Als wäre die Welt jemals kalkulierbar
Nun wird also sogar der Dollar selbst – Inschrift: „In God We Trust“ – unter Quarantäne gestellt, sofern die Banknote erkennbar in Europa in Umlauf war. In der Tat haftet dem Dollar nun häufiger ein Virus an, allerdings kann der auch aus Wyoming oder NYC stammen; Viren tragen keine Hundemarke.
Nun wird also sogar der Dollar selbst – Inschrift: „In God We Trust“ – unter Quarantäne gestellt, sofern die Banknote erkennbar in Europa in Umlauf war. In der Tat haftet dem Dollar nun häufiger ein Virus an, allerdings kann der auch aus Wyoming oder NYC stammen; Viren tragen keine Hundemarke.
Von Reinhard Schlieker
Übrigens haftet der aktuelle Seuchenerreger recht lange an Kupfer, noch länger an Pappe und auf Plastik findet sich das Virus in nennenswerter Konzentration sogar noch nach drei Tagen, auch in der Luft ist das Ding gefährlicher als bisher angenommen. Noch eine Stunde nach der Ausbreitung durch einen Träger ist es ansteckend, maximal bis zu drei Stunden, so das New England Journal of Medicine in einer neuen Studie. Je mehr man weiß und erfährt, desto unheimlicher wird die Sache – und genau das spiegelt sich an den Börsen, deren Preisfindung völlig aus den Fugen geraten zu sein scheint. Riesige Spreads bei Derivaten, zweistellige Sprünge oder Stürze bei sogenannten Standardaktien: Wer jetzt kauft, segelt hart am Wind. Wobei es hin und wieder lohnt, sich die Selbstverständlichkeit in Erinnerung zu rufen, dass bei jeder Flucht aus der Aktie ein Gegengeschäft zu verbuchen ist: Es rechnet immer jemand mit dem Schlimmsten, und jemand anderes mit dem Besten, nur eben auf einem stets neuen Niveau.
Was man kalkulieren kann, ist eine voraussichtliche Einbuße etwa eines großen Autoherstellers, der Werksferien unter dem Zwang der Verhältnisse macht, mit jeweils einem Zeitrahmen dazu. Was man nicht kalkulieren kann, ist der Worst Case, weil niemand Erfahrungswerte hat und die letzte wirklich menschheitsgefährdende Seuche an die 700 Jahre zurückliegt. Schwerer zu kalkulieren ist auch die Reaktion der Politik, der Notenbanken und und internationalen Institutionen, denn gut gemeint ist da sicher vieles, gut gemacht schon seltener. Vermutlich gehören taiwanesische Wertpapiere zu den bereits einschätzbaren Werten, europäische eher noch nicht. Der Optimist tröstet sich mit der pessimistischen Erkenntnis, dass die Welt auch ohne weit verbreiteten Virus von jeher schon schwer einzuschätzen ist – damit wäre das gegenwärtige Geschehen nur eine graduelle Verschiebung des Ausmaßes jeder Unsicherheit. So wird auch verständlich, warum es so erstaunlich viele Ansätze in der Öffentlichkeit gibt, mit der Bedrohung umzugehen – es hängt wohl viel davon ab, wie nah die Leute die Ernsthaftigkeit der Lage an sich herankommen lassen.
Einer immer noch verbreiteten Sorglosigkeit stehen Panikreaktionen gegenüber; manch einer flüchtet sich in mystisch-esoterischen Nonsens, wie etwa der einzige bezahlte unter den Millionen deutschen Fußball-Bundestrainern, der doch tatsächlich meint, die Erde wehre sich nun gegen das Böse, das der Mensch ihr angetan. Da kann man in der Tat nur hoffen, dass sie sich nicht genau dort wehrt, wo gerade ein Fußballstadion steht. Wenn man die, nun ja, Vielfalt der denkbaren Reaktionen auf die gleichzeitig präsente wie auch ferne und unbekannte Gefahr im täglichen Verlauf zur Kenntnis nimmt, muss man diese eigentlich nur noch auf die Akteure an den Finanzmärkten übertragen (vielleicht mit etwas weniger Esoterikern darunter, aber weiß man’s?), und man hat die Bandbreite der erwartbaren Kursbewegungen. Und schon ist das Chaos zwar nicht weg, aber es wird doch einfach etwas menschlicher.
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