Das „alte“ und das „neue“ China – investieren in den Wandel
Mit Blick auf die Weltwirtschaft mag China seine Rolle als unumstrittene Wachstumslokomotive mittlerweile verloren haben. Was jedoch seine Wandlungsfähigkeit betrifft, sucht das Reich der Mitte nach wie vor seinesgleichen. Das gilt insbesondere für die Wirtschaft des Landes. Dr. Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, analysiert Chancen und Risiken.
Mit Blick auf die Weltwirtschaft mag China seine Rolle als unumstrittene Wachstumslokomotive mittlerweile verloren haben. Was jedoch seine Wandlungsfähigkeit betrifft, sucht das Reich der Mitte nach wie vor seinesgleichen. Das gilt insbesondere für die Wirtschaft des Landes. So steuerte der Industriesektor in den Jahren 2000 bis 2010 noch rund die Hälfte zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts bei. Der Dienstleistungssektor kam auf etwas mehr als 40 Prozent. Heute ist das Verhältnis genau andersherum, sodass Dienstleistungen rund 50 Prozent beitragen.
Von Ulrich Stephan
Eine solch grundlegende Umstrukturierung der Volkswirtschaft hat natürlich auch auf Unternehmensebene große Auswirkungen: Ehemals wichtige Wirtschaftsbereiche wie die Kohle- und Stahlindustrie verlieren an Bedeutung, neue Sektoren legen zu. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen und „alte“ von „neuen“ Unternehmen unterscheiden zu können, hat die Deutsche Bank die Unternehmen im MSCI China in die Kategorien „Old Economy“ und „New Economy“ unterteilt.
Dabei zählen zum Beispiel alle chinesischen Firmen aus den Bereichen Automobil, Finanzen oder Nahrungsmittel zur „Old Economy“. Unter „New Economy“ hingegen werden die Unternehmen zusammengefasst, die stellvertretend für den Wandel Chinas stehen, etwa aus den Bereichen Onlinehandel, Medien, Alternative Energien, Gesundheitswesen oder Informationstechnologie.
„New Economy“ mit interessantem Potential
Zwar dominieren die „alten“ Unternehmen nach wie vor die Aktienlandschaft in China: Im MSCI China machen sie 69 Prozent der Marktkapitalisierung aus. Betrachtet man aber die Aktienperformance, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Denn während die Papiere der chinesischen „Old Economy“ in den sieben Jahren von Anfang 2009 bis Ende 2015 insgesamt nur um rund 50 Prozent zulegen konnten, stiegen die Kurse der „New Economy“ um ein Vielfaches davon.
Gleichzeitig stiegen jedoch auch die Bewertungen von Aktien der „New Economy“. Ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis lag Ende 2015 bei 23,0 und damit deutlich über den Bewertungen der „alten“ Unternehmen (7,7). Zwar sind die Bewertungen nach den jüngsten Abverkäufen an den chinesischen Aktienmärkten wieder leicht gesunken. Doch auch heute muss ein Anleger immer noch mehr als das 20-Fache des jährlich pro Aktie erwirtschafteten Unternehmensgewinns investieren, um ein Papier eines chinesischen „New Economy“-Unternehmens zu erwerben – sie sind damit vergleichsweise teuer.
Langfristige Wachstumsperspektive für China-Aktien
Grund für den erheblichen Bewertungsaufschlag sind die hohen Gewinnerwartungen der Investoren. Nachdem die Erträge der „neuen“ Unternehmen bereits in den vergangenen sieben Jahren um insgesamt 40 Prozent höher ausgefallen waren als die der „alten“ Unternehmen, rechnen die Analysten in den kommenden Jahren sogar noch mit einer Ausweitung dieser Gewinndifferenz. Allein für das Jahr 2016 rechnet die Deutsche Bank mit rund 8,5 Prozent Gewinnwachstum in der „Old Economy“ und 35,7 Prozent in der „New Economy“.
Für Anleger könnten diese Gewinnaussichten interessant sein. Zwar müssen die Papiere der „neuen“ Unternehmen derzeit vergleichsweise teuer bezahlt werden. Einige könnten jedoch auch mehr Potenzial bieten als die vergleichsweise günstigen Aktien der „alten“ Unternehmen. Die Wahrheit könnte, wie so oft, in der Mitte liegen: Für Anleger mit entsprechender Risikobereitschaft scheint derzeit ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Papieren der „alten“ und „neuen“ Unternehmen am aussichtsreichsten zu sein. So könnten sie an den von der Deutschen Bank erwarteten Wachstumschancen am chinesischen Aktienmarkt langfristig partizipieren.
Dr. Ulrich Stephan ist Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.