1.000!
<strong>Michael Blumenroth,</strong> Edelmetallhändler Deutsche Bank
Michael Blumenroth, Edelmetallhändler Deutsche Bank
Eintausend! Vierstellig! Wahnsinn! Erinnerungen kommen hoch. An die gute alte Zeit, damals, Frühjahr 2008. In gespannter Erwartung saßen wir Goldhändler in den Handelssälen. Nervös. Gold hatte sich bereit gemacht für den Sprung über die 1.000er-Marke, die Luft vibrierte vor Spannung, sie knisterte.
Wir Händler hatten wirklich weltbewegende Fragen, die wichtigste war: Würde unser Tradingsystem, auf dem wir Gold kaufen und verkaufen, in der Hoffnung, dass wir am Ende des Tages unseren Bossen ein positives Ergebnis berichten können, würde dieses System mit vierstelligen Zahlen umgehen können? Was, wenn nicht? Wäre dies das Ende der Welt für uns? Müssten wir wie in grauen, dunklen Vorzeiten etwa ein Telefon in die Hand nehmen, hundertstellige Nummern wählen, um über eine knisternde Leitung einen anderen Händler in einem anderen Land devot zu fragen, ob er die extreme Güte hätte, einen Preis für 5.000 Unzen Gold zu stellen? Dann drei Tage später erkennen, dass man sich leider verhört hat, weil der Kontrahent so nuschelte, und man das Gold 5 US-Dollar teurer gekauft hat, als man eigentlich dachte? Gruselig. Aufatmen, natürlich hat es mit den Systemen geklappt. Wir konnten weiter fleißig handeln, unser Risikosystem konnte die Geschäfte sogar verarbeiten, und die Welt drehte sich weiter. Was allerdings bemerkenswert war: Man hätte denken können, dass Gold sich nach dem erfolgten Sprung über die runde Zahl (ach, im Übrigen, tiefenpsychologisch gesehen ist die Menschheit doch nicht ganz klar im Kopf, oder? Ob Gold nun 999 oder 1.001 US-Dollar pro Unze kostet, wo ist da der Unterschied? 0,2%? Beides ist einfach recht teuer!) gemütlich im vierstelligen Bereich einrichtet, aber, ätsch! Effektiv handelte es zwei Stunden über 1.000, gar hoch bis 1.032, nur um danach in einem düsteren schwarzen Loch zu versinken und sich viel, viel tiefer aus dem Tag zu verabschieden (den Long-Positionen quasi eine lange Nase drehend). Ähnlich im März diesen Jahres. Gold blies die Backen auf, zeigte Muskeln wie Arnold Schwarzenegger in seinen besten Jahren, und hüpfte über die 1.000 er-Marke, nur um direkt danach wieder den Weg nach unten anzutreten und die folgenden Monate in totaler Lethargie zu verbringen. Der Gähn-Wahlkampf, der unser Land seit einigen Wochen quälend einzuschläfern versucht, er war ein richtiger Thriller im Vergleich zu dem, was sich am Goldmarkt getan hat. Charts der Goldpreisentwicklung hätten Ärzte bedenkenlos als Schlafmittel verschreiben können, einschläfernd völlig ohne Nebenwirkungen. Dann – plötzlich – Anfang September ein Urschrei des Goldes. Die 1.000 wird das dritte Mal übersprungen. Aber, diesmal ist alles anders. Gold ist nun wie eine Zecke, die sich ins Bein des unschuldigen Wanderers feststicht und hält sich beharrlich über der 1.000 er-Marke, gleichgültig, was an anderen Märkten passiert, gleichgültig, wer Kanzler wird, gleichgültig, wie schlecht Bayern München in die neue Saison gestartet ist, es bleibt einfach da, wo es ist und weigert sich zu fallen! Was sagt uns das? Dieses Mal sieht die Bewegung deutlich gesünder aus als bei den ersten beiden Versuchen. Alles ist unaufgeregter. Keine Sondersendungen im TV (beim ersten Sprung durfte der Verfasser dieser Zeilen sein ebenmäßiges Antlitz :-) abends in der „Tagesschau“ über Gold referierend zeigen), keine große Aufmerksamkeit in Printmedien. Alles ruhig! Und das ist gut so! Je unaufgeregter, desto nachhaltiger! So muss es sein! Leider ist es zu spät dafür, sonst hätte ich den Vorschlag gemacht, Gold als Kanzlerkandidat aufzustellen! In diesem Sinne wünsche ich einen guten Wahltag!