Aktien laufen die Nachbarstaaten Deutschland den Rang ab.

Reinhard Schlieker

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