Umarmt vom Kraken
Alphabet, der Sammelname für Google, Youtube, aber auch Waymo (KI in Autos), hat im abgelaufenen Vierteljahr an die zehn Milliarden Dollar verdient. Und den Umsatz um bald 20 Prozent gesteigert. Nüchterne Zahlen, so scheint es – aber vor der Größenordnung kann einem angst und bange werden.
Alphabet, der Sammelname für Google, Youtube, aber auch Waymo (KI in Autos), hat im abgelaufenen Vierteljahr an die zehn Milliarden Dollar verdient. Und den Umsatz um bald 20 Prozent gesteigert. Nüchterne Zahlen, so scheint es – aber vor der Größenordnung kann einem angst und bange werden.
Von Reinhard Schlieker
Der amerikanischen Regierung ist es gerade so ergangen, denn sie untersucht nun die Marktmacht der bekannten Internetriesen, vor allem auch Amazon. In der Tat bündeln die großen Vier (mit Apple und Facebook) einen Zugriff auf fast alle Lebensbereiche. Etwaige Strafen aber, wie zum Beispiel die der EU gegen Google 2018 in Höhe von knapp fünf Milliarden Dollar steckt der Konzern locker weg. Und welchen Sinn haben solche Strafen, wenn es den Konzernen gelingt, jede Regulierung zu unterlaufen? Das einzige, was sie in den USA wirklich beunruhigen könnte, wäre eine Zerschlagung und Aufteilung in verschiedene Geschäftsgebiete, so wie es die Regierung im 20. Jahrhundert (1984) mit dem Telefonriesen AT&T vorgemacht hat, dessen Monopol so erst einmal geknackt wurde: Zwanzig Jahre später hatte AT&T seine Tochtergesellschaften alle wieder eingesammelt, da war dann allerdings ordentlich Wettbewerb auf dem Telefonmarkt. Jahrzehnte früher schon hatte man die Vorläuferfirma angegriffen, weil die Telefonkosten in den USA deutlich höher waren als bei den Tochtergesellschaften in Europa. Der Vorwurf: AT&T subventioniere seine dortigen Töchter mit den Gewinnen aus dem US-Geschäft. Bei dem Telefonriesen ließ man sich die Stimmung kaum vermiesen – man verkaufte die
Auslandstöchter mit Riesengewinnen und die Preise in den USA blieben, wo sie waren.
Wen der Krake einmal umarmt hat, den drückt er dann auch. Heute hat die Regierung also vor allem Amazon auf dem Kieker. Das Unternehmen liefert sich momentan einen beinharten Kampf mit der größten Einzelhandelskette Walmart, deren Eigner ebenfalls nicht als zimperlich gelten. Dafür nimmt Amazon, wie immer, wenn es um die Eroberung eines Marktsegments geht, durchaus schlechtere Zahlen in Kauf, so wie diese Woche vorgelegt und von der Börse wahrhaftig nicht goutiert. Doch Gründer Jeff Bezos hat einen langen Atem – schon wie er vor Jahrzehnten den Buchhandel aufrollte, war ein Beispiel an Raubtierverhalten gepaart mit hoher Opferbereitschaft. Wenn es um die Wahl geht, Gewinn machen oder expandieren, dann expandiert man.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit ist Amazon in den letzten Jahren zu einem der wenigen großen Anbieter von Speicherplatz in der „Cloud“ geworden, wo man auf Google trifft und noch ein paar Wenige. Die Macht dieses Datenwissens der Welt darf man nicht geringschätzen. Mit „Alexa“, dem
Sprachassistenten, wie er harmlos heißt, hat man in zahlreichen Zimmern und gar Kinderzimmern der Welt einen Spion stehen, der mithört und antwortet – mithören übrigens auch, wenn er gar nicht gefragt ist. Googles Gegenstück („Google Assistent“) oder „Siri“ von Apple – insbesondere in Europa wiegen Datenschutzbeauftragte bedenklich mit dem Kopf. Angeblich transkribieren Mitarbeiter irgendwo auf der Welt mitgehörte Gespräche, um sie zur Verbesserung der Künstlichen Intelligenz hinter den Geräten zu nutzen – so weit, so nützlich. Wer so einem Gerät seine Lebensgeschichte inklusive Verkehrsübertretungen erzählt, plus Kontonummern, der hat eben einen an der Waffel. Dennoch: Ein Argument wie, ich habe ja nichts zu verbergen, oder nach dem Motto: Meine Daten sind ja sowieso schon längst abgefischt, zählt für Datenschützer wenig. Doch wie bei der (völlig unsicheren) E-Mail wird sich das Rad nicht zurückdrehen lassen, selbst wenn die Behörden beherzt in die
Speichen greifen. Der Kundennutzen nebst Coolness-Faktor ist einfach zu mächtig.
Das wissen die Unternehmen, und welche Zukunftspläne sie haben, kann man nicht mal erahnen.
Ins Netz oder die Umarmung geht auf Dauer die ganze Welt. George Orwells Big Brother aus seiner düsteren Romanvision „1984“, geschrieben 1948, kommt einem bald wie der freundliche Riese von nebenan vor.