Der versperrte Ausgang
Die Grenzen des Undenkbaren seien derzeit ungewöhnlich dehnbar, sagte im März die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel. Die oft als „Zentralbank der Zentralbanken“ gewürdigte BIZ hat sich in Studien und Untersuchungen zuletzt mit Deflation und Wachstum beschäftigt – und dem Einfluss des einen auf das andere.
Die Grenzen des Undenkbaren seien derzeit ungewöhnlich dehnbar, sagte im März die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel. Die oft als „Zentralbank der Zentralbanken“ gewürdigte BIZ hat sich in Studien und Untersuchungen zuletzt mit Deflation und Wachstum beschäftigt – und dem Einfluss des einen auf das andere.
Außerdem mit den negativen Renditen von Staatsanleihen, auf welche sich das obige Zitat bezieht. Dass bei Staatsanleihen von weltweit 2,4 Billionen Wert die Rendite unter null gesunken ist, das gehört sicher zu dem Undenkbaren, das zwangsläufig ins Reich des Vorstellbaren, ja sogar Realen gewechselt ist.
Die BIZ hat ermittelt, dass Deflation auf längere Sicht das Wirtschaftswachstum nicht aufhalten kann. Extremereignisse wie die Weltwirtschaftskrise nach 1929 mal ausgenommen. Beide Themenbereiche dürften die Europäische Zentralbank nicht amüsiert haben, und dass die BIZ sie damit indirekt zum einen als irrlichternd, zum anderen als schlichtweg falschliegend tituliert, wohl erst recht nicht.
Dennoch befindet sich die BIZ in bester Gesellschaft. Ähnliche Sorgen äußern inzwischen die großen Verbände der Geschäftsbanken, und längst nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand. Die ganze Politik des „quantitative easing“ in der Eurozone gilt inzwischen wahlweise als „fauler Zauber“ oder „übersteigert“. Eine „verkehrte Welt mit falschen Preissignalen“ konstatieren die Volks- und Raiffeisenbanken, die Sparkassen sehen ihr Geschäftsmodell torpediert. Und das alles, weil EZB-Chef Mario Draghi hinter jeder Ecke Preisverfall wittert und mit Geldschwemme antwortet. Jenes Geld, also neben den bekannten Mechanismen nun noch 60 Milliarden Euro monatlich bis September 2016, mindestens, von dem das Institut der Deutschen Wirtschaft schon feststellte, dass es nicht bei den Unternehmen ankommt.
Mittlerweile fragt sich, ob Draghi nicht einfach nur deshalb den Kurs hält, weil er keine Idee hat, wie er aus dem Schlamassel wieder herauskommen soll. Oder schlicht nicht zugeben kann, fundamentale Erkenntnisse in den Wind geschlagen zu haben. Als da wären: Eine Deflation gibt es nicht. Selbst nach den von Draghi vor Jahren definierten Kriterien für eine Deflation – „lang anhaltend auf breiter Front“ – gibt es das Phänomen sinkender Preise nicht. Lediglich die Energiepreise sorgten europaweit für etwas Entlastung.
Durch die Nullzinspolitik hat die EZB eine ganz andere Inflation geschaffen: Aktien, Immobilien, einige Rohstoffe, selbst Kunst und Oldtimer boomen. Da dies in keinen gängigen Warenkorb kommt, bleibt es unsichtbar. Aber nicht unhörbar: Wenn es dort bereits Blasen gibt, werden sie eines Tages mit einem Knall zerbersten.
Kommt hinzu, dass die für viele Menschen unabdingbar nötige Altersvorsorge aus den Angeln gehoben wird. Wer im aktuellen Zinsumfeld einigermaßen sicher für die Zukunft gewappnet sein will, muss monatlich deutlich mehr zurücklegen als zu „normalen“ Zeiten. Wer will in einer solchen Situation sich verschulden, auch wenn es billig zu haben wäre? Schließlich sind auch die Mittelständler und Familienunternehmer zu Vorsicht aufgerufen, denn ungewisse Investitionen auf Pump folgen anderen Kriterien als sie ein EZB-Chef offenbar vor dem geistigen Auge hat. Derweil zahlen deutsche Sparer schon mal die Zeche: Jährlich an die 100 Milliarden Euro entgehen ihnen angesichts fehlender Verzinsung. Und wem das alles helfen soll, aber nicht hilft, ist natürlich Griechenland. Dort herrscht amtliches Chaos, und dagegen wirkt Draghis Geld nicht, und auch keine guten Worte.
Reinhard Schlieker, ZDF-Wirtschaftskorrespondent